Kein unbeschwertes Osterfest: Dekan Rossnagel über die Aktualität der Osterbotschaft
Der Heilbronner Dekan Rossnagel spricht im Stimme-Interview über gegenwärtige Karfreitagserfahrungen wie Kriege, Corona, Kirchen- und Klimakrise - und über die Aktualität der Osterbotschaft.

Halleluja? Roland Rossnagel gibt offen zu, dass auch er dieses Jahr nicht unbeschwert Ostern feiern kann: vor allem wegen des Ukraine-Krieges. Im Stimme-Interview zeigt sich der katholische Heilbronner Dekan aber überzeugt: Gott trägt alle Kreuze der Welt mit. Das Leid hat nicht das letzte Wort.
Wir befinden uns in einer Art Karfreitagsmodus, in vielerlei Hinsicht.
Roland Rossnagel: Ja, vieles bedrängt uns: Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht abzusehen, alle sind verunsichert ob der Folgen für uns alle. Die Klimakatastrophe schreitet voran. Wir sind mit der ganzen Welt vernetzt. Neben den Vorteilen, die das vor allem für unseren westlichen Lebensstil bringt, spüren wir nun auch die Nachteile: Wir sind abhängig von der Energie, von der Lebensmittel- und Warenproduktion aus anderen Ländern. Dazu hält die Pandemie die Welt weiter in Atem. Allein bekommt kein Land die Probleme in den Griff. Deshalb tragen auch die herkömmlichen Lösungen und Weltvorstellungen nicht mehr. Wir stehen mitten in einem großen Umbruch.
Die Gräuel des Ukraine-Kriegs machen uns fassungslos. Ist das Böse in der Welt nicht totzukriegen?
Rossnagel: Das Böse ist nicht nur im Krieg eine Realität, sondern in jedem Menschen, auch in uns. Ich merke, welche Kraft es mich kostet, auf erlittenes Unrecht nicht mit Protest oder Gegenanschuldigungen zu reagieren, sondern klar zu bleiben und eine Lösung zu suchen.
Wie passt dieses Desaster zur christlichen Osterbotschaft?
Rossnagel: Das Zeichen des christlichen Gottes ist ein Marterwerkzeug, das Kreuz. Der Glaube spricht uns zu, dass Gott alle Kreuze der Welt kennt und mitträgt. Aber seit Ostern ist das Kreuz eben auch das Zeichen dafür, dass das Leid nicht das letzte Wort hat. Das Letzte ist das Leben, die Freude, die Fülle.
Können Sie am Sonntag tatsächlich frohen Herzens Halleluja singen?
Rossnagel: Ich gebe zu, es ist mehr ein Hoffnungsgesang für die Menschen, die unter dem Krieg leiden, als ein Jubelruf.
Noch so ein Karfreitagsthema: Die katholische Kirche hat viel an Glaubwürdigkeit verloren. Was sagen Sie Menschen, die austreten?
Rossnagel: Ja, es treten immer noch sehr viele Menschen aus der Kirche aus. Allen Ausgetretenen schreibe ich einen Brief, in dem ich ihnen meinen Respekt vor ihrer Entscheidung bekunde und ein Gespräch anbiete. Ich nehme sie ernst. Wenn es zu solchen Gesprächen kommt, sind sie meist sehr tief. Oft zeigt sich, dass die Menschen noch nie persönlich die Freude am Glauben erfahren konnten. Der Glaube wird als ein unbarmherziges Müssen gesehen. Die Kirche ist an dieser Vorstellung nicht unschuldig. Aber Gottes Hilfe und Gegenwart im eigenen Leben zu erfahren, ist etwas ganz anderes.
Viele zweifeln an dieser Institution. Können Sie uns ein paar gute Gründe nennen, in der Kirche zu bleiben?
Rossnagel: Die Institution war zu sehr Behörde, sie steckt auch deshalb in der Krise. Sie muss wieder näher bei den Menschen sein und sie Gott erfahren lassen, der das Leben bejaht und nicht kritisiert. Ich erlebe es an Krankenbetten und bei Trauerfeiern immer wieder, wie die Kirche trösten kann. Viele, die in ihrem guten Wollen gescheitert sind, sind überglücklich, wenn ich ihnen die Nähe Gottes zuspreche. Gar nicht zu reden von freudigen Anlässen wie Taufe und Hochzeit. Da kann Kirche Leben erschließen und ermutigen. Allein glauben kann ich nicht. Kirche lässt mich besonders in den Gottesdiensten eine Gemeinschaft erleben, die mir zunächst einfach guttut und mich darüber hinaus noch in meinem Hoffen stärkt. Man muss nur einmal eine Orchestermesse im Deutschordensmünster an Ostern erlebt haben, dann wird verständlich, was ich meine.
Manchmal meint man, die Kirche dreht sich mehr um sich selber.
Rossnagel: Nein. Die Kirche tut viel Gutes im Sozialen, im Bildungsbereich, kulturell. Viele Gläubige stellen jetzt wieder ganz spontan aus Mitgefühl und Nächstenliebe Geflüchteten Wohnraum zur Verfügung, sammeln und verteilen Lebensnotwendiges und beten für den Frieden. Ob sie es wissen oder nicht, da "geschieht Kirche", die weit über die Institution hinausgeht und doch zuinnerst mit ihr zu tun hat.
Kirche heißt auch Gottesdienst. Gibt es jetzt erstmals seit 2019 wieder fast normale Osterfeiern?
Rossnagel: Abstand ist nur noch geboten, nicht mehr Pflicht. Die Maskenpflicht bleibt aber. Deshalb können große Gottesdienste wieder in der Kirche stattfinden, nicht nur im Freien. Aber normal ist anders, auch wenn der Gemeindegesang wieder erlaubt ist.
Wie feiern Sie persönlich Ostern?
Rossnagel: Festliche Gottesdienste zu feiern, ist für mich ein großes Glück. So viele wirken dabei aktiv mit, so viele lassen sich von der Festtagsfreude anstecken. Das lässt mich in eine tiefe Freude kommen, ein "Es-ist-gut". Natürlich gibt es auch ein großes Festessen mit Osterlamm und Bohnen im Kreise lieber Menschen im Pfarrhaus.
Zur Person: Roland Rossnagel (67) ist seit 2014 Pfarrer am katholischen Deutschordensmünster St. Peter und Paul und seit 2019 Dekan von Heilbronn-Neckarsulm.
Ist Karfreitag der höchste Feiertag der Evangelischen, wie es so oft heißt? Die protestantische Tradition hebt tatsächlich den Aspekt des mitleidenden und erlösenden Gottes hervor, das Kreuz. Katholiken und Orthodoxe betonten eher den Triumph der Auferstehung, den Sieg des Lebens. In der Ökumene ist man sich heute einig: Beides gehört im christlichen Glauben untrennbar zusammen: Karfreitag und Ostern, Tod und Auferstehung. Und natürlich gehört auch Weihnachten dazu, das Fest der Geburt Jesu Christi, der Menschwerdung Gottes.