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Warum die Ariane 6 die letzte Einweg-Rakete der Europäer sein muss

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Beim DLR in Lampoldshausen wird jetzt die Oberstufe der Ariane 6 getestet. Wenn sie abheben darf, muss sich die europäische Raumfahrt bereits um einen wiederverwendbaren Nachfolger kümmern. Ansätze zur Nachhaltigkeit gibt es zuhauf, zeigt eine Konferenz in Heilbronn.

Die Oberstufe der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 im Werk der Arianegroup in Bremen. Jetzt wird sie beim DLR in Lampoldshausen getestet.
Foto: dpa
Die Oberstufe der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 im Werk der Arianegroup in Bremen. Jetzt wird sie beim DLR in Lampoldshausen getestet. Foto: dpa  Foto: dpa Frank T. Koch

Der Weltraum, endliche Weiten. So müsste heute wohl der Vorspann zu Star Trek beginnen - zumindest wenn der Blick auf die erdnahen Gebiete gerichtet wird. Zwischen 4000 und 8000 Satelliten umkreisen derzeit die Erde, die Schätzungen variieren. Abgesetzt wurden sie fast alle von sündhaft teuren Einmal-Raketen, die meist mit hochgiftigem Treibstoff die Erdanziehungskraft überwunden haben. Übrig bleibt dann Weltraumschrott, der nur mit Glück verglüht oder sein Ende im Südpazifik findet. Und die Zahl der Satelliten könnte sich in wenigen Jahren vervielfachen.

Treffpunkt Heilbronner Bildungscampus

Isil Sakraker Özmen ist eine der jungen Wissenschaftlerinnen, die bei der FAR-Konferenz zu nachhaltiger Raumfahrt in der Aula des Bildungscampus in Heilbronn erläutern, wie man Satelliten baut, die beim Absturz auch wirklich verglühen. "Ein mitreißender Vortrag", findet Achim Ehrhard, der im Foyer den Stand der Softwarefirma ESI betreut.

Gegenüber stellt Anett Krammer von der Schweizer Firma Almatech die ausfahrbaren Beine der wiederverwendbaren Rakete Retalt vor, die derzeit von Partnern aus vier europäischen Ländern entwickelt wird. Zukunft ist hier greifbar.

Europäer brauchen zu viel Zeit

Helmut Ciezki vom DLR in Lampoldshausen (von links), sein Standort-Chef Stefan Schlechtriem und Guillermo Ortega von Esa-Estec in den Niederlanden.
Foto: Gleichauf
Helmut Ciezki vom DLR in Lampoldshausen (von links), sein Standort-Chef Stefan Schlechtriem und Guillermo Ortega von Esa-Estec in den Niederlanden. Foto: Gleichauf  Foto: Gleichauf, Christian

Doch was heißt schon Zukunft. Elon Musk hat es 2015 bereits geschafft, seine Falcon 9 mit dem Triebwerk voran landen zu lassen. Auf eigene Rechnung hatte er sein Ziel verfolgt und erreicht. Das geht in Europa nicht. Hier wird gemeinsam bezahlt und dann jedes Projekt verteilt, je nach finanziellem Engagement. Das braucht Zeit.

Für die Organisatoren der Veranstaltung in Heilbronn gibt es Lob von allen Seiten, auf Deutsch oder auf Englisch, denn die 300 Teilnehmer kommen aus ganz Europa. Helmut Ciezki vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen und Guillermo Ortega von der Esa-Technik-Tochter Estec in den Niederlanden haben die FAR-Konferenz nach Heilbronn geholt. Es soll nicht die letzte Aktivität der Raumfahrt-Wissenschaftler hier sein.

Weitere, größere Konferenzen sollen folgen. "Wir könnten uns auch vorstellen, mit dem DLR einen Inkubator für Raumfahrt-Startups in Heilbronn aufzubauen", sagt Ortega. Hier könne das Dreieck aus Esa-DLR, Industrie und Universitäten gut funktionieren, ist er überzeugt.

Ariane-6-Oberstufe wartet in Lampoldshausen auf die erste Zündung

Die europäische Raumfahrt muss Fahrt aufnehmen. In vielerlei Hinsicht. An nichts lässt sich die Malaise besser ablesen als an den zahlreichen Verschiebungen, die der erste Starttermin der Ariane 6 erlebt hat. Statt 2020 wird es inzwischen wohl 2023.

Im Fokus ist jetzt der Triebwerksteststandort Lampoldshausen, wo die Oberstufe in den nächsten Tagen erstmals gezündet werden soll. DLR-Institutsdirektor Stefan Schlechtriem will für etwaige weitere Verzögerungen allerdings nicht verantwortlich gemacht werden. "Unser Prüfstand war 2019 fertig. Die Oberstufe kam erst 2021."

Wann immer die Ariane 6 abhebt, sie wird bereits veraltet sein. Ihre Nutzlast sollte sie eigentlich besonders günstig in den Orbit katapultieren. Doch im Vergleich zu den wiederverwendbaren Space-X-Raketen ist sie noch immer teuer.

Es steht viel auf dem Spiel

"Sie muss so schnell wie möglich fertig werden", fasst Schlechtriem zusammen, denn anschließend müssten sich die Europäer schließlich um den wiederverwendbaren Nachfolger kümmern, eine Ariane 7 oder "Ariane 6 Zukunft". "Wir müssen beten, dass die wiederzündbare Oberstufe, die jetzt bei uns in Lampoldshausen steht, funktioniert." Beten - nicht etwa, weil Schlechtriem grundsätzlich zweifelt, sondern weil so viel auf dem Spiel steht.

Es geht schließlich nicht nur um die technologische Souveränität Europas, die mit dem Krieg in der Ukraine einen neuen Stellenwert bekommen hat. Zudem geht es um einen riesigen Markt. Die Zahl der Raketenstarts weltweit wird sich von rund 100 im Jahr 2020 auf annähernd 600 im Jahr 2030 vervielfachen. "Aber wir können nicht mit jeder Rakete ein Loch in die Atmosphäre schießen", warnt Schlechtriem. Das passiert vor allem, wenn Treibstoffe wie Ammoniumperchlorat zum Einsatz kommen.

Lampoldshausen forscht auch an grünen Treibstoffen

Alternativen gibt es, sie sind Thema auf der Konferenz in Heilbronn und das Spezialgebiet von Helmut Ciezki, der seinen Ruhestand nun als Koordinator für fortschrittliche Treibstoffe und Antriebssysteme beim DLR verbringt. Seit 25 Jahren forscht er in Lampoldshausen, seit langem auch an den grünen Treibstoffen. Hier erklärt er, wie es mit flüssigem Methan und flüssigem Sauerstoff möglich ist, klimaneutral in den Weltraum zu fliegen, Triebwerke mehrfach zu zünden und die Rakete am Ende unbeschadet auch wieder zur Erde zurückzubringen.

"Daneben gibt es auch weitere Alternativen, die giftige Booster-Treibstoffe ersetzen können", sagt Ciezki. Ammoniumdinitramid-basierte Treibstoffe oder auch Kombinationen aus Wasserstoffperoxid und sogenannten ionischen Liquiden (flüssige Salze). Auch daran forscht das DLR.

Mehr Geld fürs Militär oder für die Raumfahrt? Oder beides?

Mit dem bevorstehenden exponentiellen Wachstum bei Raketenstarts und Satellitenplatzierungen im erdnahen Orbit werden Antworten auf drängende Fragen gegeben. Deutschland könnte eine gewichtige Rolle spielen, ist Ciezki überzeugt.

Ob die Bundesregierung dies ernsthaft unterstützt, scheint ungewiss. Derzeit steht die Wiederbewaffnung der Bundeswehr im Fokus. Zusätzliches Geld für die Raumfahrt ist kein Thema. Raumfahrt-Startups wie HyImpulse aus Neuenstadt oder deren Wettbewerber Rocket Factory in Augsburg und Isar Aerospace in München könnten aber den Start in eine kommerzielle Raumfahrt in Europa bedeuten.


Heikle Phase für die europäische Raumfahrt

Nur noch fünf Ariane-5-Trägerraketen stehen den Europäern zur Verfügung. Für die kleinere Vega gibt es noch drei Oberstufen. Nachschub wird die Ukraine nicht mehr liefern. Danach wäre Europa auf Raketen anderer Länder für die eigenen Satelliten angewiesen, sollte die Ariane 6 nicht abheben. "Dabei wollen wir doch autonom sein, was Erdbeobachtung, Navigation und vor allem militärischen Einsatz angeht", sagt Stefan Schlechtriem vom DLR in Lampoldshausen. Auch finanziell würde es dann eng. Es liegen schließlich Aufträge für 3,7 Milliarden allein von Amazon für den Transport seiner Kuiper-Kommunikationssatelliten vor. 18 Ariane 6 würde Jeff Bezos dafür kaufen.

Sorgen macht sich der Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe um den großen Absprachebedarf innerhalb der europäischen Raumfahrt, wobei auf Entscheidungen dann mitunter nicht einmal Verlass sei. So sollten beispielsweise die Booster für die Ariane 6 in Augsburg bei MT Aerospace entwickelt werden. Tatsächlich ging die Entwicklung nach Italien. Nun sorgt sich Schlechtriem, dass auch ein Beschluss des Esa-Ministerrats in Bezug auf Lampoldshausen nicht eingehalten wird: Eigentlich sollten dort die Abnahmetests für jedes Oberstufentriebwerk stattfinden, das dann in Kourou an den Start geht. Es würde die Zukunft des Standorts auf lange Sicht sichern.

FAR-Konferenz

Mehr als 300 Wissenschaftler und Experten waren vergangene Woche zu Gast auf der FAR-Konferenz in Heilbronn. Das Kürzel FAR steht für "Conference on Flight Vehicles, Aerothermodynamics and Re-entry Missions & Engineering". Sie fand zum zweiten Mal nach 2019 statt. Der nächste Termin ist 2024 in Arcachon bei Bordeaux geplant.

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