Am Heilbronner Kleist-Archiv scheiden sich die Geister
Die Kritik im Gemeinderat der Stadt Heilbronn am Kleist-Archiv Sembdner in der Stadtbibliothek wächst. Das Heilbronner Literaturhaus plant ein neues Konzept.

Es ist unscheinbar, fast schon versteckt im riesigen zweiten Stock des Heilbronner Einkaufszentrums K3. Und da derzeit auch noch die Stadtbibliothek wegen des anstehenden Umbaus in die Container an der Dammschule ausgelagert ist, verirrt sich praktisch niemand mehr in das städtische Archiv, das durchaus bedeutende Schätze der deutschen Literaturgeschichte beherbergt.
Umstrittene Einrichtung
Kleist-Archiv Sembdner steht in Leuchtbuchstaben vor dem seperaten Eingang neben der Bibliothek, wobei die Buchstaben "Archiv S" derzeit erloschen sind. Nachlässigkeit oder Zeichen der Zeit?, mag sich der Passant fragen, der die aktuellen Diskussionen, um das mehr oder weniger geliebte Archiv verfolgt. Denn nicht jeder Stadtrat und Bürger hält es für wünschenswert, das Archiv des bedeutenden Dramatikers und Erzählers Heinrich von Kleist, der die damalige Reichstadt Heilbronn im Titel seines weltbekannten historischen Ritterschauspiels "Das Käthchen von Heilbronn" verewigte, zu beherbergen.
Schärfster Kritiker des Archivs, das die Stadt im Jahr 1991 als Arbeitsbibliothek des Stuttgarter Professors Helmut Semdner übernommen und sukzessive weiterentwickelt hat, ist heute wohl der Linke Ehrhard Jöst. Er fordert in nahezu jeder Sitzung, die das Archiv zum Thema hat, die Auflösung oder Übersiedelung des Archivs ins Deutsche Literaturarchiv nach Marbach oder nach Frankfurt an der Oder. In der Stadt in der Heinrich von Kleist 1877 geboren ist, steht bereits ein großes Kleist-Archiv in das die Exponate aus Heilbronn integriert werden könnten.
Explodierende Umbaukosten
Auch im Zuge der explodierenden Umbaukosten der Stadtbibliothek, an die das Kleist-Archiv angegliedert ist, kamen im Gemeinderat Fragen auf, wer das Archiv, das auf 80 Quadratmetern mit einem zusätzlichen Lager sowie Vorraum untergebracht ist, überhaupt nutzt und was es der Stadt bringt. Immerhin bezahlt Heilbronn monatlich 870 Euro Miete für die Räume, ohne Nebenkosten und sonstige Aufwendungen.
Für Anton Knittel, seit Mitte 2019 Leiter des Literaturhauses, bei dem das Archiv seither angesiedelt ist, steht fest: "Der Dichter gehört zu Heilbronn." Er würde das Archiv daher gerne weiter in der Stadt sehen, betont der 61-Jährige. Klar ist aber auch, dass die Resonanz auf die Sammlung mit ihren rund 10 000 Büchern, Zeitungsausschnitten, Plakaten, Videos und Filmen auf immerhin 240 Regalmetern äußerst bescheiden ist, obwohl sie auch eine Kleist-Handschrift vom 2. Oktober 1810 und die Ludwig-Tieck-Ausgabe aus dem Jahre 1821 mit Schriften von Heinrich von Kleist enthält. "Es sind nur Einzelne, die hierherkommen, meist Wissenschaftler oder Studenten", gibt Knittel zu.
Neue Ideen

Er will die Sammlung und die Kleist-Rezeption künftig stärker im Bewusstsein der Stadt verankern. Und das auch mit Blick auf den 250. Geburtstag des Dichters. "Das wird sicherlich groß gefeiert und auch das Literaturhaus arbeitet an einem Konzept, wie künftig die Nutzung und Wahrnehmung des Archivs aussehen könnte", betont Knittel. Ihm schweben Themen wie Kleist und Künstliche Intelligenz, wegen der Nähe des Dichters zu den Naturwissenschaften, und Käthchen-Workshops mit Schulen sowie eine Ausstellung auf dem Bildungscampus mit Exponaten aus dem Archiv vor.
Sein gesamtes Konzept will Anton Knittel, der auch im Vorstand der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft ist, im März im Kulturausschuss des Heilbronner Gemeinderats vorstellen. Dann sollen auch die Diskussionen um die Zukunft des städtischen Archivs des Dichters endgültig verstummen, der den Namen Heilbronn heute noch in alle Welt hinausträgt. Kleists Käthchen von Heilbronn zählt aktuell zu den am meisten gespielten Stücken auf nationalen und internationalen Bühnen.
Warum das berühmte Käthchen ausgerechnet den Beinamen Heilbronn bekam, ist allerdings bis heute ungeklärt und wird es wohl auch bleiben. Das mag auch ein Grund sein, warum das Kleist-Archiv-Semdner derzeit ein so bescheidenes Dasein in der abgeschotteten Ecke der Stadtbibliothek fristet.