Bald neue Straßennamen? Heilbronn plant Umbenennung wegen NS-Bezug
39 Heilbronner Straßen tragen nach wie vor Namen von Nazis. Der Großteil soll nun ein Info-Schild bekommen, sieben sogar einen neuen Namen. Nicht allen Anwohnern dürfte das gefallen.
Am Donnerstag kommt die Sache in den Gemeinderat. Das Rathaus rechnet danach mit einem langen, rund einjährigen Verfahren, auch weil Anwohner gehört werden müssen. Bereits die Vorarbeiten reichen Jahre zurück.
Ende 2023 war ein Teil veröffentlicht worden. Dabei gab es postwendend eine spektakuläre Konsequenz: Weil er seine braune Vergangenheit vertuscht hatte, wurde wie Ex-OB Hans Hoffmann der städtische Ehrenring entzogen. Jetzt folgt ein weiterer Teil der Studie, der schon vor der Sitzung online im Ratsinformationssystem der Stadt abrufbar ist.

Heilbronner Straßen und NS-Verflechtungen: Studie und Expertenkommission als Basis
Unter Federführung des Stadtarchivs Heilbronn hat NS-Spezialistin Dr. Susanne Wein in einer 223 Seiten umfassenden Studienarbeit NS-Verflechtungen von Namensgebern der insgesamt über 1150 Heilbronner Straßen untersucht. Eine Kommission aus den Historikern Prof. Dr. Frank Engehausen, Prof. Dr. Thomas Schnabel, Prof. Dr. Christhard Schrenk und Direktor Cajus Wypior hat die Ergebnisse zuletzt „intensiv diskutiert“, heißt es in der Ratsvorlage, und weitgehend mitgetragen, bis auf zwei Ausnahmen: Alfred Finkbeiner und Frida Schuhmacher, bei beiden Namensgebern von Straßen wird zunächst nichts unternommen.
Folgende Heilbronner Straßen sollen umbenannt werden
Umbenannt werden sollen laut Ratsvorlage: August-Lämmle-Straße (Heilbronn-Ost), Damaschkestraße (Sontheim), Dühringstraße (Heilbronn-Nord), Felix-Wankel-Straße (Biberach), Georg-Vogel-Straße (parallel Neckartalstraße), Ina-Seidel-Straße (Biberach) und Rombachstraße (Böckingen).
August Lämmle (1876–1962) war ein schwäbischer Mundartdichter. Schon 1933 trat er in die NSDAP ein, war Mitglied der Reichsschrifttumskammer und der Reichskulturkammer, bezeichnete Hitler als „Gottesgeschenk“, huldigte der Blut-und-Boden-Ideologie und war Antisemit.
Adolf W. F. Damaschke (1865–1935) war Lehrer, Bodenreformer und Gründer von Siedlungsgesellschaften. Er begrüßte die Machtübernahme der Nationalsozialisten und hatte eine Affinität zur rassistischen und völkischen Blut- und Boden-Ideologie.
Eugen Dühring (1833–1921) bezeichnete als NS-Ideologe Juden als „Parasiten“, als „misslungendste Erzeugnisse der Natur“ und „Rasse ohne jeden kulturellen Wert“. Die nach ihm benannte Straße liegt ausgerechnet am Judenfriedhof im Breitenloch.
Felix Wankel (1902–1988) war schon früh Mitglied NSDAP, machte Karriere in der Rüstungswirtschaft, erhielt dafür ein Forschungslabor und gehörte als SS-Obersturmbannführer zu Hitlers Wirtschaftsberatern.
Georg Vogel (1893–1961) trat schon 1932 in die NSDAP ein. Der spätere Heilbronner Hafendirektor habe vor der Spruchkammer nicht nur seinen Parteieinsatz verschwiegen, sondern behauptete, nur auf Druck Mitglied geworden zu sein, was laut Studie beim Parteibeitritt 1932 (als „Alter Kämpfer“) nicht zutreffend sein könne.

Ina Seidel (1885–1974) war ein Aushängeschild der NS-Literatur, unterschrieb 1933 mit 87 anderen Autoren das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ für Hitler. 1966 erhielt sie aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus das Große Bundesverdienstkreuz.
Otto Rombach (1904-1984) war zwar nicht Parteimitglied, ergriff aber die Möglichkeit, seine Karriere als Schriftsteller von Unterhaltungsliteratur während des Nationalsozialismus voranzutreiben und hatte in dieser Zeit seine größten Erfolge.
Hermann Rombach (1890-1970) war Kunstmaler und Schriftsteller. Er trat 1933 der NSDAP bei und war außerdem von 1935 bis 1939 Fördermitglied der Allgemeinen SS.
An folgenden Heilbronner Straßenschildern sollen Infos angebracht werden
An 27 Straßenschildern sollen Info-Tafeln erklären, welche Rolle der Namensgeber in der NS-Zeit spielte: Hanns Bauer, (Neckargartach), Hugo Eckener (Sontheim), Ernst Flammer (Weg), Wilhelm Flinspach (Biberach), Gottlob Frick (Platz), Otto Hahn (Biberach), Rudolf Harbig (Kirchhausen), Jakob Haspel (Neckargartach), Gerhart Hauptmann (Biberach), Werner Heisenberg (Biberach), Sepp Herberger (Kirchhausen), Isolde Kurz, August Läpple, Max Laue (Sontheim), Karl Maas (Böckingen), Karl Marbach (Böckingen), Wilhelm Mattes (Weg), Willy Mayer (Brücke), Karl Nägele (Brücke), Carl Orff (Biberach), Max Planck (Sontheim), Wilhelm Schäffer (Neckargartach), Richard Schirrmann, Hermann Staudinger (Weg, Sontheim), Ernst Vogelmann (Kunsthalle), August Wankmiller (Neckargartach), Ernst Wecker (Sontheim) und Heinrich Zügel.
Stadt Heilbronn hat schon alternative Namen in der Schublade
Als Alternativen zu den NS-belasteten Namensgebern sollen im Falle einer Umbenennung Menschen als neue Straßen-Namensgeber ausgesucht werden, die dem Widerstand gegen das NS-Regime zuzuordnen sind oder von diesem verfolgt wurden. Derzeit sind laut Ratsvorlage folgende Namen in Prüfung:
Dr. Fritz Bauer (16.7.1903 - 1.7.1968), Jurist, hessischer Generalstaatsanwalt, Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse
Georg Elser (4.1.1903 - 9.4.1945), Widerstand gegen NS-Regime
Isidor Flegenheimer (1856 -12.7.1940), Kaufmann, langjähriger Vorstand der jüdischen Gemeinde
Else Josenhans, geb. Meyer (1896 in Heilbronn -11.4.1945), ermordet im Stuttgarter Gestapogefängnis (Hotel Silber) wegen jüdischer Abstammung
Alfred Rosenfeld (10.4.1908 -12.6.1946), Manager aus Heilbronn, half vielen jüdischen Flüchtlingen in Indien
Phillip Rypinski (3.4.1884 - 28.6.1943), Komponist und Kapellmeister am Stadttheater Heilbronn
Dr. Anton Stegmann (6.10.1885 - 14.12.1974), von 1922 bis 1946 Stadtpfarrer der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Gegner des NS-Regimes
Paula Straus (1894 - 10.2.1943), eine der ersten Industriedesignerinnen Deutschlands, Designerin bei Bruckmann, ermordet in Auschwitz
Walter Vielhauer (1.4.1909 - 19.4.1986), KPD-Stadtrat, Widerstand gegen NS-Regime
Anwohner müssen gehört werden: Stadt Heilbronn rechnet schon mit Streit
Für jede Straße, die umbenannt werden soll, muss ein spezielles, insgesamt rund einjähriges Verfahren durchgeführt werden, inklusive Anhörung der Anwohner, denn für sie entstünden Kosten für neue Briefköpfe, Visitenkarten, Stempel oder Schilder, aber auch für einen neuen Personalausweise oder etwa Fahrzeugschein. „Aufgrund der Erfahrung anderer Städte“ könnten rechtliche Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden, heißt es heute schon im Rathaus. Und: Jede einzelne Umbenennung muss vom Gemeinderat beschlossen werden. Danach soll es eine einjährige Übergangszeit geben, in der auch das alte Straßenschild neben dem neuen hängen bleibt, auch damit Navigationsgeräte auf den aktuellen Stand gebracht werden können.
Richtlinien und Kriterien in Bezug auf die NS-Belastung
Den Empfehlungen der Experten zugrunde liegen laut Ratsvorlage folgende Richtlinien und Kriterien:
Eine Straßenbenennung ist eine hohe Ehre. An einen Straßen-Namensgeber ist deshalb ein strengerer Maßstab anzulegen als an einen „Normalbürger“.
An einen Schul-Namensgeber ist ein noch strengerer Maßstab anzulegen als an einen Straßen-Namensgeber. Denn hier kommt noch zusätzlich die Funktion hinzu, ein Vorbild für Schülerinnen und Schüler bzw. Jugendliche darzustellen.
Indizien für eine schwere NS-Belastung, die eine Umbenennung empfehlenswert erscheinen lassen, sind: Beitritt zur NSDAP vor dem 30. Januar 1933 („Alte Kämpfer“, diese wollten den demokratischen Staat zerstören), Nutznießertum (massive persönliche, materielle Bereicherung), Aktive Förderung des Nationalsozialismus / Ausübung von Ämtern.
Urkundenfälschung bei der Entnazifizierung / vertuschender Umgang mit der eigenen Biografie.
Nicht jede NS-Verflechtung führt automatisch zur Umbenennungs-Empfehlung. Es gibt auch die Empfehlung zur „Kommentierung“ im Sinne von „Dokumentation, Information und Kommunikation“.
Alle Namensgeber, die Mitglieder in der NSDAP, der SA und/oder der SS bzw. der NSF waren, werden kommentiert.
Der Grad der NS-Belastung wird nicht durch die Anzahl der Anwohner einer Straße oder die Lokalisierung einer Firma beeinflusst.

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