Klirrende Kälte in Heilbronn: Erfrierungsschutz bietet Hilfe für Obdachlose
Der Erfrierungsschutz der Neckarhalde bietet Obdachlosen nicht nur Wärme, sondern auch menschlichen Trost. Ehrenamtliche geben Hoffnung in kalten Winternächten.
"Melanie, ich hab dich voll lieb“, sagt Kai. „Gell, du bist müde heute?“, fragt Melanie Körmann. „Ruh dich ein bisschen aus. Ich bin für dich da.“ Kai lächelt, seine Augen sind glasig. Er hat schon einiges intus, was genau, ist unklar. Ein bisschen menschliche Wärme, ein Bett im Trockenen, deshalb ist der 40-Jährige heute wieder zum Erfrierungsschutz gekommen, der in den Wintermonaten in den Mitarbeiterräumen des Freibads Neckarhalde eingerichtet ist.
Auch Berufstätige kommen nachts noch in den Heilbronner Erfrierungsschutz
Melanie Körmann hat heißen Tee gekocht für die bislang 14 Gäste, gemeinsam mit ihrem Mann Volker schiebt sie heute die zweite Nacht Dienst in Folge. Ehrenamtlich, wie alle nächtlichen Betreuer. Schlaf ist für die fünffachen Eltern dann eigentlich nicht vorgesehen. Wenn einer der Männer an die Tür klopft, sind sie da. Außerdem erwartet das Paar gegen Mitternacht noch zwei Nachzügler, die im Logistikbereich und in der Paketauslieferung arbeiten, und dann von der Schicht kommen.
Auch das gibt es, Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, und trotzdem obdachlos sind. „Eine Wohnung zu finden, ist halt brutal schwer“, sagt Volker Körmann. „Besonders mit geringem Verdienst.“ Gleichzeitig hoffen sie, dass eine 64-Jährige, die oft am Bahnhof schläft, krank und schwerhörig ist, in dieser Nacht noch den Weg in die Neckarhalde findet. Gerade ist ein junger Vietnamese angekommen, dem Melanie Körmann aus den Turnschuhen hilft. Nach einem Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt.
Weihnachten im Erfrierungsschutz: Auch einen Christbaum hat Familie Körmann aufgestellt
Um 20 Uhr macht der Erfrierungsschutz offiziell auf, aber schon 20 Minuten vorher öffnen Körmanns die Pforten. Besonders, wenn es so kalt und nass ist draußen. Der Tannenbaum, den sie aufgestellt und mit roten Kugeln geschmückt haben, empfängt auch an diesem Abend die Männer und die bislang einzige Frau.
Rouven aus Bulgarien hat sich früh seinen Stammplatz gesichert, das Klapp-Bett mit dem Traktoren-Bezug für Kinder. Fast liebevoll legt er seinen VfB-Fanschal zusammen. Den gab es tags zuvor als Spende. „Alles gut, kein Problem“, sagt er und hält den Daumen hoch, als er sieht, dass Melanie Körmann mit seinen Tabletten kommt. Ob er Kinder hat? Rouven nickt, hält zwei Finger hoch. Unvermittelt schießen ihm die Tränen in die Augen. Heute wurde sein Enkel geboren. Die gelernte Sanitäterin fasst ihn am Arm, dankbar und augenblicklich versenkt er den Kopf in ihrer Schulter. Ein bisschen Trost, weit weg von der Heimat. Gut tut das.
Im Vorraum löffeln Frankie aus Hamburg und Kai-Uwe aus Berlin chinesische Instant-Suppe. „Wir hatten gehört, dass wir uns hier als Deutsche nicht blicken lassen sollten. So ein Quatsch“, sagt Frankie. In Heilbronn seien eh alle so herzlich. „Etwas Gesundes“ würde er sich mal wünschen, „Vitaminreiches Gemüse, könnten Sie das vielleicht reinschreiben, dass die Leute so etwas spenden?“
Mann landet nach Streit mit Schwester im Heilbronner Erfrierungsschutz
Kai Uwe, hünenhaft groß, akkurat frisiert, modische Winterjacke und rote Sneaker: Kein Mensch würde bei seinem Anblick vermuten, dass er auf der Straße lebt. Vor wenigen Tagen hat sich der 44-Jährige, der zuletzt im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet hat, mit seiner Schwester zerstritten, die ihn wegen seiner Geldnöte aufgenommen hatte. Die Polizei am Hauptbahnhof gab dem Ortsfremden den Tipp mit dem Erfrierungsschutz.

„Klar, im Männerzimmer ist es noch schlimmer als bei den Frauen“, sagt er mit Berliner Zungenschlag. „Lautes Schnarchen, Käsefüße, Alkohol- und Schweißgeruch. Aber entweder du musst Scheiße fressen, oder du nimmst Hilfe an.“ Dankbar ist er, dass er nun übers Unterstützungszentrum uwi26 eine Meldeadresse hat und Bürgergeld beziehen kann. „Ich will hierbleiben, auf die Beine kommen und einen Neustart schaffen.“ Auch den Kontakt zu seinem dreijährigen Kind möchte er dann halten.
Unter den Obdachlosen in Heilbronn sind auch einige Trennungsfälle
Alkohol, Süchte, Depressionen und andere psychische Themen: Die Menschen landen mit vielen unterschiedlichen Problemen hier. Viele Trennungsfälle sind darunter. „Bei Männern geht’s schneller, so kommts mir vor“, sagt Volker Körmann und rückt die Betten zurecht. „Frauen kommen eher noch irgendwo unter.“
Warum er nach seiner Zwölf-Stunden-Blockwoche im Rettungswagen als Notfallsanitäter beim Erfrierungsschutz im Einsatz ist? „Der Hauptgrund sind die Leut’“, sagt der 42-Jährige. „Es ist gut, denen ein bisschen zu helfen.“ Deswegen schiebt er auch an Silvester Dienst. Mit seinem 21-jährigen Sohn Immanuel. Auch die Nacht am 1. Januar übernimmt der Sohn, dann gemeinsam mit seiner Mutter.
Der Erfrierungsschutz ist eine Einrichtung der Aufbaugilde Heilbronn-Franken in den Wintermonaten von November bis März. Die Nachfrage steigt. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es bei einer Summe von bisher 609 Übernachtungen 83 Übernachtungen mehr im Vergleich zum Vorjahr. Wie jedes Jahr verkauft das diakonische Sozialunternehmen Shirts, Hoodies, Schals und Handschuhe im Rahmen der Aktion „spendet Wärme“, um aus dem Erlös Übernachtungen des rein spendengestützten Angebots zu finanzieren.