Gedenkfeier zur Zerstörung Heilbronns: Demokratie erfordert Mut und Demut
Eindrucksvolle Reden auf der Gedenkfeier zum Jahrestag der Zerstörung Heilbronns 1944: OB Mergel und Dekan Rossnagel mahnen, aus den Fehlern von damals fürs Heute zu lernen.

O wohl dem Land, o wohl der Stadt.“ – Mit Adventsliedern wie „Macht hoch die Tür“, aber auch mit politischen und persönlichen Worten erinnerte die Stadt am Donnerstag bei der traditionellen Gedenkfeier an die Zerstörung Heilbronns am 4. Dezember 1944. 200 Besucher fanden dazu den Weg ins Köpfertal, wo im sogenannten Ehrenfriedhof mehr als 6500 Opfer begraben sind. Zwischen Kränzen und Fackeln, zwischen Liedern von Posaunen- und Urbanus-Chor sowie Friedens-Fürbitten vom evangelischen Dekan Christoph Baisch, traten zwei Hauptredner ans Pult: Oberbürgermeister Harry Mergel und der katholische Dekan Roland Rossnagel.
Heilbronns OB Harry Mergel: Die Tragödie hat ihren Ursprung Jahre zuvor gehabt
„Noch heute trauern Menschen um die verlorene Pracht der Stadt“, sagte der OB. „Wir aber sind hier, um der Opfer zu gedenken. Und wir erinnern daran, wie kostbar und wichtig Verständigung und Frieden sind.“ Mergel gab zu bedenken, dass „der Schicksalstag, die entsetzliche Konsequenz eines Krieges war, den Deutschland angezettelt hatte“. Die Tragödie habe ihren Ursprung Jahre zuvor gehabt, als Deutschland seine Werte, seine Demokratie, sein Rechtssystem aufgab. „Es folgten ein Krieg und barbarische Verbrechen, die 60 Millionen Menschen das Leben kosteten.“
Packende Einzelschicksale und Erinnerungen
Die „Nachbeben“, so der OB, seien bis heute zu spüren, auch in bewegenden Erzählungen: etwa die von Gefangenen aus der Steinstraße, die viele Menschen aus verschütteten Kellern retteten, von Kriegsheimkehrern, die ihr Elternhaus nicht mehr fanden, weil es nicht mehr da war, von Schildkröten die das Inferno überlebt hatten. Der OB hob den zum Christentum konvertierten Juden Theodor Grünebaum hervor, der 1938 aus dem KZ Dachau nach England entkam, während Frau und Tochter starben.
„Doch unsere Stadt, unser Land“ hätten eine zweite Chance erhalten, sagte Mergel. „Die Schuld, die unser Volk auf sich geladen hat, wurde vergeben – vergessen aber ist sie nicht. Es bleibt unsere Verantwortung, aus den Fehlern zu lernen.“ Gleichzeitig gewännen Intoleranz, Hass und Fremdenfeindlichkeit wieder an Boden. „Kriegstüchtig zu werden“ – anstatt endlich friedensfähig – laute die Parole der Stunde, leider. Um so mehr seien alle aufgerufen, offen zu bleiben für das Gespräch, für den Handschlag, der die Waffen schweigen lasse. Denn Denn Frieden beginne im Kleinen: im Gespräch, im Zuhören, im Respekt, in der Bereitschaft zur Versöhnung.
„Gottseidank leben wir heute in einem Rechtsstaat mit Meinungsfreiheit“
Dekan Rossnagel knüpfte daran an. Er vergegenwärtigte zunächst die damalige Angst um die Liebsten, vor der Kälte, vor dem Sterben – vor dem politischen System, der „herrschenden Meinung“, die keinen Widerspruch, keine Differenzierung duldete. „Gottseidank leben wir heute in einem Rechtsstaat, in dem freie Meinungsäußerung nicht nur ein Grundrecht, sondern sogar die Bedingung für die Demokratie ist“, betonte Rossnagel. Gleichwohl seien auch uns Angstgefühle nicht fremd.
Denken und die eigene Meinung zu vertreten, erfordern Mut, aber auch Demut
Der Theologe zeigte, wie sein Glaube Angst und Widersprüche zu überwinden oder zu ertragen helfe – und er erinnerte an die deutsch-jüdisch-christliche Publizistin Hannah Arendt, die vor genau 50 Jahren starb. Sie habe sich mit den Mechanismen totalitärer Regime befasst und gewusst: Denken und die eigene Meinung zu vertreten, erforderten Mut, aber auch Demut, Ruhe, Inne- und Aushalten.
Meinungen kämen heute oft absolut oder als vermeintliche Fakten daher, während wissenschaftliche Erkenntnisse zu Meinungen herabgewürdigt würden. Die Bereitschaft zu sachlicher Diskussion, zum Differenzieren sei anstrengend, so der Dekan, könne aber „gelernt und immer wieder neu eingeübt werden“. Dafür brauche es „Mut, Standhaftigkeit und einen langen Atem“: in und vor allem für unsere Demokratie.


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