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Jahrestag der Zerstörung Heilbronns 1944: „Menschheit hat nichts dazugelernt“

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An diesem Donnerstag vor 81 Jahren wurde Heilbronn bei einem Bombenangriff total zerstört. Elke Eisenmenger (94) hat den 4. Dezember 1944 knapp überlebt. Ihr Ehemann hat die Trümmerstadt in Bildern dokumentiert.


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Montag, 4. Dezember 1944, fünf Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Von 19.18 Uhr an wirft die britische Royal Air Force 1,26 Millionen Kilogramm Bomben über Heilbronn ab, innerhalb von 37 Minuten. Die Altstadt geht in der Nacht auf Dienstag im Feuersturm unter. Die Zahl der Toten kann nur geschätzt werden, 6500, heißt es. Die meisten werden auf dem Ehrenfriedhof im Köpfertal begraben, wo am heutigen Jahrestag um 15 Uhr die traditionelle Gedenkfeier stattfindet.

Der 4. Dezember hat sich tief ins kollektive Bewusstsein der Region eingegraben. Veranstaltungen, Mahnmale, Bücher, Kunstwerke, Konzerte und vieles mehr halten die Erinnerung wach, auch Zeitzeugen – von denen es inzwischen immer weniger gibt.

Heilbronn glich nach dem Bombenangriff lange einer Geisterstadt. Foto: HSt/Stadtarchiv/Eisenmenger
Heilbronn glich nach dem Bombenangriff lange einer Geisterstadt. Foto: HSt/Stadtarchiv/Eisenmenger  Foto: Eisenmenger\, Hermann

Feuersturm über Heilbronn: „Es gelingen ihm Bilder von einer unheimlichen und grausamen Ästhetik“

Die 94-jährige Elke Eisenmenger hat Vieles von damals noch bildhaft vor Augen: aus eigener Erfahrung, aber auch von Erzählungen und von Fotos, die ihr Ehemann Hermann Eisenmenger in der Ruinenstadt schoss. Wie kürzlich berichtet, kam der spätere Stimme-Fotograf und Foto-Künstler am 8. November 1925 zur Welt, also vor 100 Jahren.

Wir nehmen dies zum Anlass, einige seiner Fotos vom zerstörten Heilbronn zu zeigen. Bei seinen Streifzügen, so hat es sein Kollege Uwe Jacobi einmal umschrieben, gelingen „ihm Bilder von einer unheimlichen und grausamen Ästhetik. Trümmerfelder oder einzelne zerstörte Bauwerke in ungewöhnlichen Lichtsituationen, menschenleere Raume“.

Die Ruinenlandschaft übt offensichtlich eine große Faszination auf ihn aus. So schreibt Eisenmenger etwa am 24. April 1946 in sein Tagebuch: „Trümmeraufnahmen in der Stadt machen. Begeistert, doch wenig Material!“ Später bedauert er nur, dabei fast keine Menschen abgebildet zu haben.


Vom Kriegseinsatz zurück in seine zerstörte Heimatstadt Heilbronn

Eisenmenger hat die Zerstörung seiner Heimatstadt nicht miterlebt. Im April 1943 wird er mit 17 Jahren zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, 1944 zur Wehrmacht. Er kämpft im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront, in den Ardennen und zuletzt in Norddeutschland. Am 8. Dezember schickt ihm seine Mutter eine Postkarte: „Wir leben alle. Haus steht noch.“ Am 13. Dezember notiert er in sein Tagebuch: „Habe im Radio gehört, dass Heilbronn angegriffen wurde“.

Erst am 30. Juli 1945 kommt er nach kurzer Gefangenschaft heim. „Heilbronn in einem trostlosen Zustand“, notiert Eisenmenger in sein Tagebuch, das er ab 1940 im Telegrammstil führt. „Er hat eigentlich nie viel geredet, auch vom Krieg nicht“, berichtet Ehefrau Elke. Seine Bilder sprechen für ihn. Das spätere Ehepaar hat sich übrigens in den 1950ern bei der Stimme kennengelernt.

Die zerstörte Kilianskirche aus Richtung Lammgasse.
Die zerstörte Kilianskirche aus Richtung Lammgasse.  Foto: Hermann Eisenmenger

Ein Soldat am Dortmunder Bahnhof warnt: „Da ist die Hölle los“

Elke Eisenmenger, geborene Drews, stammt eigentlich aus Hamburg. Sie erlebt dort als Kind die ersten Fliegerangriffe – in den Ferien, denn die Familie ist schon 1938 nach Dortmund gezogen, „wo bald alles noch schlimmer kam“. 1943 wird sie wie viele andere Kinder auf die Fraueninsel im Chiemsee evakuiert. Während der Vater im Krieg ist, will die Mutter zurück in die Hansestadt. Doch ein Soldat am Dortmunder Bahnhof warnt sie, „da ist die Hölle los“, weshalb sie sich spontan entschließt, den Zug nach Süden zu nehmen, um bei ihrer Mutter in Frankenbach Schutz zu suchen.

Bald kommt die kleine Elke nach und erlebt bei der Oma in deren Häuschen an der heutigen Kaiserslauterner Straße, „eine schöne Zeit“. Täglich fährt sie mit dem Fahrrad zur damaligen Mädchenrealschule am Hafenmarkt, im Winter läuft sie meist zu Fuß und ab Böckingen geht es weiter mit der Straßenbahn, der Spatzenschaukel.


Elke Eisenmenger entkommt dem Inferno nur knapp dank mutiger Lehrerin

Am 4. Dezember 1944 entgeht Elke Eisenmenger wohl nur dank ihrer couragierten Lehrerin knapp dem Tod. In ihren Lebenserinnerungen hat sie das Unfassbare in Worte gefasst. Wir geben ihre Schilderungen leicht redigiert wider: „Schon Stunden vorher wurde uns bewusst, dass die heulenden Sirenen heute Unheil bedeuteten. Leuchtraketen, verharmlosend Christbäume genannt, erhellten die Umgebung, so dass man Zeitung hätte lesen können. ,Heute wird es ernst´, sagte jemand. Kurz bevor ich den rettenden Keller erreichte, sauste neben mir mit Getöse ein metallener Gegenstand zu Boden, zum Glück nur ein leerer Benzinkanister.“

„Packt zusammen Kinder und macht, dass ihr nach Hause kommt!“

Und weiter schreibt Elke Eisenmenger: „An diesem Tag hatten wir nachmittags Schulunterricht. Unsere Schule war im alten Kloster neben dem Hafenmarkt-Turm untergebracht. Bei Fliegeralarm mussten wir Schulkinder mit vielen anderen Menschen in den Luftschutzraum Kaisersheimer Hof, ein riesiger Gewölbekeller unter der Sülmerstraße. Es war sehr unheimlich da unten, viele steile Stufen führten hinab.

Während des Unterrichts, Fach Handarbeit, gab es mehrmals Voralarm und dann wieder Entwarnung – die Schulen hatten ein eigenes Warnsystem. Als wieder das schreckliche Heulen der Sirenen ertönte, sagte unsere Lehrerin: ,Packt zusammen, Kinder und macht, dass ihr nach Hause kommt!´

Über 600 Menschen sterben im verschlossenen Luftschutzkeller unter der Sülmerstraße

Der Altneckar im Bereich der Unteren Neckarstraße.
Der Altneckar im Bereich der Unteren Neckarstraße.  Foto: Hermann Eisenmenger/HSt/Stadtarchiv

Das war gegen die Vorschrift, sie hätte uns sofort in den Keller schicken müssen. Doch welch ein Glück, oder war es Schicksal, war es Vorsehung? In diesem Keller sind während des Angriffs über 600 Personen, meist Frauen, Kinder und ältere Männer elend umgekommen.

Sie erstickten, denn die Häuser über ihnen brannten lichterloh, der Sauerstoff wurde knapp, die Tore waren verschlossen, niemand durfte raus. Es muss schrecklich gewesen sein, obwohl – wie es hieß – man sie friedlich schlafen fand. „Niemand aus unserer Klasse wäre lebend herausgekommen.“

Elke Eisenmenger
Elke Eisenmenger  Foto: Krauth, Kilian

„Ich bin in großer Sorge, nicht um mich, sondern um meine Kinder und Enkel“

Wenn die 94-jährige Elke Eisenmenger heute zurückdenkt und gleichzeitig Filme und Fotos aus der Ukraine, aus Gaza und aus anderen aktuellen Kriegs- und Krisengebieten sieht, wird sie traurig. „Und wenn dann noch Leute wie Putin, Netanjahu oder Trump an der Macht sind, bekomme ich Angst, dass das alles eskaliert.“ Auch die Politik der Nato und die Waffenlieferungen der Bundesregierung hält sie für gefährlich. „Ja, ich bin in großer Sorge, nicht um mich, sondern um meine Kinder und Enkel, um kommende Generationen. Denn die Menschheit hat nichts dazugelernt.“

 


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