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4. Dezember 1944: Warum die Engländer Heilbronn total zerbombten

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Vor 79 Jahren wurde die Heilbronner Innenstadt bei einem Bombenangriff völlig zerstört. 6500 Menschen starben. Professor Christhard Schrenk zu den Hintergründen und zu den Lehren, die man daraus für heutige Konflikte und Kriege ziehen müsste.

Das Bild des Militärfotografen Max Richard Platte zeigt Menschen am Bahnhof auf der Flucht vor dem Feuer.
Das Bild des Militärfotografen Max Richard Platte zeigt Menschen am Bahnhof auf der Flucht vor dem Feuer.

An diesem Montag jährt sich der verheerende Fliegerangriff auf Heilbronn zum 79. Mal. Am 4. Dezember 1944 wurde die Altstadt komplett zerstört, mehr als 6500 Menschen starben. Der Direktor des Stadtarchivs Heilbronn, Professor Christhard Schrenk, ordnet den Tag in die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg ein. Er erklärt, warum es Heilbronn so hart traf, äußert sich zum "Moral Bombing" der Engländer, zum Wandel der Gedenkkultur. Mit Blick in die Ukraine und den Nahen Osten erklärt der Historiker, was man aus Tagen wie diesen eigentlich lernen könnte.

Warum hat es damals ausgerechnet Heilbronn getroffen, war die Stadt strategisch so wichtig?

Christhard Schrenk: Ziel der Alliierten war es, Nazi-Deutschland zu besiegen. Es hat viele Städte getroffen - auch Heilbronn, weil es die Strategie der Engländer war, Städte zu zerstören, Menschen zu demoralisieren, damit sie ihren Diktator davonjagen. Dazu hatten die Engländer eine Liste erstellt, die sie Stück für Stück abgearbeitet haben, abhängig etwa vom Wetter, von der aktuellen Lage, von den Interessen ihrer Bodentruppen. Und da war am 4. Dezember 1944 eben Heilbronn dran.


 

Stand an diesem Tag nicht auch Ulm zur Debatte?

Schrenk: Ja. Tatsächlich war es noch am Morgen nicht klar, welche der beiden Städte es treffen sollte. Die Entscheidung ist dann am späten Vormittag gefallen auf der Basis von Wetterdaten. In Ulm herrschte wohl Nebel und dadurch hatten die Flieger eine schlechte Sicht.

 

War diese Demoralisierung, die Engländer sprachen von Moral Bombing, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs überhaupt notwendig?

Schrenk: Der Krieg war natürlich für Deutschland längst verloren. Aber Hitler hat ihn eben nicht beendet, sondern in die Länge gezogen. Ob die Engländer durch ihre Bomben den Krieg nun verkürzt oder verlängert haben, ist eine schwierige Frage. Nicht funktioniert hat es in dieser Hinsicht: Man hat die Bevölkerung dadurch nicht gegen die Nationalsozialisten aufgebracht. Das Standing der Nazis wurde sogar besser, weil diese sich darauf eingestellt hatten, dass täglich eine andere Stadt dran ist. Deshalb haben sie an sicheren Orten wie Tunnels, Stollen, Bergwerken Hilfsgüter bereitgestellt. So war die Symbolik für die betroffenen Menschen einfach: Die Engländer zerstören unsere Häuser, die Nationalsozialisten helfen uns. Das Moral Bombing hat also nicht funktioniert.


 

Wenn die Luftangriffe vorauszusehen waren, warum gab es in Heilbronn dann so viele Tote?

Schrenk: Weil der Feuersturm in unserer Stadt aus Sicht der Engländer so richtig gut gelungen ist. Artur Harris, der sogenannte Bomber-Harris, hatte die Idee, dass man die Städte insgesamt zur Waffe gegen die Bürger macht, indem man die Bomben so abwirft, dass die ganze Stadt brennt. Das hat aus Sicht von Harris, das schreibt er in seinen Memoiren, in Heilbronn erstmals so richtig funktioniert. Bis dahin sagten die Nazis den Leuten: Nach einem Angriff bleibt ihr im Keller. Das war zunächst richtig gedacht, weil zehn, zwanzig Prozent der Bomben mit Zeitzündern versehen waren, teilweise mit Stunden Verzögerung. Da dachte man: Bleibt erst mal drin, bis der Spuk vorbei ist. Das war der Fehler, denn nachdem der Feuersturm in Gang gekommen war, sind alle in ihren Kellern erstickt. Tatsächlich hat man die Taktik danach geändert auf: Alles raus! Deshalb war es in Ulm nicht so schlimm, wobei es auch dort 1000 Tote gab, aber natürlich ist jeder Tote einer zu viel.

 

Weiß man, wie viele in Heilbronn genau starben?

Schrenk: Es gibt die Zahl 6500, die ungefähr stimmen mag. Anfangs hatte man viel höhere Zahlen vermutet, diese aber nach und nach runter korrigiert. Es gibt Listen von gestorbenen Einwohnern, wobei auch diese lückenhaft sind. Bis ins Letzte Detail ließ und lässt sich das nicht aufklären, auch weil zum Beispiel zufällige Gäste von auswärts schwer zu identifizieren waren.

 


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Wie kann man sich den Tag danach vorstellen?

 Foto: nicht angegeben

Schrenk: Es war schnell klar: Bei so vielen Toten, muss man eingreifen und kann nicht warten, bis jeder seine Angehörigen bestattet. Die Stadt hat dann innerhalb von wenigen Tagen organisiert, dass man am Köpfer ein Areal als Friedhof nutzt. Das Ganze nannte man Ehrenfriedhof. Wobei man diskutieren kann, ob es eine Ehre war, für "Volk, Führer und Vaterland" zu sterben. Man kann es auch anders sehen und sagen: Da werden die Toten geehrt. Jedenfalls hat man zum Ausheben der Gräber auch Zwangsarbeiter rekrutiert und KZ-Häftlinge. Ganz wichtig: Die Toten sind nicht in Massengräber geworfen worden. Sie wurden wirklich fein säuberlich einzeln nebeneinander gelegt und die Lage genau dokumentiert. Das war angesichts des herrschenden Chaos eine große Verwaltungsleistung. Die Pläne, wer wo liegt, gibt es bei uns im Stadtarchiv. Früher wurden sie häufig nachgefragt wenn jemand schauen wollte, wo denn die Oma, der Onkel, der Vater, die Mutter bestattet ist.

 

Sehen Sie einen Wandel in der Art des Gedenkens?

Schrenk: Ja, eindeutig. Grob gesagt die ersten 50 Jahre erfolgte das Gedenken aus Sicht der gepeinigten Heilbronner, die in Kellern saßen und Angst vor den Bomben hatten, ohne dass sie so Recht wussten, warum die auf sie runterfallen. Hubert Bläsi und ich haben 1994 die Perspektive geändert und alles in den Zusammenhang des Zweiten Weltkriegs gestellt. Also: Die Bombardierung hatte die Absicht das NS-Regime zu beseitigen. Das war natürlich richtig. Die Methode ist fragwürdig, aber dass das NS-System weg musste, ist völlig klar. Auch dies: Der Krieg ging von Deutschland aus und er kehrte zurück, auch nach Heilbronn, in grausamer Weise, gar keine Frage. Das haben wir ab 1994 immer deutlich gesagt, das ging auch in die Köpfe. In jüngerer Zeit hat man den Bezug zur Gegenwart gesucht: die Kriege in Jugoslawien, Syrien, in der Ukraine. Inzwischen nimmt man auch mehr das Thema Frieden und Nie wieder Krieg in den Blick. Also im Prinzip: Ein Gedenken nach vorne gewandt.

 

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Nun kommt auch noch der Krieg im Nahen Osten hinzu. Lernt man aus der Geschichte nie?

Schrenk: Man könnte aus der Geschichte durchaus lernen. Aber dazu müsste man sie kennen, sie verarbeiten und die Erkenntnisse anwenden. Solange Menschen ohne Rücksicht nach Macht streben, nach der Verschiebung von Grenzen, wird daraus nichts gelernt sein. Die Lehre ist: Man darf Grenzen nicht einseitig verschieben, nichts einseitig verändern wollen. In Bezug auf Territorien hilft die Historie nicht immer weiter. Wem gehört historisch gesehen Straßburg, den Deutschen, den Franzosen? Und: wie sieht es etwa mit Schleswig Holstein und Dänemark aus? Die eigentliche Lehre muss heißen: Der Status quo ist anzuerkennen. Nur wenn freiwillig und ehrlich ein Gebiet sagt, wir wollen wo anders hin, kann man sowas machen. So wie die Saarländer 1955 demokratisch abgestimmt haben, dass sie nicht nach Frankreich, sondern nach Deutschland wollen. Alles andere führt zu Gewalt, zu Krieg. Eine Lehre kann sein: Es wird immer irgendwann Verhandlungen geben müssen. Im Dreißigjährigen Krieg etwa verhandelte man an zwei getrennten Orten, weil man die Parteien nie an einen Tisch gekriegt hätte, genial. Eine schlaue Idee, vielleicht auch für den Nahen Osten? Die reine Gewalt jedenfalls führt zu keinem Frieden, zu keinem Ende des Krieges. Das ist eine wichtige Lehre aus der Geschichte.


Zur Person

Professor Christhard Schrenk (65) leitet das Stadtarchiv Heilbronn, zu dem das Haus der Stadtgeschichte gehört. Zudem hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule Heilbronn.

 
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Kommentare

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Günther Knapp am 04.12.2024 18:03 Uhr

Aus der Geschichte zu lernen, würde heute viel Unheil verhindern! Ich selbst, nach Kriegsende geboren, sah noch Ruinen der Stadt. Gelernt habe ich aber bereits in der "Volksschule" über die Folgen des Nazi-Regimes und auch darüber wie blindlings viele Deutsche ihrem Führer folgten.
Begriffen im Lauf de Lebens und nicht nur durch Geschichte in der Schule, wie wertvoll unser Leben in unserer Demokratie und mit unserem Grundgesetz ist. Dieses Lernen war auch ohne die heutigen Internetmöglichkeiten möglich, man musste es nur wollen.
Leider vergessen manche unserer Alten zu leicht die Nazizeiten und eifern wieder lauten Parolenschreiern nach. Hinsichtlich der Jüngeren sollte aber man ihnen man stets unsere geschichtliche Vergangenheit intensiver lehren!

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