Zivilcouragepreis: 7900 Euro für weitsichtige Schüler und beherzte Bürger
Im Rahmen der Gemeinschaftsaktion „Mut – Tu was. Zeig Zivilcourage“ im Heilbronner Land wurden jetzt Schüler und Bürger besonders geehrt. Die Laudatoren sparten nicht mit Preisgeldern, Lob und programmatischen Worten

Ein beherzter Volksfest-Schausteller, der eine verwirrte Diebin zu Boden ringt und eine Wahrsagerin rettet. Eine gewitzte Gellmersbacherin, die eine Schockanruferin per Multitasking so lange hinhält, bis die Polizei eintrifft. Oder die Klassen H3/H4 der Albert-Schweitzer-Schule in Bad Rappenau, die dem Thema Zivilcourage mit Playmobil-Figuren in einem selbst produzierten Film Gestalt geben: Drei von elf Vorbildern, die jetzt im Rahmen der Aktion „Mut – Tu was. Zeig Zivilcourage“ mit einer Feierstunde im Deutschhofkeller, mit lobenden Worten, passender Musik, spannenden Berichten und mit Geldpreisen von zusammen 4500 Euro besonders gewürdigt wurden. Wobei Stimme-Chefredakteur Uwe Ralf Heer, der als Moderator ebenso informativ wie unterhaltsam durch den Abend führte, daran erinnerte, dass bereits im Januar sechs weitere Preisträger geehrt wurden. So summierten sich die Preisgelder für spontanes Einschreiten und für Schulprojekte 2023 auf insgesamt 7900 Euro.
Der 2011 aus der Taufe gehobene Zivilcouragepreis im Heilbronner Land ist eine Gemeinschaftsaktion von Heilbronner Stimme, Heilbronner Bürgerstiftung, dem Verein Sicher im Heilbronner Land und dem Polizeipräsidium Heilbronn.
OB: Für andere eintreten und sich gegen Unrecht wehren
Neben stimmigen Stücken vom Klarinettenquartett des Landespolizeiorchesters unter Leitung von Arata Kojima klangen auch programmatische, gesellschaftspolitische Töne an. „Wo die Zivilcourage keine Heimstatt hat, reicht die Freiheit nicht weit.“ Mit einem Zitate des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt stellte Oberbürgermeister Harry Mergel die Frage: „Wie viel Freiheit haben wir, wenn wir aus Angst Unrecht geschehen lassen?“ Denn Zivilcourage heiße nicht nur, für andere einzustehen, die in Not seien, sondern auch, sich gegen Unrecht zu wehren, auch wenn es persönlich riskant oder unangenehm sein kann. Zivilcourage schütze somit auch gegen "die Gefahren des Schweigens", so der OB. „Geschichte und Gegenwart haben uns oft genug gezeigt: Schweigen stärkt in der Regel die Täter. Schweigen schwächt die Opfer.“

Landrat beklagt zunehmende Aggression und schwindenden Respekt
„Gelebte Menschlichkeit“ und „vorbildliches Verhalten“ zu würdigen, so Landrat Norbert Heuser als Vorsitzender des Vereins "Sicher im Heilbronner Land“ , würden heutzutage immer wichtiger, "da wir leider nur allzu oft Zeuge werden von zunehmender Aggression, von schwindendem Respekt der Menschen untereinander und fehlender Empathie“. Aber Zivilcourage sollte nicht blind und im Affekt erfolgen, sondern überlegt und mit der nötigen Achtsamkeit für die eigene Person. Oft könne es sogar ratsam sei, nicht selbst zuzugreifen, sondern schnell die Polizei zu rufen.
Polizeipräsident: Wer nicht hilft, kann im Einzelfall strafrechtlich belangt werden
Sich mit dem Thema Zivilcourage zu beschäftigen, sei der erste Schritt, um in entsprechenden Situationen auch tatsächlich couragiert handeln und helfen zu können, sagte Polizeipräsident Frank Spitzmüller. Deshalb freue es ihn besonders, auch Schulklassen auszuzeichnen, die „früh den Grundstein setzen für ein aufmerksames und empathisches Miteinander, das für unsere Gesellschaft so wertvoll ist“. Doch leider komme es immer wieder vor, dass von Passanten eben nicht eingegriffen werde. Dabei sei Hilfe zu leisten eine gesetzlich festgeschriebene Verpflichtung. „Wer nicht hilft, kann im Einzelfall strafrechtlich belangt werden“, betonte Spitzmüller. Für die Opfer wäre es ein verheerendes Signal, in einer offensichtlichen Notlage auf Gleichgültigkeit zu stoßen. Gleichwohl müssten auch Helfer Regeln beachten, nämlich: sich nicht selbst in Gefahr bringen, den Notruf 110 wählen, andere zur Mithilfe aktivieren, Tätermerkmale einprägen, ums Opfer kümmern, als Zeuge zur Verfügung stellen.
Vorschläge für den Zivilcouragepreis können jederzeit unter www.stimme.de/zivilcouragepreis gemacht werden. Dieser wird in den Kategorien Schulpreis, Gruppenpreis und Einzelpreis für spontanes Einschreiten verliehen.

Die Taten und die Preisträger
Zivilcouragepreise gingen an Schulen und an Helfer für deren spontanes Eingreifen:
Schulpreise Die Klassen H3/H4 der Albert-Schweitzer-Schule Bad Rappenau haben einen dreiminütigen Film „So geht’s richtig“ produziert, in dem sie richtiges und falsches Verhalten bei Mobbing oder Gewalt aufzeigen – anhand von Playmobilfiguren. Preisgeld: 500 Euro.
Die Klasse 5a der Wolf-von-Gemmingen-Schule aus Gemmingen hat Geschichten und Comics zu erdachten oder erlebten Situationen erstellt. Davor gab es einen Polizei-Workshop. 500 Euro.
Die Dammrealschule Heilbronn wurde für ihr langjähriges Engagement der Schulsozialarbeit gewürdigt, aber auch für das Streitschlichterprojekt „Sieh hin – hör zu – tu was. Hinschauen statt wegschauen!“. 300 Euro.
Die Klasse 4a der Deutschorden-Grundschule in Heilbronn-Kirchhausen hat ein Würfelspiel mit Fragekärtchen zum Thema Zivilcourage im Sachkundeunterricht erstellt. 600 Euro.
Drama beim Volksfest: Schausteller Moustafa Mashhour aus Ulm überwältigte eine offensichtlich verwirrte Diebin, als diese eine Wahrsagerin auf dem Heilbronner Volksfest mit einer Schere bedrohte und verletzte. Als die Täterin versuchte, mit einem Fahrrad zu flüchten, drückte sie der Schausteller zu Boden und hielt sie bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die 24-jährige Täterin wird inzwischen in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Preisgeld: 400 Euro.
Schock für Schockanrufer: Als ihr am Telefon ein angeblicher Polizist weiß machen wollte, ihre Tochter habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht und brauche 38.000 Euro Kaution, wusste Erika Kastner aus Weinsberg-Gellmersbach gleich, wie der Hase laufen sollte. „Ich habe nämlich gar keine Tochter und mich schon mit dem Thema Schockanruf beschäftigt.“ Gedankenschnell ging sie zum Schein auf die Forderungen ein. Parallel zum Telefonat verständigte sie per Handy die Polizei, die dadurch alles mithören konnte. Gleichzeitig hielt sie den Anrufer mit angeblichem Goldschmuck und einer Rolex bei der Stange – bis der 20-jährige bei der Übergabe von Beamten überwältigt wurde. 400 Euro.
Rabiater Ladendieb: Christian Koch aus Lauffen stellte sich in einer Drogerie einem flüchtenden Ladendieb in den Weg, packte ihn und fiel mit ihm zu Boden. Als der Täter Atemnot vortäuschte und sich ein Asthmaspray als Tränengas entpuppte, hielt Koch den Übeltäter trotz stechender Augenschmerzen, Schürfwunden und Hämatomen so lange fest, bis die Polizei kam. Sein Handy ging dabei zu Bruch. Mit dem Preisgeld von 400 Euro könnte er sich fast ein neues leisten.
Ohne Ahnung reanimiert: Endrit Kodraliu (17) aus Cleebronn hat sich um einen 78-Jährigen gekümmert, der mit dem Auto auf einen parkenden Wagen geprallt war. Als er ihn zusammen mit einem Busfahrer aus dem Auto zog, merkte er, dass der Mann unter Schnappatmung litt. Weil der Jugendliche nach eigenen Angaben „keine Ahnung“ hatte, bekam er am Notruftelefon Anleitungen zur Reanimation – und rettete so mit einer später dazu kommenden Sanitäterin womöglich ein Menschenleben. Preisgeld: 400 Euro.
Verwirrter Verirrter: Im Wald bei Neckarsulm-Dahenfeld entdeckte Mathias Stenzel einen hilflos am Boden liegenden Mann. Gemeinsam mit einem Jogger zog er ihn auf den Waldweg und verständigte über Notruf die Rettungsleitstelle. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass der entkräftete Mann fünf Tage zuvor vom Weinsberger Klinikum am Weißenhof als vermisst gemeldet worden war. 200 Euro.
Top Taxifahrer: Als ihm eine 73-jährige Kundin erzählte, sie müsse der Polizei 60.000 Euro übergeben, damit ihr Sohn, der angeblich einen schlimmen Unfall verursacht habe, auf Kaution frei komme, wurde Taxifahrer Cem Özcan stutzig. Er brachte die Dame mit deren Einverständnis zum Polizeirevier nach Heilbronn. Die Täter meldeten sich zwar wegen des Zeitverzugs nicht mehr bei der Geschädigten. Dank des aufmerksamen Taxifahrers konnte aber immerhin der Betrug verhindert werden. Preisgeld: 300 Euro.
Raub vereitelt: Werner Henning aus Gundelsheim hat in der Neckarsulmer Innenstadt einen Raub vereitelt, bei dem der Täter mit einem – gestohlenen – E-Bike einer Frau die Handtasche entreißen wollte und wegen deren Gegenwehr strauchelte. Henning eilte über die Straße und hielt den 27-jährigen Übertäter zusammen mit dem Ehemann der Frau trotz bösem Ellbogencheck bis zum Eintreffen der Polizei fest. 200 Euro.