Vogelgrippe: Droht eine neue Pandemie? – Experten in Sorge
Der Warnung des bekannten Virologen Christian Drosten vor einer neuen, noch schlimmeren Pandemie haben sich andere Forscher angeschlossen. In Niedersachsen wird derweil ein großer Ausbruch beobachtet. Wie Experten das H5N1-Virus einschätzen.

Droht uns eine neue, noch schlimmere Pandemie als bei Corona? Nach Äußerungen des renommierten Berliner Virologen Christian Drosten zum Vogelgrippevirus, das in den USA mehrere Milchviehherden befallen hat, zeigen sich weitere Fachleute besorgt. Isabella Eckerle vom Zentrum für Neuartige Viruserkrankungen in Genf schrieb im Nachrichtendienst X, das Risiko eines Ausbruchs werde so lange als gering für die Bevölkerung gewertet, bis es zu spät sei. Wenn das H5N1-Virus "breit und effektiv im Menschen ist, ist es zu spät für eine Eindämmung".
Der Epidemiologe Timo Ulrichs sprach im Sender NTV von einer "ganz anderen Dimension", sollte sich ein Vogelgrippe-Virus von Mensch zu Mensch ausbreiten, die Sterblichkeit wäre in einem solchen Fall viel höher. "Corona war dagegen eher ein Spaziergang", so Ulrichs. Ein Überblick:
Um welches Virus geht es?
Der wissenschaftliche Name des Vogelgrippevirus, das aktuell breit kursiert, ist H5N1. Laut Definition des Robert-Koch-Instituts (RKI) versteht man unter Vogelgrippe, auch aviäre Influenza, in erster Linie eine Erkrankung durch Influenza-A-Viren bei Vögeln. Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, zunächst in Asien, inzwischen weltweit. Was Fachleute in Alarm versetzt, sind die Ausbrüche unter Rindern in Nordamerika. Mehr als 130 erfasste H5N1-Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten gibt es nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC inzwischen, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Ende März wurde die Vogelgrippe dort erstmals nachgewiesen.
Was bedeuten die Ausbrüche unter Rindern?
Das Risiko für einen Übergang vom Tier auf den Menschen ist damit gestiegen, fürchten Fachleute. Weltweit werden nach Schätzungen 1,5 Milliarden Rinder gehalten. Entstünde aus H5N1 eine weltweite Rindergrippe, würde auch das Risiko für andere Nutztiere steigen, etwa durch die Verfütterung von verunreinigter Milch. Haustiere können ebenfalls befallen werden. In Polen und Südkorea sind Vogelgrippe-Ausbrüche bei Katzen dokumentiert, die jeweils auf verunreinigte Nahrung zurückgingen. Eine direkte Übertragung von Rind zu Rind oder Katze zu Katze ist bislang nicht bekannt, doch genau davor fürchten sich Forscher. Denn wenn das Virus erst gelernt hat, sich effizient von Tier zu Tier zu verbreiten, dürfte es unmöglich sein es zu stoppen.
Wie ist es mit einer Übertragung von Mensch zu Mensch?
"Aviäre Influenzaviren können nicht so leicht von Tieren auf den Menschen übertragen werden", schreibt das RKI. Säugetiere sind dem Menschen biologisch jedoch näher als Vögel. Das Risiko für eine Zoonose, also den Übergang von Tier auf Mensch, könnte so größer geworden sein.
Gab es schon Todesfälle unter Menschen durch aviäre Influenza?
Ja, laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden seit 2003 weltweit über 2600 Erkrankungen beim Menschen und 1100 Todesfälle mit aviärer Influenza nachgewiesen. Die mit Abstand meisten Fälle werden im asiatisch-pazifischen Raum registriert, wo Menschen und Tiere oft eng zusammenleben. Nach bisherigen Erfahrungen scheint es in erster Linie bei engem Kontakt mit erkrankten oder verendeten Vögeln sowie deren Produkten oder Ausscheidungen zur Übertragung der Viren auf den Menschen zu kommen. Auch Säugetiere können sich so anstecken, etwa, indem sie das Fleisch verendeter Wildvögel fressen. In den USA ist es laut CDC aktuell zu vier Nachweisen des Virus im Menschen gekommen, die Fälle seien nicht miteinander verbunden, alle Betroffenen arbeiteten auf Milchtierfarmen.
Wie schwerwiegend könnte eine H5N1-Infektion beim Menschen verlaufen?
Eine Reihe von Szenarien sind denkbar. Säugetiere könnten zu einer Art Mischbatterie für neue Viren werden, die aus der Vogelpopulation stammen. Wenn zum Beispiel ein Schwein mit verschiedenen Influenza-A-Formen infiziert ist, könnte so ein neuer, für den Menschen gefährlicher Erreger entstehen. Denkbar sei aber auch, als positives Gegenszenario, dass die Ausbreitung der Vogelgrippe unter Säugetieren "glimpflich ablaufe", so Drosten im Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle."
Wie ist die Situation in Deutschland?
In einem Legehennenbetrieb in Bad Bentheim in Niedersachsen ist am Mittwoch eine hochansteckende Variante der Vogelgrippe nachgewiesen wurden, es handelt sich dabei um einen anderen Subtyp mit der Bezeichnung H7. Trotzdem ist die Sorge groß. Der gesamte Bestand des betroffenen Betriebs von rund 91 000 Tieren wurde getötet, um eine Ausbreitung zu verhindern. Um den Betrieb wurde eine Überwachungszone gezogen, die 1,5 Millionen Tiere darin dürfen nicht transportiert werden, der Sicherheitsbereich erstreckt sich bis in die Niederlande. Mit Bezug zu den USA untersuchen die Behörden in Niedersachsen auch Proben aus der Milchviehhaltung. Das Virus sei darin bislang nicht nachgewiesen worden, hieß es am Mittwoch.
Was fordern Experten?
Die konsequente Eindämmung der Ausbrüche. Christian Drosten sagte, Quarantäne sei ratsam. "Dass man also versucht, die infizierten Bestände zu isolieren; schaut, wo Menschen Kontakt hatten, ob sie Antikörper im Blut haben. Über bestimmte Hygienemaßnahmen nachdenkt. Und auch darüber, Kühe zu impfen." Isabella Eckerle schloss sich dem an. Sie kritisierte auf X, dass "der Königsweg der frühen Eradikation, also Ausbrüche vorausschauend schnell zum Erliegen zu bringen", fehle.
Wie groß ist die Sorge bei regionalen Fachleuten?
Ein Überspringen des Vogelgrippevirus auf den Menschen sei "nicht sehr wahrscheinlich", heißt es von Maria Martin, der Leiterin des Instituts für Infektionsprävention und Klinikhygiene an den Heilbronner SLK-Kliniken. Auszuschließen sei das aber nicht, so Martin weiter. Sie weist auf die kontinuierliche Entwicklung von Impfstoffen gegen bestimmte Varianten der aviären Influenza hin. "Die Impfstoffe für den Menschen, die jährlich entwickelt werden, sind in der Regel nicht wirksam gegen die aviäre Influenza. In der Vergangenheit hat sich jedoch, zum Beispiel bei der Schweinegrippe, gezeigt, dass wirksame Impfstoffe in relativ kurzer Zeit entwickelt werden können."