Am 25. Februar 2025 ist die letzte Abendvorlesung des Semesters angesetzt, es geht um Schlafstörungen. Die Reihe ist ein Kooperationsprojekt von SLK-Kliniken, Kreissparkasse Heilbronn und Heilbronner Stimme.
Tinnitus: Wie man Ohrgeräusche richtig behandelt
Pfeifen, klingeln oder summen: Menschen mit Tinnitus hören ständig solche Geräusche ohne tatsächlichen äußeren Anlass. Das kann das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen.

Das Verb „tinnire“ kommt aus dem lateinischen und bedeutet „klingeln“. Davon abgeleitet ist der medizinische Begriff Tinnitus. Damit wird ein Symptom beschrieben, bei dem Betroffene Geräusche wahrnehmen, denen keine äußere Schallquelle zugeordnet werden kann. Etwa 15 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland erleben diese Art von Ohrgeräuschen mehr oder weniger regelmäßig – mit dem Alter nimmt die Häufigkeit zu. So stark von Tinnitus betroffen, dass sie darunter leiden, sind knapp zwei Prozent.
Tinnitus Klinik in Bad Arolsen: Von dort kommt der Gastreferent
Mit Professor Gerhard Hesse von der Tinnitus Klinik im hessischen Bad Arolsen sprach am Dienstagabend in Heilbronn einer von Deutschlands Top-Experten auf dem Gebiet der Tinnitus-Therapie. Vor voll besetztem Haus in der Kreissparkasse verriet Hesse, dass er selbst seit Jahren ein Hörgerät trägt und damit seine Beschwerden gut regulieren kann: „Ich stehe morgens auf und putze mir die Zähne und wenn mein Hörgerät drin ist, höre ich die Ohrgeräusche nicht mehr.“
Für Tinnitus gibt es keine einzelne Ursache
Eine einzige Tinnitus-Ursache gibt es nicht, erklärte Hesse den Gästen, von denen die Mehrheit per Handzeichen zu verstehen gab, sie sei selbst betroffen. Grundlage sei zwar fast immer eine Hörminderung oder ein Hörverlust, „aber ob der Tinnitus belastend ist oder nicht, entscheidet sich im Kopf“. Wie Schmerzwahrnehmung sei die individuelle Wahrnehmung eines Tinnitus‘ extrem unterschiedlich. Durch zusätzliche Belastungen, etwa psychische Probleme, könne das Symptom zu einer eigenen Krankheit werden. Anders ausgedrückt: Wer seinen Ohrgeräuschen viel Aufmerksamkeit schenkt, erhöht die Tinnituswahrnehmung und damit auch die empfundene Belastung – und das, obwohl das Tinnitusgeräusch mit objektiven Methoden von außen nicht gemessen werden kann. „Wir wissen, dass es stimmt und keine Einbildung ist, aber es ist so leise, dass man es elektrisch nicht messen kann.“
Das sind die Säulen einer erfolgreichen Tinnitus-Behandlung
Eine der Säulen für eine erfolgreiche Behandlung sei deshalb auch: lernen damit umzugehen. „Man kann lernen, sein Ohrgeräusch zu überhören, das ist möglich“, versicherte Hesse. Einen brummenden Kühlschrank in der Wohnung höre man schließlich auch nicht ständig, sondern vor allem dann, wenn es still sei und man sich zusätzlich über das Geräusch aufrege. Eine weitere Säule: ein gut angepasstes Hörgerät. „Man sollte immer zuerst versuchen, den Hörverlust auszugleichen.“ Damit verschwindet der Tinnitus womöglich, wie bei Hesse selbst. Die Erklärung für den Mechanismus ist simpel: Das Gehirn versucht gegenzusteuern, wenn es zu einem Hörverlust kommt und so die Fähigkeiten kaputter Haarzellen im Ohr auszugleichen: Es kommt zu Ohrgeräuschen. Wenn das Hörgerät jedoch diese Ausgleichsfunktion übernimmt und die fehlenden Töne verbessert, dann werden die Ohrgeräusche leiser.
Entspannung und Ablenkung als Hilfe gegen Ohrgeräusche
Am Anfang einer Therapie stehe immer eine individuelle Beratung, sagt Hesse. Auch Entspannungstherapie oder antidepressive Medikation können in manchen Fällen sinnvoll sein. Hesse hat federführend an den sogenannten S3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von chronischem Tinnitus in Deutschland mitgearbeitet. Dem Ärzteblatt sagte er zur Veröffentlichung 2021: Ziel sei es, Betroffene zu einem informierten Umgang mit Ohrgeräuschen zu ermuntern, um damit besser leben zu können.
Tinnitus: Wann zum Arzt gehen?
Wann sollte man mit einem Hörverlust oder Ohrgeräuschen ärztlichen Rat suchen, wollte Stimme-Moderator Thomas Zimmermann wissen. „Man muss unbedingt zum HNO-Arzt gehen“, erwiderte Hesse. Nur diese Fachleute könnten beurteilen, wie gut die sogenannte Hörbahn noch funktioniert, auf der Signale vom Ohr bis zum Gehirn geleitet werden. Zum Gang zum Facharzt rät er auch, weil Hörverlust inzwischen als ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Demenz gilt, wie er sagt: „Schon deshalb ist es wichtig, dass man mit einem Hörgerät nicht wartet, bis man 80 oder 90 Jahre alt ist.“
Klischee vom pfeifenden Riesen-Hörgerät stimmt nicht mehr
Dabei stimme das Klischee vom Hörgerät als pfeifendem Riesen-Monstrum längst nicht mehr. „Sehen Sie mein Hörgerät etwa, und ich habe keine Haare“, fragte Hesse in die Runde: „Das sind kleine Knöpfe im Ohr und sie sind viel besser geworden beim Wegfiltern von Störgeräuschen.“ Das Image von Hörgeräten werde langsam auch besser, weil es schick sei, Knöpfe im Ohr zum Musikhören oder Telefonieren zu tragen. „Das hilft.“
Es braucht Zeit, sich an ein Hörgerät zu gewöhnen
Er mahnte: Eine geschlossene Versorgung, bei der das Ohr abgedichtet werde, sei zwar weniger angenehm, aber häufig deutlich besser als eine offene. Und: Auch an ein Hörgerät muss sich der Träger erst gewöhnen, er muss sich damit auseinandersetzen und sich selbst etwas Zeit lassen. Hesses Ausblick: Die eine Therapie-Methode, „um den Tinnitus abzuschalten, wird es zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr geben.“ Aber es gebe einige interessante Trends, die eine gute niederschwellige Versorgung versprechen. Vor allem in den USA gebe es aktuell Versuche, via Earplugs (Ohrhörer des Smartphones) eine Hörverstärkung hinzubekommen. „Bei geringem Hörverlust könnte das eine gute Möglichkeit sein.“