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Psychische Gesundheit hinter Gittern
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Suizidfälle in der JVA Heilbronn – „nach der Einlieferung geht das Kopfkino los“

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Enge Zellen, Isolation, psychische Belastung – Gefangene sind besonders suizidgefährdet. Die JVA Heilbronn setzt auf gezielte Maßnahmen, um Leben zu retten. 


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In Baden-Württemberg haben sich in den vergangenen zehn Jahren 89 Gefangene das Leben genommen. Auch in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heilbronn kam es in den vergangenen Jahren zu Suiziden: 2020 zu einem, 2021 zu drei und 2023 zum bislang letzten Fall.

Die Schicksale dahinter stehen für ein stilles Leiden – denn viele Gefangene geraten in der Haft psychisch an ihre Grenzen. Spezielle Maßnahmen sollen helfen, gefährdete Personen frühzeitig zu erkennen und zu unterstützen.

In zehn Jahren 89 Suizide in Baden-Württemberg: JVA Heilbronn ergreift verstärkt Gegenmaßnahmen

Ende 2022 wurde in Baden-Württemberg ein landesweites, kriminologisch begleitetes Suizid-Screening eingeführt, das auch in der Aufnahmeabteilung der JVA Heilbronn Anwendung findet. Anhand eines speziellen Erhebungsbogens sollen suizidgefährdete Gefangene frühzeitig erkannt und umgehend dem Fachdienst gemeldet werden.

Der Bogen umfasst insgesamt neun Fragen – etwa zu Hinweisen auf psychische Erkrankungen oder zum persönlichen Eindruck: bedrückt, weinerlich, abwesend? Auch dieser subjektive Eindruck kann angekreuzt werden. Zudem werden die Bediensteten durch einen jederzeit verfügbaren Schulungsfilm in der Anwendung geschult, erklärt Andreas Vesenmaier, Leiter der JVA Heilbronn. 

Vergangenes Jahr wurden 492 Screenings im Gefängnis in Heilbronn durchgeführt 

Jeder neue Insasse werde unmittelbar nach der Aufnahme einem solchen Suizid-Screening unterzogen. Anschließend erfolgt zeitnah die Vorstellung im Krankenrevier, das rund um die Uhr mit medizinischem Personal besetzt ist – ergänzt durch eine Anstaltsärztin oder einen Anstaltsarzt während der regulären Dienstzeiten. „Dort erfolgt eine weitere Einschätzung zur Frage der Suizidalität.“

Im Jahr 2024 seien in der JVA Heilbronn insgesamt 492 dieser Screenings durchgeführt worden. „Das zeigt, wie ernst wir dieses Thema nehmen“, so der Anstaltsleiter. 

Das passiert, wenn erhöhtes Suizidrisiko festgestellt wird 

Um Suizidrisiken früh zu erkennen, werden sowohl die Mitarbeitenden im mittleren Vollzugsdienst als auch die Fachkräfte regelmäßig geschult. Das Thema „Krise und Suizid“ sei bereits fester Bestandteil der Ausbildung. Laut Andreas Vesenmaier gibt es dort außerdem 13 speziell ausgebildete Mitarbeitende, die als Ansprechpartner und Unterstützer bei Suizidprävention fungieren. Zudem würden regelmäßig Fortbildungen angeboten, auch für Auszubildende.

Wird ein erhöhtes Suizidrisiko festgestellt, greifen verschiedene Maßnahmen: Dazu zählen laut Vesenmaier unter anderem Kriseninterventionen, Gesprächsangebote sowie psychologische, psychiatrische und therapeutische Unterstützung.

Aufnahme neuer Häftlinge: Bei den meisten Insassen geht nach der Einlieferung „das Kopfkino los“

Je nach Einschätzung des Risikos reichen die Schutzmaßnahmen von der regulären Unterbringung in einem Gemeinschaftsraum über eine besondere Form der Gemeinschaftsunterbringung – mit ständigem Kontakt zu einem Mitgefangenen – bis hin zur Unterbringung in einem gesicherten Haftraum, der frei von gefährlichen Gegenständen ist.

Grundsätzlich würden Neuzugänge zunächst immer mit einem anderen Mitgefangenen untergebracht, da laut Vesenmaier bei vielen nach der Einlieferung „das Kopfkino losgeht“. Der Austausch mit einem weiteren Insassen sei deshalb wichtig. Die Herausforderung bestehe jedoch darin, passende Hafträume zu finden, in denen die Gefangenen miteinander klarkommen. „Manche haben Vorbehalte gegenüber anderen Religionen oder Herkunftsländern – dann ist niemandem geholfen.“

JVA Heilbronn plant Umwandlung von Einzelhafträumen für verbesserte Prävention

Ein weiterer Schritt in der Suizidprävention innerhalb der JVA Heilbronn: Künftig sollen einzelne Einzelhafträume in Gemeinschaftszellen umgewandelt werden, um neu aufgenommene Gefangene in der besonders kritischen Anfangsphase nicht alleine zu lassen.

Vesenmaier betont aber: „Wir können nicht in die Köpfe der Gefangenen schauen.“ Trotz sorgfältigster Vorkehrungen ließen sich Suizide in einem Vollzug nie vollständig verhindern.

Laut der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention (BAG) haben sich zwischen 2000 und 2023 insgesamt 1794 Gefangene im deutschen Justizvollzug das Leben genommen, davon 1736 Männer und 58 Frauen. Diese Daten gehen aus der bundesweiten Erhebung zu Suiziden im Vollzug hervor. Durchschnittlich waren das 72 Menschen pro Jahr. Die absolute Zahl schwankt zwischen 43 im Jahre 2019 und 117 im Jahre 2000. In Baden-Württemberg haben sich in den vergangenen zehn Jahren 89 Gefangene selbst getötet. Nach Auskunft des Justizministeriums waren es ausschließlich Männer im Alter zwischen 17 und 79 Jahren. 

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