Mit Rad gestürzt und vom Rettungsdienst stehen gelassen – Erlenbacher übt scharfe Kritik
Ein Mann aus Erlenbach stürzt mit dem Fahrrad. Der alarmierte Rettungsdienst nimmt ihn aber nicht mit. Wie der Rettungsdienst den Vorfall erklärt.
Willi Meyer und seine Partnerin machen im November eine kleine Radtour. Von Erlenbach geht’s nach Langenbrettach-Neudeck und zurück. Auf dem Heimweg passiert’s. Willi Meyer stürzt. Nach eigenen Angaben fliegt er über die Lenkstange, schlägt mit dem Kopf auf, er verliert kurz das Bewusstsein, ist anschließend verwirrt, desorientiert und blutet heftig im Gesicht. Wie es zu dem Unfall gekommen ist, kann sich der 72-Jährige auch im Nachhinein nicht genau erklären.
Seine Begleiterin wählt die 112. Der Rettungsdienst kommt. Zum Entsetzen des Paares aus Erlenbach lässt die Besatzung den Mann stehen. „Sie nehmen wir nicht mit“, sollen die Sanitäter gesagt haben. Für Meyer ein Unding. Nach Angaben von DRK-Rettungsdienstleiter Markus Stahl allerdings ein üblicher Vorgang. Es komme häufiger vor, dass der Rettungsdienst von einem Einsatzort wegfahre, ohne einen Patienten mitzunehmen. War es in Meyers Fall falsch, die 112 zu wählen? Oder haben die Einsatzkräfte einen Fehler gemacht?
Nach Sturz steht fest, dass der Betroffene im Krankenhaus behandelt werden muss
Der Erlenbacher ist verärgert. Sein Vertrauen in den Rettungsdienst sei erschüttert, sagt Meyer. Es sei nicht klar gewesen, ob er durch den Sturz eine Hirnschädigung oder innere Verletzungen davongetragen habe. „Ich verstehe nicht, dass jemand mit einer Kopfverletzung stehen gelassen wird“, sagt Meyers Partnerin Mieke Kunas. Die Sanitäter hätten ihn zunächst nicht einmal untersucht, sondern erst nachdem er darauf bestanden habe, kritisieren beide. Gleichwohl hätten sie ihm gesagt, er müsse ins Krankenhaus, um eine Wunde im Gesicht nähen zu lassen.
Notgedrungen willigt Meyer ein, ein Taxi zu rufen. Das bringt ihn nach Erlenbach. Anschließend fährt ihn seine Partnerin nach Heilbronn ins Krankenhaus am Gesundbrunnen. Dort wird er behandelt und nach Hause entlassen. Nachts stellen sich heftige Kopfschmerzen ein. Er habe den rechten Arm nicht bewegen können. „Ängste waren da“, beschreibt Meyer seine Gefühle.
DRK-Rettungsdienstleiter Stahl: „Die Leute sollen auf jeden Fall anrufen.“
Die Untersuchungsergebnisse von dem Einsatz seien gründlich dokumentiert, sagt Rettungsdienstleiter Stahl. Der Patient habe auf seinen Beinen gestanden, sei stabil gewesen, zeitlich und örtlich orientiert. „Es war nichts Akutes.“ Immer wieder komme die Besatzung eines Rettungswagens vor Ort zu dem Ergebnis, einen Patienten nicht mitzunehmen. Je nach Fall stelle sich heraus, dass keine weiteren Maßnahmen nötig seien. Oder der Patient solle sich am nächsten Tag an seinen Hausarzt wenden, erklärt Stahl.
Trotzdem rät er, im Zweifelsfall immer die 112 zu wählen. „Die Leute sollen auf jeden Fall anrufen.“ Auch die Fahrt zu Meyers Unfall bei Neudeck sei nicht unbegründet gewesen, obwohl der Rettungswagen dann leer nach Neuenstadt zurückgefahren ist. Die Besatzung stehe dann schneller für den nächsten Notruf bereit.
Anrufe über die 112 gehen bei den regionalen Integrierten Leitstellen (ILS) ein. In Heilbronn leitet Joachim Bähr die ILS. Meyers Hilfeersuchen sei ordnungsgemäß erfasst und ein Rettungswagen mit Sondersignal an die Einsatzstelle disponiert worden. „Der Disponent grenzt einen Fall ein und leitet die Maßnahmen ab“, erklärt Bähr das Vorgehen. Dabei gingen die Disponenten nach einer standardisierten Notrufabfrage vor. Die tatsächliche Situation vor Ort bewerte die ILS aber nicht. Die medizinische Verantwortung liege bei den Einsatzkräften.
Wochen nach dem Sturz leidet Willi Meyer an den Folgen der Verletzungen
Die 112 sei bei Unfällen und Bränden anzurufen oder wenn sich jemand in einer akuten, möglicherweise sogar lebensbedrohlichen Notlage befinde, erklärt Bähr. Zum Beispiel bei schweren Verletzungen oder Verbrennungen, bei Bewusstlosigkeit, Symptomen, die auf einen Schlaganfall hindeuten wie akute Lähmungen, Seh- oder Sprechstörungen, bei Anzeichen eines Herzinfarkts wie Brustenge.
„Es kommt häufiger vor, dass Menschen den Notruf wählen und es sich im Nachgang herausstellt, dass es kein Notfall ist“, sagt Bähr. Im Rettungswesen seien die Ressourcen nicht unendlich. Man sei froh, wenn ein Rettungswagen wieder neu zum Einsatz komme.
Willi Meyer kämpft Wochen nach dem Unfall mit den gesundheitlichen Folgen. Ärzte, denen er von dem Sturz berichtet, äußerten allesamt ihr Unverständnis, sagt Meyer. Deren Meinung sei, dass der Rettungsdienst ihn hätte mitnehmen müssen – wegen möglicher Verletzungen und weil die Ursache des Sturzes unbekannt sei.
Zahl der Notrufe in der Region
Wählen Menschen in der Stadt und im Landkreis Heilbronn den Notruf 112, geht der Anruf bei der Integrierten Leitstelle (ILS) in Heilbronn ein. Die sitzt im Gebäude der Berufsfeuerwehr in der Beethovenstraße. Nach Angaben von ILS-Leiter Joachim Bähr sind von Jahresbeginn an 93.210 Anrufe eingegangen (Stand 11. Dezember).
Dass die ILS einen Rettungswagen losschickt, kommt seit Jahresbeginn in 47.000 Fällen vor (Stand Ende November), teilt DRK-Rettungsdienstleiter Markus Stahl mit. Die Einsätze übernehmen außer dem Roten Kreuz der Arbeiter-Samariter-Bund ASB, die Johanniter und die Malteser.