Schädliches Treibhausgas bei Solvay: Schlafen Baden-Württembergs Umweltbehörden?
Die Chemiefabrik Solvay in Bad Wimpfen soll laut einer Studie seit mehreren Jahren deutlich mehr schädliches Gas in die Atmosphäre leiten, als die Konzernverantwortlichen angeben. Der Atmosphärenforscher Andreas Engel spricht zum Emissionsskandal.
Anfang 2024 informierten Wissenschaftler das Umweltministerium, dass im Land große Mengen des starken Treibhausgases Schwefelhexafluorid (SF6) freigesetzt werden. Das Gas wird in elektrischen Schaltanlagen als Hochspannungs-Isolator eingesetzt.
Der Chemiekonzern Solvay in Bad Wimpfen ist der einzige Hersteller in Europa, für 2023 hat er 56 Kilogramm Emissionen angegeben. Tatsächlich soll es laut einem Bericht der Goethe-Universität Frankfurt um 30 Tonnen gehen. Wir sprachen mit dem verantwortlichen Atmosphärenforscher, Professor Andreas Engel.
Forscher verteidigt Messmethode: SF6-Quelle liegt im Raum Heilbronn
Je nach Medium werden Sie unterschiedlich zu den Reaktionen auf Ihre Forschung zitiert. Teilweise war von Kopfschütteln über Untätigkeit der Behörden die Rede.
Andreas Engel: Solche Formulierungen mag ich bei Telefoninterviews ehrlich gesagt nicht so gern. Richtig ist: Es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis unsere Methode bei den zuständigen Stellen – dem Umweltministerium und dem Regierungspräsidium – angekommen und verstanden worden ist. Das liegt auch daran, dass es sich nicht um eine Standardmethode handelt. Dann hatten wir auch Gespräche mit Solvay. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass manches schneller geht. Aber im Großen und Ganzen ist die Diskussion dann angestoßen worden, und es sind auch Schritte unternommen worden, von denen ich zunächst nicht informiert war.
Inwiefern ist Ihre Methode kein Standard?
Engel: Üblicherweise misst man Emissionen direkt vor und hinter einer Einleitstelle, etwa an einem Fluss, und kann die Differenz klar zuordnen. Bei uns funktioniert das nicht so einfach. Wir arbeiten mit Messdaten, die rund 120 Kilometer entfernt erhoben werden, und nutzen Modelle, um daraus auf eine Quelle zu schließen. Diese räumliche Zuordnung ist bisher keine etablierte Standardmethode und stammt eher aus der Forschung. Entsprechend hatten die Behörden damit bislang keine Berührung.

Umweltministerin Thekla Walker hat zunächst erklärt, die Emissionen ließen sich nicht anlagenscharf zuordnen.
Engel: Das ist zunächst einmal korrekt. Mit unserer Methode können wir keine einzelne Anlage eindeutig benennen. Wir können den Ursprung auf den Großraum Heilbronn eingrenzen. Entscheidend ist dann der nächste Schritt: In dieser Region gibt es keinen plausiblen anderen Emittenten für eine so große SF6-Emission. Daraus ergibt sich, dass Solvay als einziger Produzent in Europa die naheliegende Quelle ist – was inzwischen offensichtlich durch Messungen am Standort bestätigt wurde.
Auch das Umweltministerium hat eingeräumt, dass keine andere Quelle in Frage kommt. Ist so etwas Wortklauberei oder juristische Vorsicht?
Engel: Es ist teilweise schon auch notwendige juristische Vorsicht. Unsere Methode ist nicht gerichtsfest im Sinne eines eindeutigen Beweises. Behörden müssen hier noch vorsichtiger formulieren als Wissenschaftler – und wir wiederum vorsichtiger als Journalisten. Ich kann sagen: Es stammt aus dem Großraum, und es gibt dort keine andere bekannte Quelle. Mehr nicht.
SF6-Emissionen: Solvay ist einziger Produzent in Europa
Gab es Gespräche mit dem Umweltministerium?
Engel: Ja, wir haben telefoniert, und mir wurde erläutert, was im Hintergrund bereits gelaufen ist. Ein Teil meiner anfänglichen Kritik beruhte auch darauf, dass ich diese internen Schritte nicht kannte. Ich habe immer gesagt, dass das Umweltministerium unserer Methode gegenüber zunächst skeptisch war, dann aber nach mehreren Gesprächen anerkannt hat, dass sie Hand und Fuß hat. Dazu stehe ich. Die Diskussion scheint mir aber ein wenig aus dem Ruder gelaufen zu sein.
Inwiefern?
Engel: Weltweit sprechen wir über rund 8000 Tonnen SF6-Emissionen, davon etwa 5000 Tonnen in China. Solvay ist der einige Produzent in Europa und hier geht es um rund 30 Tonnen. Unser Ziel ist, diese Emissionen zu reduzieren. Das gelingt natürlich nur, wenn man sie zunächst sichtbar macht. Aber man muss auch ehrlich sein und sich eingestehen, dass eine SF6-Produktion ganz ohne Emissionen bislang nirgends möglich ist. Sie müssen eben so niedrig wie möglich gehalten werden. Kontraproduktiv wäre eine Betriebsschließung: Dann müsste SF6 aus China importiert werden – bei einer mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechteren Klimabilanz.
Wofür wird SF6 überhaupt gebraucht?
Engel: SF6 wird in elektrischen Schaltanlagen als Hochspannungs-Isolator eingesetzt. Es ist mittelfristig ein zentraler Bestandteil unserer Strom- und Energieversorgung, auch wenn es schrittweise ersetzt werden wird
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