Digitaler Knoten Stuttgart: Was die Inbetriebnahme von S21 erschwert
Stuttgart 21 wird zum Testfall für die Bahndigitalisierung – sie ist ein Grund, warum sich der Start verzögert. Warum die Region Heilbronn hoffen sollte, dass das Vorhaben gelingt.

Die Bahn kann das nicht, so heißt es oft reflexartig. Dem Staatskonzern schlägt aus guten Gründen Skepsis entgegen, zumal wenn es um Stuttgart 21 geht. Doch es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen, was rund um das Großprojekt geschieht, zumal mit der Perspektive aus der Region Heilbronn.
Vor Kurzem wurde bekannt, dass sich die Inbetriebnahme des Bahnknotens in der Landeshauptstadt abermals verzögert. Von Ende 2026 ist jetzt die Rede, es wird also nochmal ein Jahr später. Mindestens. Grund ist diesmal nicht die Infrastruktur. Bahnhof, Tunnels und Gleise würden wohl bis Ende kommenden Jahres fertig werden, auch wenn die Situation rund um den historischen Bonatz-Bau für die Fahrgäste mit Umwegen und Baustellen noch auf Jahre hinaus mühsam wird.
Für die Direktanbindung Heilbronns an den Stuttgarter Flughafen hat die Verzögerung keine negativen Auswirkungen. Hier gibt es sogar gute Nachrichten.
Stuttgart 21: Digitalisierung eines Bahnknotens ist Neuland
Der Hauptgrund für die Verschiebung ist ein Projekt, das in diesem Umfang noch nie irgendwo realisiert wurde. Im Zuge von Stuttgart 21 soll der Bahnknoten Stuttgart mit ETCS ausgerüstet werden. Das Kürzel steht für European Train Control System. Es macht herkömmliche Signale an den Strecken überflüssig. Züge werden per Funk und Computer gesteuert, Kapazitäten besser ausgenutzt. Züge können dichter hintereinander fahren, die Fahrpläne werden verlässlicher. Soweit die Theorie.

ETCS ist nicht neu, das Konzept gibt es seit 30 Jahren. Dass es nun just beim fragilen Projekt Stuttgart 21 im großen Stil ausgerollt werden soll, lässt bei Kritikern alle Alarmglocken läuten. Konzipiert war es zudem ursprünglich für den Fernverkehr. Jetzt liegt das Augenmerk auf der chronisch überlasteten Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn, die optimiert werden soll - aber auch auf allen Zulaufstrecken zum neuen Hauptbahnhof, für alle Regional- und Fernzüge des Personenverkehrs.
Baustellen rund um Stuttgart: Verkehrsminister spricht von "miserablem Management"
In Bahnkreisen heißt es: Wenn nicht jetzt, wann dann. Und: Wenn, dann richtig. Der ohnehin komplett umgepflügte Bahnknoten Stuttgart soll zum Vorbild werden für die Digitalisierung der Schiene in ganz Deutschland. Was der Fahrgast davon hat? Zunächst einmal massive Probleme. Die Bahn sperrte vergangenes Jahr Strecken rund um Stuttgart komplett, um Kabel zu verlegen.
Landesverkehrsminister Hermann, eigentliche ein Streiter für die Digitalisierung, attestierte dem Konzern "miserables Management". Das "innovative Schaufenster der Republik", wie es der Vorsitzende des Stuttgarter Regionalverbands Thomas Bopp nennt, wurde für die Kundschaft erstmal zum Schreckgespenst.
ETCS-Einführung Grund für S21-Verschiebung
"Wir haben im Kernbereich des digitalen Knotens Lehrgeld bezahlt", ist aus Bahnkreisen selbstkritisch zu hören. Das Problem: Auf Hauptstrecken rund um die Landeshauptstadt bleiben die klassischen Signale zusätzlich erhalten, weil dort auch Güterzüge fahren. Die aber beherrschen die ETCS-Technik nicht, während derzeit mehr als 300 Züge im Personenverkehr aufwendig nachgerüstet werden, um den Ansprüchen des Digitalen Knotens zu genügen.
Dabei geht es nicht darum, Antennen aufs Dach zu schrauben. "Da wird der halbe Zug zerlegt", erklärt ein Insider gegenüber der Stimme. Der Aufwand ist enorm, auch für die Schulung von bis zu 2000 Lokführern. Das alles hätte man wohl auf Biegen und Brechen bis Ende 2025 hinbekommen. Um das neue System ausgiebig testen zu können, wurde die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 abermals verschoben.
Ziel: Digitale Signaltechnik bis in die Region Heilbronn
Für die Region Heilbronn ist das ETCS-Projekt von zentraler Bedeutung. Zwei Stufen des Vorhabens sind finanziert und in Umsetzung. Bei Stufe drei geht es darum, den digitalen Knoten Stuttgart ins Umland zu bringen, nach aktuellem Stand bis Lauffen. Das hat den Charme, dass die dringend nötige Erneuerung des museumsreifen Lauffener Stellwerks aus dem Digitaliserungstopf bezahlt werden könnte.

Denn: ein modernes Stellwerk ist Voraussetzung für die Anbindung der Zabergäubahn nach Zaberfeld, sollte die ehemalige Strecke reaktiviert werden - eines der ambitioniertesten ÖPNV-Vorhaben in der Region. Werden die geschätzten 30 Millionen Euro für ein neues Stellwerk in die Kalkulation der Zabergäubahn gepackt, ist sie, was sie jahrelang war: mausetot.
Neuer Streit um Finanzierung des Digitalen Knotens
Die ersten beiden Etappen im engeren Radius um die Landeshauptstadt sind beschlossene Sache, die 2020 zwischen Bund und Bahn beschlossene Finanzierungsvereinbarung listet hierfür Kosten von 462,5 Millionen Euro auf. Um die dritte Stufe des Digitalen Knotens Stuttgart, zu dem Lauffen gehört, schwelt ein Finanzierungsstreit. "Der Bund kommt seiner Zusage nach und hat mit der Deutschen Bahn eine Finanzierungsvereinbarung auch für die dritte Stufe des Digitalen Knotens Stuttgart abgeschlossen", sagte Michael Theurer (FDP), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, kürzlich gegenüber der Stimme.
Die Deutsche Bahn aber hat ihren Teil der Finanzierung unter einen sogenannten Gremienvorbehalt gestellt. Der Aufsichtsrat gab Ende Juni aber abermals nicht grünes Licht. Man kam überein, eine Arbeitsgruppe mit dem Bund zu gründen und über Prioritäten zu sprechen. Manche Beobachter mutmaßen: die Bahn, die kürzlich zur alleinigen Übernahme der S21-Mehrkosten gerichtlich verdonnert wurde, benutzt das DKS-Thema als Faustpfand für Verhandlungen mit der Eigentümerin, dem Bund.
Derweil berichtet die "Wirtschaftswoche", dass die Deutsche Bahn zentrale Digitalisierungsprojekte sogar ganz abblasen will. Von den bundesweit veranschlagten mehr als 29 Milliarden fehlten 17 Milliarden Euro. Die Digitalisierung sei deshalb „derzeit unterfinanziert und somit nicht umsetzbar“, zitiert das Blatt aus internen Dokumenten, Der Konzern dementiert dem Bericht zufolge und betont, die ETCS-Einführung werde schrittweise umgesetzt.
S21-Digitalisierung entscheidend für Zabergäubahn
Nicht nur für die Anbindung einer möglichen neuen Zabergäubahn in Lauffen ist aus Sicht der Region wichtig, dass die Digitalisierung gelingt. Die sogenannte Frankenbahn zwischen Stuttgart und Heilbronn stellt Pendler seit Jahrzehnten auf eine harte Probe. Zugausfälle und Verspätungen sind hier an der Tagesordnung. Mängel an der Infrastruktur sind der Hauptgrund. Maßnahmen, um diese schrittweise zu beheben, sind in einer aktuellen Studie aufgearbeitet. Vor etwas mehr als einem Jahr gab es einen sogenannten Frankenbahngipfel in Möckmühl mit Vertretern von Bund, Land und Region.
Das Ergebnis etwas mehr als ein Jahr danach: ernüchternd. Was wirklich hilft, etwa ein eigenes Gleis für Güterzüge beim Audi-Werk, ist teuer und nicht schnell umzusetzen. So fokussieren sich die Hoffnungen plötzlich auf das ungeliebte. "Im Abschnitt Stuttgart – Ludwigsburg werden mit Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Verbesserungen wie schnellere Befahrbarkeit und beschleunigte Fahrzeiten um bis zu drei Minuten erwartet", schreibt der Heilbronner Landrat Norbert Heuser in einer Zwischenbilanz nach dem Gipfel.
Frankenbahn: Raus aus dem Jammertal dank Digitalisierung?
Drei Minuten, mögen Kritiker anmerken, sind lächerlich. Allerdings geht es nicht darum, drei Minuten schneller von Heilbronn nach Stuttgart zu kommen, viel mehr soll Luft im angespannten Fahrplan geschaffen werden. "Drei Minuten", sagt ein Bahn-Insider gegenüber der stimme, "sind auf diesem Abschnitt enorm und können den Unterschied machen."