Wie Flachdächer auf kommunalen Gebäuden in Obersulm die Artenvielfalt fördern
Biodiversität ist das Stichwort. Der Obersulmer Klimaschutzmanager schafft Lebensräume für Vögel und Insekten mit Sandlinsen, Blühinseln und Wasserstellen. Schnell umgesetzt und nicht teuer.

Ob die Mitarbeiter bei ihren Meetings im Besprechungsraum künftig abgelenkt werden? Vor der großen Fensterfront könnten Finken, Amseln und Spatzen vor Vergnügen beim Baden zwitschern, ein Specht mit seinem Schnabel in knorrige Äste hämmern, eine Vielzahl von Insekten flattern und fliegen. Denn auf diesem Flachdachteil des Obersulmer Rathauses wird es künftig lebhaft zugehen. Klimaschutzmanager Stefan Fuchs verwandelt bloße begrünte Dächer in wertvolle Lebensräume für Flora und Fauna. Biodiversität ist das Stichwort.
"Die Artenvielfalt bei extensiver Begrünung ist eher mager", weiß der Experte, der von einem Forschungsprojekt der Uni Osnabrück inspiriert worden ist. Die Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur untersucht, welche heimischen Wildpflanzen sich für Dachbegrünungen eignen. Fuchs hat Kontakt zu der Uni aufgenommen, ehe er den Versuch in Obersulm gestartet hat.
Was auf Dächern passiert, die nicht für Photovoltaik- oder Solaranlagen geeignet sind
"Es hat sich herausgestellt, dass kleine Maßnahmen eine große Wirkung haben", sagt Fuchs. Und diese ließen sich für ein paar wenige hundert Euro schnell umsetzen. 840 Quadratmeter Flachdächer der Michael-Beheim-Schule, der Realschule, der Käthe-Kollwitz-Schule, des Freibads, der Bücherei und des Rathauses - das Multifunktionsgebäude folgt, wenn es fertig ist - hat Fuchs in Zonen aufgeteilt. Es sind alles Dächer, die nicht für Photovoltaik- oder Solaranlagen geeignet sind.
Da ist zum Beispiel eine Wasserstelle, an der Vögel und Insekten ihren Durst stillen können. Der Teich ist umgeben von Totholz, Steinen, Kiesel und einem Dachziegel. All das bietet Insekten Verstecke und Brutmöglichkeiten. In den Sandlinsen können Wildbienen nisten. In einem Tageswerk hat Fuchs mit einer Landschaftsgärtnerin eine Mischung aus heimischen Wildstaudensamen ausgestreut, die ab kommendem Frühjahr Blühinseln hervorbringen. Dost, Felsennelke, Siberfingerkraut, Wiesensalbei, Thymian und Co. werden für einen bunten Teppich von Frühjahr bis Herbst sorgen. Alles Pflanzen, die Wildbienen und Insekten Nahrung bieten, erklärt Fuchs.
Er hat Unterstützung für sein Projekt. So stellt der Naturschutzbund (Nabu) noch Nistkästen auf. Patrick Pfeiffer, Werklehrer der Kollwitz-Schule, baut mit der Garten-AG Insektenhotels. "Das ist natürlich toll", sagt Konrektorin Anne Hosenthien zu dem neuen Lebensraum Dach. Insektenfreundlichkeit sei schon lange ein Thema an der Schule. Im Schulgarten standen jahrelang Bienenstöcke.
Nachahmung in Bevölkerung erwünscht
Fuchs sieht die Gemeinde als Vorbild und wünscht sich Nachahmung in der Bevölkerung. Zu Hause könne man sich selbst solche Nischen für Insekten und Vögel anlegen. Ende des Sommers wird Fuchs eine Broschüre herausgeben mit Do-it-yourself-Tipps. Das Biodiversitäts-Projekt wird er für den Landeswettbewerb "Baden Württemberg blüht" anmelden. Da könnte ein Preisgeld winken.
Die neuen artenreichen Flächen werden in die jährliche Wartung der Dächer und Pflege der Begrünung aufgenommen. Dabei würden zum Beispiel verblühte Stauden mit der Sense gemäht, erzählt Fuchs.
"Dachbegrünung hat immer einen positiven Effekt", betont der Fachmann und geht auf einen weiteren Aspekt ein: Die Gebäude erhitzten sich nicht so schnell, und ein Großteil der Sonneneinstrahlung werde abgepuffert.
Auch Wiesen bekommen nun Wildpflanzen

Nicht nur auf Dächern schafft die Gemeinde Obersulm insektenfreundliche Lebensräume. Auch am Boden tut sie das. Und jetzt ebenfalls mit Wildpflanzen, denn die seien viel wertvoller und lieferten viel mehr Nektar als gezüchtete Pflanzen, die vorwiegend der Optik dienten, klärt Thomas Schwarz vom Bauamt auf. Drei Verkehrsinseln wurden zu Wildstaudenflächen und auf zwei großen Wiesen Wildblumensamen ausgesät. Die Arbeiten waren mit Erdaustausch, planieren, neuem Substrat und Unkraut jäten aufwendiger als das Dächerprojekt. Aber es gab einen Zuschuss zu den Kosten von 20 000 Euro aus dem Nabu-Förderprogramm "Natur nah dran" von 12 500 Euro. In den Bebauungsplänen in Obersulm ist die Dachbegrünung geregelt. Nebengebäude wie Garagen oder Carports müssen begrünt werden, seit neuestem gilt das auch für Wohnhäuser mit Flachdächern. Im Gewerbegebiet "Dimbacher Straße" müssen Gebäude mit mehr als 1000 Quadratmetern Fläche zu 50 Prozent, Fassaden zu 20 Prozent begrünt werden.