Stimme+
Region
Lesezeichen setzen Merken

Wie die Armut daheim den Lernerfolg prägt

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Drei Leiterinnen von Brennpunktschulen in Heilbronn berichten, welche Auswirkungen prekäre Wohnverhältnisse auf Kinder haben.

Todmüde im Unterricht: Nichts Ungewöhnliches, wenn der Bruder, mit dem man das Zimmer teilt, die ganze Nacht zockt.
 Foto: pegbes/stock.adobe.com
Todmüde im Unterricht: Nichts Ungewöhnliches, wenn der Bruder, mit dem man das Zimmer teilt, die ganze Nacht zockt. Foto: pegbes/stock.adobe.com  Foto: pegbes/stock.adobe.com

In Deutschland ist der Bildungserfolg der Kinder besonders eng an das Elternhaus und die soziale Herkunft gekoppelt. Das belegen Pisa-Studien, und das erleben Leiterinnen von Brennpunktschulen täglich bei ihrer Arbeit.

Rund 50 Prozent der Kinder haben Migrationshintergrund

Denise Munz und Tina Riek-Hessenthaler von der Dammgrundschule, Petra Dohrs von der Pestalozzischule und Susanne Kugel von der Neckartalschule in Heilbronn wissen, wie sich Armut und das Zusammenleben daheim auf engstem Raum auf Kinder auswirken. Rund 50 Prozent ihrer Klientel haben Migrationshintergrund.

In der Stadt ist die Lage besonders prekär

"Diese geballten Problematiken wie bei uns gibt es an Landkreisschulen so nicht", sagt Susanne Kugel. Dort hätten Menschen mit wenig Geld teils trotzdem einen Garten oder eine Wiese in der Nähe, auf der die Kinder spielen könnten. In der Stadt ist die Lage oft prekärer.

 


Mehr zum Thema

Lisa Paus soll neue Familienministerin werden.
Stimme+
Berlin (dpa)
Lesezeichen setzen

Künftige Familienministerin hat «Riesenrespekt» vor Aufgabe


Manchmal leben sieben Personen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung

In der Coronazeit etwa, als die Pädagogen Lernpakete ausgefahren haben, da haben sie auch geschaut, gibt es blaue Flecken? Was macht der Schüler für einen Eindruck? Haben sieben Angehörige in einer Zwei-Zimmer-Wohnung angetroffen. Familien, die in einer Art Lager im Keller lebten. Oder sonst sportliche Kinder, die blass waren, weil sie wochenlang nicht ins Freie durften. "Nicht alle Eltern haben ja die Regeln verstanden", sagt Petra Dohrs. "Sie hatten Angst, dass die Polizei kommt, wenn das Kind draußen ist."

Teils standen sie vor Häusern, an denen es weder Briefkasten noch Klingel gab. Tina Riek-Hessenthaler hat die Erfahrung gemacht, dass manche alleinerziehende Mutter bei wechselnden Landsleuten unterkommt, wenn sie keine Wohnung mehr hat, etwa weil die Beziehung gescheitert ist.

Vor jedem neuen Schuljahr geht die Suche nach den künftigen Erstklässlern los

Unter anderem deshalb geht zum neuen Schuljahr jedes Mal die Suche nach einem Teil der Erstklässler los. "Von den künftigen Einsern können wir oft bis zu einem Viertel nicht erreichen", sagt die Leiterin der Dammgrundschule. "Manche haben gar keine Meldeadresse."

 


Mehr zum Thema

Laut PISA-Studie entscheidet die soziale Herkunft immer stärker über den Schulerfolg (PISA-Symbolbild).
Stimme+
Region
Lesezeichen setzen

Wie wichtig sind die Eltern für den Lernerfolg?


Manche Kinder schlafen in der Schule ein

Was den Kindern fehle, seien Ruhe und ein geordneter Rahmen. Beispiele kennen die Rektorinnen zuhauf: Kinder, die in der Schule einschlafen, weil der große Bruder, mit dem sie das Zimmer teilen, die ganze Nacht zockt. Oder das Baby schreit. Oder alle in einem (Wohn)-Zimmer schlafen, wo die Kinder erst die Augen zumachen, wenn auch für die Erwachsenen das Licht ausgeht. Intimsphäre ist da ein Fremdwort. "Es gibt Kinder, die kriegen einfach alles mit von den Eltern", sagt Susanne Kugel.

Für Familien, die abends die Isomatte ausrollen, hat "es einfach keine Relevanz, welches Heft das Kind für Mathe braucht". Manche Mütter fragten, ob sie das Schulmaterial erst im November bringen könnten, weil sie drei Kinder haben und das Geld nicht für alle reicht.

Auch der Lärm, der herrscht, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammen sind und den Fernseher mit ihrer Lautstärke übertreffen, macht es Schülern schwer, sich auf Hausaufgaben zu konzentrieren.

Oft fehlt es an Geld, Platz und an Zeit für Zuwendung. ,"Dass bei uns im Morgenkreis ein Kind berichtet, es hat einen Ausflug in den Schwarzwald gemacht, ist eine riesen Ausnahme", sagt Petra Dohrs. Ein Geschwisterpaar verbringe jedes Wochenende spielend im Keller, die Eltern arbeiteten quasi Tag und Nacht in ihrem Restaurant.

Die Lehrer haben auch schon mal einem Schüler und seiner Familie beim Umzug geholfen

Eine Situation wird Susanne Kugel nicht vergessen. Den Schüler, der abends anrief, zufällig noch einen Lehrer erwischte und wissen wollte, ob man einen Umzug im Linienbus machen könne? "Als er hörte, dass das nicht geht, fragte er, ob es mit dem Schulbus möglich sei? Am besten gleich?" Der Kollege ließ sich Fotos der Möbel schicken, rief den Sportlehrer an, und sie halfen der Familie mit dem Schulbus beim Umzug. "Dieses Vertrauen hat mich sehr gerührt," sagt Kugel.

Für viele Kinder ist das Landschulheim der einzige Urlaub, den sie je hatten

Fehlt dieses Vertrauen, ist es schwer zu erkennen, wo der Schuh drückt. "Ein Junge vergaß immer seinen Sportbeutel. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass es nur ein Paar Turnschuhe in der Familie gibt, in die sich alle Kinder hineinquetschen, und dass die an diesem Tag immer die Schwester mitgenommen hat", sagt Denise Munz. Oder dass ein Kind nicht ins Landschulheim will, tatsächlich aber nicht die sieben Unterhosen hat, die auf der Packliste stehen. "Dann gehen wir halt einkaufen", sagt Susanne Kugel. Erlebnisse wie Landschulheim sind ihr heilig. "Für manche Schüler ist das der einzige Urlaub, den sie je hatten."

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben