Warum dieser Experte konkrete Maßnahmen beim Klimaschutz vermisst
Für den Meteorologen Hans Schipper sind zwei Dinge klar: Das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wird schwierig und es braucht dafür große Anstrengungen beim Klimaschutz. Was genau Deutschland und Baden-Württemberg tun müssten und für wen der Klimawandel gefährlich wird, erklärt er im Interview.

Der IPCC warnt: Es wird viel zu wenig getan, um die Erderwärmung zu begrenzen. Was bedeutet das für die neue Bundesregierung?
Hans Schipper: Es bedeutet, dass viel mehr getan werden muss. Der Weg, den wir jetzt gehen, wird nicht ausreichen, um unter zwei Grad, geschweige denn unter 1,5 Grad zu bleiben. Im letzten Jahr wurden bereits schärfere Ziele gesteckt, minus 65 Prozent CO2 bis 2030, Klimaneutralität 2045. Da müssten nun konkrete Maßnahmen genannt werden, es ist nämlich nicht klar, wie man das schaffen will.
Deutschland verursacht 2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, stößt aber seit Jahrzehnten Treibhausgase aus. Müssen wir mehr machen als andere, um dafür aufzukommen?
Schipper: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben natürlich eine historische Verantwortung. Das CO2, das jetzt in der Atmosphäre ist, haben einige wenige Länder verursacht und sind damit reich geworden. Jetzt verlangen wir von den Entwicklungsstaaten, dass sie unseren Stand nicht oder wenigstens anders erreichen sollen, im Namen des Klimaschutzes. Ich denke, wir müssen allein aus der historischen Verantwortung heraus alles tun, um Emissionen so weit es geht zu reduzieren.
Was sind hierzulande die schnellsten und wirksamsten Maßnahmen?
Schipper: Man sollte die Energiewende vorantreiben, so schnell und weit wie möglich. Der Verkauf von E-Fahrzeugen muss angekurbelt werden, allerdings müssen die mit Strom aus erneuerbaren Quellen geladen werden. Und man sollte versuchen, die Gesellschaft noch mehr zum Mitmachen zu bewegen. Wir sitzen alle in einem Boot und der Klimawandel ist für uns und künftige Generationen ein großes Problem.
Deutschland hat auf Gas gesetzt, dann kam der Krieg. Sollte man am Atom- und Kohleausstieg rütteln?

Schipper: Das ist eine schwierige politische Frage. Ich halte von der Kernkraft-Technologie grundsätzlich nichts. Sie ist nicht nachhaltig, ich hielte das für schädlich. Den Kohleausstieg haben wir in die Wege geleitet, da sollten wir nicht dran rütteln. Wir müssen uns anstrengen, in den nächsten Jahren herauszufinden, wie wir unsere Energieversorgung immer mehr aus Sonne und Wind hinbekommen.
Verkehr erzeugt ein Drittel der Emissionen im Land. Bessert sich das?
Schipper: Ich sehe keine Trendwende. Es werden grundsätzlich immer mehr Autos. Selbst wenn es sparsame Verbrenner oder Elektroautos sind: Immer mehr Autos sind ein Problem. Natürlich ist Baden-Württemberg auch das Autoland schlechthin. Sicherlich ist es nicht ganz einfach, hier einen Sinneswandel zu schaffen.
Was muss passieren?
Schipper: Man müsste den Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel schaffen. In Städten geht das, im ländlichen Bereich wird es schwieriger. Mobilitätswende bedeutet nicht, einen Verbrenner durch ein E-Auto zu ersetzen. Es braucht weniger individuelle Mobilität, wo sie nicht sein müsste, und mehr öffentliche Verkehrsmittel wie Züge und Busse. Es muss darum gehen, Autos zu ersetzen.
Die Forscher betonen, dass sich Städte enorm anpassen müssen: Mehr Grün, weniger Beton. Passiert das?
Schipper: Ich denke, in der Städteplanung ist angekommen, dass man klimafreundlich bauen muss. Einfach, weil die letzten Jahre gezeigt haben, dass es in Städten im Sommer sehr heiß wird. Außerdem wird der Klimaschutz beim Bauen durch verschiedene Vorgaben berücksichtigt. Deswegen gibt es Windschneisen, die kalte Luft vom Umland in die Stadt bringen. Zunehmend schaut man sich auch Konzepte von wärmeren Ländern ab. Auch in die Höhe bauen kann sinnvoll sein, weil es dadurch große Schattenflächen gibt, die die Stadt abkühlen können. Man muss viele Maßnahmen ergreifen.
Wie wird sich Baden-Württemberg durch den Klimawandel verändern?
Schipper: Die Temperaturen sind schon angestiegen. Es wird in den Städten länger warm bleiben, sogenannte tropische Nächte ab 20 Grad und mehr. Das ist auf Dauer schädlich für die Gesundheit. Die Trockenheit im Sommer wird sich weiter verschärfen. Es wird nicht das ganze Jahr trocken sein, aber im Sommer werden die Trockenperioden länger und wenn es dann mal regnet, ist der Boden so hart und ausgetrocknet, dass Wasser nicht mehr einzieht. Zudem fällt durch Starkregen zu viel Wasser auf einmal. Invasive Arten wie Tigermücke oder Ambrosia-Pflanze werden sich weiter ausbreiten.
Besonders ältere Menschen sind gefährdet, warum?
Schipper: Ältere Menschen haben einen geringeren Reiz zum Trinken. Sie müssen in heißen Sommern wirklich aktiv trinken. Gut ist, wenn man Nachbarschaftshilfe leistet: Einfach mal die älteren Nachbarn im Dachgeschoss besuchen, wenn es sehr warm ist. Für Bauarbeiter oder andere arbeitende Menschen, die bei Hitze raus müssen, kann es durchaus auch gefährlich werden.
Der IPCC empfiehlt, Schutzräume für Hitze einzurichten. Was kann man da machen?
Schipper: In Städten kann man große Kirchen öffnen, in denen es kühl ist. Oder man schafft kühle Räume in Kellern von Gebäuden. Die Stadt Karlsruhe hat Trinkwasserbrunnen in der Stadt aufgestellt.
Sind 1,5 Grad noch machbar?
Schipper: Ich denke, 1,5 Grad global sind sehr schwierig machbar. Unmöglich nicht, aber die Frage ist doch, was realistisch ist. Wir müssen versuchen, so nah wie möglich an 1,5 Grad zu bleiben. Im globalen Mittel ist das als Ziel in Ordnung, aber es wird sehr schwer werden.
Zur Person
Dr. Hans Schipper ist Diplom-Meteorologe und Leiter des Süddeutschen Klimabüros des Karlsruher KIT.