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Warum der Datenschutz am Arbeitsplatz verschärft werden soll

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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will ein eigenes Datenschutzgesetz für Beschäftigte verabschieden. Das Vorhaben ist nicht ganz freiwillig: Der EuGH sieht beim Mitarbeiter-Datenschutz in Deutschland Handlungsbedarf. Was geregelt werden soll.

 Foto: tippapatt

Um den Datenschutz am Arbeitsplatz gibt es ständig Streit. Darf sich eine Firma ohne Erlaubnis bei früheren Arbeitgebern über Bewerber informieren? Dürfen Dienstwagen per GPS überwacht werden? Ist es erlaubt, Krankmeldungen ans Schwarze Brett zu hängen? In all diesen realen Fällen, mit denen sich die Datenschutzbehörde in Stuttgart beschäftigt hat, lautet die Antwort nein. Doch in mindestens genau so vielen Fällen ist die Rechtslage unklar.

Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Hannover. Geklagt hatte die Mitarbeiterin eines Amazon-Lagers, weil der Konzern jeden Arbeitsschritt über einen Handscanner überwachte. Die Daten würden genutzt, um Arbeiter auf einem anderen Posten einzusetzen, wenn sie zu langsam sind, so die Erklärung. Das Gericht gab Amazon Recht. Es gebe kein Gesetz, das solche Praktiken verbietet.

Arbeitsminister Hubertus Heil will das ändern und ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz verabschieden. Das Vorhaben steht im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Durch eigene Regeln zum Beschäftigtendatenschutz gebe es künftig mehr "Rechtsklarheit" für Arbeitgeber und Beschäftigte. Doch wieso ist dafür so ein Gesetz nötig, obwohl der Datenschutz mit der DSGVO seit 2018 in ganz Europa einheitlich geregelt ist?


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Baden-Württembergs Datenschützer Jan Wacke: Der Beschäftigtendatenschutz ist zu unkonkret

Die Antwort hat Jan Wacke, der die Datenschutzbehörde in Stuttgart übergangsweise leitet. "Das Arbeitsrecht in Europa ist nicht einheitlich. Deshalb wurde in der DSGVO nicht abschließend festgelegt, wie der Beschäftigtendatenschutz zu regeln ist." Bedeutet: Die EU hat es den Mitgliedsländern überlassen, für den Datenschutz am Arbeitsplatz eigene Vorschriften zu machen. Das hat die Bundesregierung auch getan, in Paragraf 26 des Bundesdatenschutzgesetzes.

Doch der Passus ist unter Datenschutz-Experten schon länger umstritten, weil er nicht nicht konkret genug ist. Das ist laut DSGVO verboten: Damit die EU-Länder den Datenschutz nicht auf diesem Weg aushöhlen, müssen nationale Gesetze nicht nur konkreter sein als das EU-Recht, sondern weitergehende Datenschutz-Vorgaben machen.

EuGH sieht Handlungsbedarf beim Mitarbeiter-Datenschutz

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will strengere Datenschutz-Vorschriften am Arbeitsplatz. Auch der EuGH mahnt zum Handeln.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will strengere Datenschutz-Vorschriften am Arbeitsplatz. Auch der EuGH mahnt zum Handeln.  Foto: Bernd von Jutrczenka

Dass die Rechtslage in Deutschland nicht ausreicht, hat Anfang April auch der Europäische Gerichtshof bestätigt. Die Richter mussten darüber urteilen, ob hessische Lehrkräfte ohne Einwilligung dazu gezwungen werden konnten, ihren Unterricht per Livestream zu halten. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden stellte die hessischen Datenschutzregeln für Beschäftigte, die wortgleich dem Paragrafen des Bundesgesetzes entsprechen, gleich ganz infrage und schalteten den EuGH ein. Die EU-Richter untermauerten, dass der Beschäftigtendatenschutz in Deutschland nicht konkret genug geregelt ist.

Datenschützer Wacke sieht gleich mehrere Baustellen, die ein neues Gesetz angehen muss. "Eine Einwilligung muss freiwillig sein, damit sie wirksam ist." Wann das der Fall ist, könne sich erheblich unterscheiden. Ein Beispiel: Wenn Bewerber einem Background-Check zustimmen sollen, ist ihre Entscheidung nicht per se freiwillig, wenn sie bei einer Verweigerung Nachteile befürchten müssen. In einem neuen Gesetz könnten aus Wackes Sicht konkrete Fälle ergänzt werden, wann eine Einwilligung freiwillig ist.

Und es gäbe noch mehr zu regeln: Wann und wo ist Videoüberwachung erlaubt? Was genau müssen Arbeitgeber vorlegen, wenn Mitarbeiter Auskunft über ihre gespeicherten Daten verlangen? Dürfen KIs mit Bewerberdaten trainiert werden? Im Datenschutzrecht gebe es viele Abwägungsentscheidungen, betont Wacke. "Je konkreter der Beschäftigtendatenschutz gesetzlich ausgestaltet wird, umso mehr Rechtssicherheit gibt es für die Praxis in den Unternehmen."

Heilbronner NGG-Gewerkschafter fordert klare Grenzen für Videoüberwachung und Co.

Mehr Rechtssicherheit wünscht sich auch Frank Meckes, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Heilbronn. Mitarbeiter und ihre Daten zu schützen sei durch immer mehr digitale Systeme am Arbeitsplatz dringend nötig. Unternehmen seien verständlicherweise daran interessiert, Prozesse effizienter zu machen. "Die Frage, die wir uns aber stellen müssen, ist: Wo hört berechtigte Datenerfassung auf und wo fängt illegale Überwachung an?"

Aktuelle Fälle oder Verfahren aus der Region Heilbronn-Franken sind dem Gewerkschafter nicht bekannt. Allerdings vermutet er, dass die Dunkelziffer hoch ist. "Wir hören immer wieder: Die Videoüberwachung ist nur zum Schutz der Beschäftigten." Die Erfahrung zeige jedoch, dass das nur die halbe Wahrheit ist. In Bäckereien sei in der Vergangenheit etwa kontrolliert worden, wie die Theke aussieht und was Mitarbeiter machen, wenn der Laden gerade leer ist. "Es geht nicht nur um die Überwachung von Leistung, sondern auch von Verhalten."

Besonders kritisch sieht Meckes Software, die Bewerber aussortiert. "Dadurch laufen wir Gefahr, die Menschlichkeit im digitalen Zeitalter zu verlieren." Einserkandidaten seien toll, würden den Betrieb aber schneller verlassen, wenn es auf der Karriereleiter nach oben geht, erklärt Meckes. Bewerber, die mit anderen Stärken wie Teamgeist punkten, gerieten dadurch ins Hintertreffen. Deshalb brauche es klare Regeln, was erlaubt ist und was nicht. "Dieses Gesetz ist längst überfällig, denn eigentlich hinken wir dem technischen Fortschritt schon hinterher."

Hintergrund

Arbeits- und Innenministerium arbeiten gemeinsam an dem neuen Gesetz, dessen Eckpunkte noch unklar sind. 2022 hatte ein Expertenbeirat einige Empfehlungen vorgelegt. Auf Stimme-Anfrage bestätigt Heils Ministerium, dass der Entwurf "kurzfristig" erarbeitet werden soll. In einem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es, dass etwa die verdeckte Überwachung von Mitarbeitern und Kameraüberwachung eingeschränkt werden sollen. Genauer geregelt werden soll auch, welche Fragen im Bewerbungsgespräch verboten sind.

 
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