Vor 100 Jahren kam der Unterländer Sportfunktionär Alfred Finkbeiner zur Welt
Am Sonntag, 7. Mai, jährt sich der Geburtstag von Alfred Finkbeiner zum 100. Mal. Der legendäre Sportfunktionär förderte viele junge Menschen, darunter auch Olympia-Teilnehmer und Fußballprofis. Und: Er rettete Franz Beckenbauer.

So hätte es dem Jubilar gefallen: im trauten Kreis mit Familie und Sportsfreunden, neben dem Sportplatz am Fuß des Heuchelbergs, und nach dem Mittagessen an den Böckinger See, um auf der Tribüne weiterzufeiern, deren Bau er 1974 initiiert hatte. Zur perfekten Chronologie der Geburtstagsfeier hat auch noch der Computer des Fußballbezirks Unterland das Lokalderby FC Union Heilbronn gegen SV Leingarten ausgespuckt, jene zwei Vereine, die für Alfred Finkbeiner Jugend und Heimat waren. Er wäre am Sonntag 100 Jahre geworden.
Zu 80 Prozent kriegsversehrt
Damals traten diese beiden Traditionsclubs noch unter ihren Geburtsnamen an: FV Union 1908 Böckingen und SV Großgartach 1895. Bei der Union galt der junge Fred als Allround-Talent, er stand im Fußball-Tor, spielte Hockey, boxte.

Bis den 19-jährigen Soldaten 1943 in der Schlacht um Charkow Granatsplitter trafen. Der Junglehrer, der vier Jahre später mit Ehefrau Ria und drei Kindern, Brigitte, Wolfgang und Claudia (unterwegs), im dritten Stock der Lorenzschule Großgartach einzieht, humpelt.
Als linker Unterschenkel dient ihm eine Prothese, am rechten Fuß fehlt die Ferse, das Fußgelenk ist steif. Von der Krankenkasse wird er unter "80 Prozent kriegsversehrt" eingestuft. Nicht die besten Voraussetzungen, um bald als größte Sportpersönlichkeit in den Annalen der Region verewigt zu werden.
Begnadeter Pädagoge und Menschenfänger
Über das Porträt des Lidl-Gründers Dieter Schwarz hat das "Manager-Magazin" vor einiger Zeit die Überschrift gestellt "Ein Multimilliardär baut sich eine Stadt". Im Text steht der reichste Mann Deutschlands Modell für das modernste Bildungs-Forschungssystem, Avantgarde-Unternehmertum, eine coole und hochgradig internationale Universität, Silicon Valley am Neckar. Auch Finkbeiner hat sich ein Heilbronn gebaut. Der Pädagoge malte einer traumatisierten Generation von Kindern eine Zukunft und Visionen an die Tafel. Er erzählte von einer neuen Welt und vom großen Sport.
Man musste diesem Menschenfänger nur folgen. Wenn die Buben und Mädchen seiner Klasse in den Bus zum Schullandheim ins Monbachtal im Schwarzwald stiegen, glaubten die, es gehe nach Amerika. Und wenn die Sportkreisjugend im Zeltlager in Untergriesheim sich zum Gruppenkreis um die Fahne aufstellte, erlebten diese Kids den Geist von Olympia im Jagsttal: betreut von Athleten, die sie sonst nur von den Sportseiten der Stimme und aus dem Radio kannten.
Diesen Sportlern, ob sie nun Deutsche Meister im Turnen, Schwimmen oder auf dem Rennrad waren, manche sogar Olympia-Teilnehmer, hatte der Papa des Camps, inzwischen Rektor der Hauffschule, über das von ihm geschaffene Modell "Zweiter Weg" als Sportlehrer beruflich abgesichert.
Der Retter von Beckenbauer
In den 60ern macht sich Heilbronn einen Namen als Fußball-Standort. Bei Schüler-und Jugendländerspielen sitzen die Fans auf Zäunen und Bäumen, um ihre Stars von morgen zu bewundern. Hinter dem Geheimnis der fantastischen Kulissen steckt der Regisseur Alfred Finkbeiner. Der Vorsitzende Schulfußball in Württemberg hat Schulwandertage zum Frankenstadion in den Lehrplan schreiben lassen.
Mit 40 sitzt er ganz oben. Es ist die Zeit des Umbruchs im deutschen Fußball. Die Bundesliga strampelt 1963 in den Windeln, als im Trainingslager der Jugendnationalmannschaft eine "Bombe" platzt. Beim neuen Chef des Jugend-Ressorts liegt ein Baby auf dem Schreibtisch. Der Kleine heißt Thomas Beckenbauer, der Vater ist 17, die Mutter angestellt in einer Sportschule. Die alten Gipsköpfe schreien "rausschmeißen".
Doch Finkbeiner packt den frühreifen Teenager ins Auto, nimmt ihn mit nach Heilbronn. Und zeigt den Kollegen in der Verbandszentrale, dass und wie er seinen Job versteht: "Wir lassen uns das größte Talent des deutschen Fußballs nicht kaputt machen". Keine drei Jahre später wird Beckenbauer bei der WM in England als Weltstar und Kaiser gefeiert.
Die größten Erfolge
Finkbeiner war oft Geburtshelfer in einer Ära, in der die Männer mit dem Adler auf der Brust hoch am Himmel fliegen. 1974 Weltmeister, 1980 Europameister, 1966 im WM-, 1976 im EM-Finale. Die Bundesliga gilt als Eliteklasse des Erdballs - nur auf dem Briefkopf der Ausbildungs-Abteilung stand nichts zum Vorzeigen. Den "Finkes" hat das gewurmt. Er musste warten bis 1981. Aber dafür durften gleich zwei Trophäen gelistet werden.

Erst der EM-Titel der U-18, dann der U-20-Weltpokal. "Unser Vater war sehr stolz auf seine Jungs. Seine Gefühle äußerten sich in seinem Lächeln und innerlicher Freude, gepaart mit der von Sepp Herberger vorgelebten Demut im Sieg", so erinnert sich Tochter Claudia. Dass man die Freude mit dem Trainer Dietrich Weise teilen konnte, der auch aus Heilbronn kam, passte perfekt.
Lorbeeren für Lebensleistung
Persönliche Lorbeeren blieben nicht aus: Pünktlich zum 60. Geburtstag wurde Finkbeiner zum Präsidenten des Württembergischen Landessportbundes gewählt und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die Ovationen hat er still genossen und auf seine Art abgearbeitet. 163 Namen standen auf der Gratulantenliste, hinter manchen standen Telefonnummern. Die hat er angerufen.
Bei allen anderen hat sich der Jubilar mit handschriftlichem Faksimile auf Büttenpapier bedankt. Alfred Finkbeiner hatte Stil. Wenn man ihn in die heutige Kommunikationswelt beamen und nach digitalen Kriterien messen könnte, dann wäre er der wichtigste Sport-Influencer Baden-Württembergs, mit Millionen Followern.
Medaillenspiegel bei Olympia
Was Alfred Finkbeiner und sein Freund und Vorgänger als WLSB-Präsident, Dr. Hans Schaible, angeschoben und durchstrukturiert haben, dokumentiert der interne Olympische Medaillenspiegel der Bundesrepublik für seine Landesverbände.
Bei den Winterspielen führt Bayern vor Baden-Württemberg, nicht zuletzt dank der Nähe zu den Alpen, im Sommer kommen die Besten aus Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Baden-Württemberg landet hier auf Rang zwei. Doch summa summarum ist ganz klar das Ländle die Nummer 1 im Land.
Global Player
Und wenn wir schon in Zahlen messen: Alfred Finkbeiner war im Jahr 50.000 bis 60.000 Kilometer unterwegs zwischen den Sportschulen und Verbandszentralen in Hennef, Malente, Frankfurt, Barsinghausen, Koblenz und Ruit, und als WLSB-Präsident fuhr er fast täglich nach Stuttgart. Seine Mission für die Jugend machte ihn zum Global Player.

Er bereiste über 90 Länder, dabei wollte der alte Lehrer in ihm draußen in der Welt auch von den anderen lernen. Und es läuft wie früher an seinen Schulen und Ämtern. Möglichst schnell nach der Landung hatten seine Delegationsmitglieder ihre Hausaufgaben vorzulegen. Der Chef selbst bündelte die Berichte in seinen zentralen Report an den Präsidenten des Deutschen Sportbundes bzw. DFB-Präsidium und Kultusministerien.
Im November 1985 fliegt Alfred Finkbeiner als Beobachter der UEFA zu einem Länderspiel nach Irland. Auf dem Rückflug erleidet er einen Hirnschlag, von dessen Folgen er sich nicht mehr erholt. Am 30. April 1992 ist er gestorben.
INFO Zum Autor
Martin Hägele (71) stammt aus Großgartach und kannte Alfred Finkbeiner von Kindesbeinen an. Der Journalist volontierte bei der Heilbronner Stimme und war unter anderem Sportchef beim "Stern" sowie von 2005 bis 2019 beim FC Bayern München Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen.