Viele Behandlungen fallen wegen Corona aus
In Zeiten von Corona treten andere medizinische Bereiche in den Hintergrund. Das hat Folgen für die Patienten. Wie sich die Pandemie auf unterschiedliche Bereiche der Medizin auswirkt.

Corona ist seit Monaten das dominierende Thema. Andere Bereiche in der Medizin finden dagegen kaum noch Beachtung. Alle Ressourcen im Gesundheitswesen scheinen konzentriert auf die Bekämpfung der Pandemie. Für manche Patienten kann das gravierende Auswirkungen haben: Menschen, etwa mit schwerer Hüftarthrose, müssen unter Umständen lange auf einen OP-Termin warten - und irgendwie mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zurechtkommen. Chronisch Erkrankte trauen sich womöglich aus Sorge vor Ansteckung nicht mehr zum Arzt. Quer durch alle Fachbereiche besorgniserregend ist der Rückgang der Vorsorgeuntersuchungen und Verlaufskontrollen im ambulanten Sektor. Das zeigt eine Studie der Universität Köln. Die gesunkene Inanspruchnahme werde "langfristige Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Betroffenen" haben. Wie wirkt sich die Pandemie auf unterschiedliche Bereiche der Medizin aus? Einige Schlaglichter:
Diabetologie
In großer Sorge um ihre chronisch kranken Patienten ist die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Die Pandemie fördere geradezu Bewegungsmangel und Übergewicht und damit zwei der wichtigsten Risikofaktoren, heißt es von dort. Bei einer YouGov-Umfrage während des ersten Lockdowns hatten 38 Prozent der Erwachsenen angegeben, sich aufgrund der Kontaktbeschränkungen weniger zu bewegen. 19 Prozent nahmen deshalb zu. Auch Kinder sind mit neun Prozent von Gewichtszunahme betroffen.
Während des ersten Lockdowns haben viele Diabetiker aus Angst vor Ansteckung ihre Vorsorgetermine abgesagt - das dürfe sich nicht wiederholen, warnt der Verband der Diabetes Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD): "Vorsorgetermine sind notwendig, um beginnende Komplikationen frühzeitig zu erkennen und abzuwenden." Auch im Hinblick auf eine mögliche Corona-Infektion tun sich die Betroffenen damit keinen Gefallen. "Menschen mit Diabetes Typ 1 oder 2 haben bei einer instabilen Stoffwechsellage und zusätzlichen Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei Covid-19", warnt Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe.
Orthopädie/Unfallchirurgie
An der Vulpius-Klinik in Bad Rappenau, einer orthopädischen Fachklinik, sind die Patientenzahlen laut einem Sprecher "von der einen oder anderen Absage abgesehen, stabil". Anders sieht das an den SLK-Kliniken aus. Im Vergleich November 2019 zu November 2020 sei "einen Rückgang im elektiven Bereich von mehr als 15 Prozent" zu verzeichnen - zu den elektiven oder planbaren Eingriffen gehört beispielsweise der Gelenkersatz an Hüfte oder Knie. Gleichzeitig seien, wie schon im Frühjahr, die Zahlen im unfallchirurgischen Bereich rückläufig. Sprich: Es passieren weniger Unfälle, die in der Notaufnahme versorgt werden müssen.
Wie können Patienten mit Hüft- oder Knie-Arthrosen die Corona-Zeit überbrücken? Dieser Frage widmete die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE) eine Online-Konferenz. Eine der Aussagen dabei: "Wenn die Schmerzen beherrschbar sind, kann man mit einer Operation zuwarten und versuchen, die Beschwerden konservativ in den Griff zu bekommen." Gerade im Bereich Knie-Arthrose sei das häufig gut möglich, so Karl-Dieter Heller, Präsident der AE. Gewichtsreduktion und Bewegung sind dabei wichtige Aspekte. Gelenkersatz an der Hüfte sei dagegen weiter "massiv gefragt". "Wir sehen eine deutliche Verlagerung von Knien hin zu Hüften", sagt Heller.
Das Patientenverhalten habe sich im Vergleich zur ersten Pandemie-Welle im Frühjahr ebenfalls deutlich gewandelt. Damals hätten viele Patienten einen geplanten Eingriff abgesagt - aus Angst, sich zu infizieren. Das sei inzwischen anders: "Die Patienten möchten zügig operiert werden, und das ist auch sicher möglich."
Onkologie
Im Bereich Onkologie "werden alle Betten regulär betrieben, keine Operationen verschoben und auch die ambulante Versorgung läuft regelhaft", teilt die SLK-Pressestelle auf Anfrage mit. Da im Umgang mit einer Krebserkrankung der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle spiele, sei es entscheidend, dass Patienten ihre Termine weiter wie geplant wahrnehmen. Nachsorge- und Routineuntersuchungen seien jedoch im Frühjahr deutlich zurückgegangen - obwohl sie bei SLK ohne Unterbrechung durchgeführt worden seien.
Von der Deutschen Krebshilfe heißt es, während der ersten Welle der Pandemie sei es in einigen Bereichen der onkologischen Versorgung zu deutlichen Einschränkungen gekommen. Patienten hätten sich aus Sorge vor einer Ansteckung vielfach bewusst gegen Arztbesuche entschieden. Darauf hat die Organisation reagiert. Verunsicherte Patienten können sich an den Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) oder das Infonetz Krebs der Deutschen Krebshilfe wenden, teilen die Organisationen mit.
Schmerztherapie
Deutlich rückläufig sind laut SLK die Zahlen im Bereich Schmerztherapie. Planbare, längere Krankenhausaufenthalte seien hier die Regel - "Patienten scheinen das in der momentanen Situation nicht auf sich nehmen zu wollen". Probleme werden dadurch unter Umständen verschärft: Viele Schmerzpatienten litten über längere Zeit unter Schmerzen und seien, unabhängig von der Corona-Pandemie, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Kardiologie: Das Patientenaufkommen hat sich besonders am Ende des ersten Quartals deutlich verringert, teilt der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) mit. Allein die Verlaufskontrollen sind nach einer Umfrage der Universität Köln zwischen Juni und September 2020 um 57 Prozent zurückgegangen. Ein Grund sei die Sorge der Patienten gewesen, sich zu infizieren. Außerdem seien Patienten oft schon vorab telefonisch kontaktiert worden, um die Notwendigkeit einer Kontrolluntersuchung bei Beschwerdefreiheit abzuklären, so der BNK. Meiden Patienten von sich aus den Besuch bei ihrem Kardiologen - selbst in ernsten Situationen - bestehe im Akutfall Lebensgefahr. Bleibende Schäden wie eine Herzschwäche seien bei rechtzeitigem Handeln vermeidbar. 49 Prozent der in der Kölner Studie befragten Kardiologen haben infolge der Pandemie zu spät behandelte Herzinfarkte gesehen.
Kinder in Not
Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf die Gesundheit von denjenigen Kindern und Jugendlichen aus, die nicht an Covid-19 erkranken. Das zeigt die erste Befragung für die Kölner Studie Gams unter niedergelassenen Kinderärzten. Zwischen Juni und September fanden mehr als ein Viertel der üblichen U-Untersuchungen nicht statt (-27,8 Prozent). Um 29,8 Prozent gingen die Beratungstermine und um 27,2 Prozent die Verlaufskontrolltermine zurück.
Als Folge der Pandemie bemerkten 62,4 Prozent der befragten Ärzte eine Zunahme von psychischen beziehungsweise sozialen Auffälligkeiten bei ihren jungen Patienten. 38,2 Prozent sahen eine soziale Vernachlässigung, die sie auf die Pandemie zurückführen. Dazu passt, dass 12,3 Prozent der teilnehmenden Ärzte von zunehmender häuslicher Gewalt berichten.