Verprügelt in den eigenen vier Wänden – Mehr Frauen wenden sich an Opferhilfe Weißer Ring
Dass Männer ihre Partnerinnen schlagen oder seelisch misshandeln, ist ein Phänomen, das quer durch die Gesellschaft geht. In der Region steigen die Fallzahlen. Im Hohenlohekreis melden sich vermehrt ausländische Frauen beim Weißen Ring.

Dieter Ackermann hat im Berufsleben allerhand gesehen und erlebt. Jahrzehntelang war er im Polizeidienst, auch bei der Kripo. Das Thema Gewalt in der Partnerschaft ist ihm von berufswegen also durchaus vertraut. Als Leiter der Opferhilfe Weißer Ring in der Stadt und im Landkreis Heilbronn ist er dennoch überrascht, wie oft Frauen geschlagen oder psychisch misshandelt werden.
"Das geht quer durch die Gesellschaft", sagt der 63-Jährige. Von mehr Fällen berichtet auch Cornelia Taschner, Leiterin des Weißen Rings im Hohenlohekreis. Die 69-Jährige ist ebenfalls ehemalige Kriminalhauptkommissarin.
Auch Frauen werden zu Täterinnen
Die Täter sind in der Regel Männer. "Man muss aber sehen, dass wir auch Täterinnen haben", sagt Ackermann. Dies insbesondere, wenn es um eine psychische Komponente von Gewalt gehe. Es komme außerdem vor, dass ein Mann in der Partnerschaft Schläge bekomme. Das passiere nicht nur in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Ackermann kennt Fälle, bei denen Frauen handgreiflich werden. Richte sich häusliche Gewalt gegen Kinder, gehörten häufig auch Frauen beziehungsweise Mütter zum Täterkreis.
In der überwiegenden Mehrheit der Fälle ist es dennoch so, dass ein Mann zuschlägt. Die Fallzahlen von Partnergewalt in der Region steigen. Seit Jahresanfang registriert der Weiße Ring Heilbronn 120 Anrufe. Ein Teil der Anfragen lässt sich telefonisch klären. Zu einem persönlichen Treffen nach dem Telefongespräch kommt es in etwa 65 Fällen. "In 40 Prozent dieser Treffen geht es um häusliche Gewalt." Das sei doppelt so viel wie im gesamten Jahr zuvor. Im Hohenlohekreis sieht es ähnlich aus. "Schon seit einiger Zeit geht es bei den Frauen, die sich bei uns melden, überwiegend um das Thema Partnergewalt", sagt Cornelia Taschner.
Betroffene stoßen mitunter auf Skepsis
Gewalt sei keine Frage von Einkommen oder Bildung, erklärt Ackermann. Betroffene lebten genauso in einfachen wie in gehobenen Verhältnissen. Dass ein Mann eine Frau misshandelt, ist nach Erfahrung des Weißen Rings keine Frage des sozialen Status". "Dandy-Schläger" nennt Ackermann jene Männer, die beruflich etabliert, im Verein aktiv, im Ort gut angesehen sind. Misshandelte Frauen, deren Männer diesem Typ entsprechen, erfahren, dass selbst die beste Freundin sagt "Das glaube ich nicht", wenn sie sich ihr anvertraut.
Ausländische Frauen melden sich im Hohenlohekreis
Im Hohenlohekreis melden sich Taschner zufolge viele ausländische Frauen. Sie lebten tendenziell noch nicht so lange in Deutschland. "Hier sehen sie, dass es auch anders geht", nennt Taschner einen Erklärungsansatz. Hier könnten einige eher über Gewalt sprechen als in den Herkunftsländern. Vorher hätten Frauen aus Migrationsfamilien den Mann als Dominator eher klaglos hingenommen, meint Ackermann. Heute sagten sie: "Nein, ich habe Rechte."
Betroffene stehen unter einem ungeheuren Druck, stellt Ackermann fest. Einige von ihnen erleben, dass engste Familienangehörige sich auf die Seite des Schlägers stellen. Die Fassade nach außen aufrechtzuerhalten, sei denen wichtig.
Angezeigte Fälle geben nur einen Teil der Vorkommnisse wieder
Ackermann und Taschner gehen davon aus, dass die offiziellen Zahlen zu Partnergewalt nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Vorkommnisse abbilden. Die Polizei beispielsweise sehe bloß das angezeigte Hellfeld oder wenn jemand in einer akuten Situation die 110 wählt, sagt Ackermann. Klingelt eine Streife an der Haustür, kann es sein, dass die Frau trotz blauem Auge sagt, es sei nicht so schlimm oder ein einmaliger Ausrutscher ihres Mannes.
Täter haben oft selbst Gewalt erfahren
Aus kriminologischer Sicht ist es laut Ackermann so, dass Täter häufig selbst Gewalt erfahren haben. Gewalttätigkeit ist für diese ein Weg, ihrem Gegenüber den eigenen Willen aufzudrücken, die Ehefrau gefügig zu machen. "Da ist angeblich nicht aufgeräumt, oder sie hat nicht sauber gespült." Einige Täter weisen eine psychische Erkrankung auf. Andere haben Ärger bei der Arbeit, der sich zu Hause entlädt. Alkohol und Drogen beeinträchtigen außerdem die Urteilsfähigkeit.
Gewalt zeigt sich jedoch nicht nur in blauen Flecken oder Prellungen. Die einen Täter schlagen, die anderen üben psychische Gewalt aus. Sie kontrollieren Frauen. Überprüfen Kontoauszüge, lesen Handynachrichten, installieren GPS-Tracking-Apps, um zu sehen, wo sie hingeht.
Betroffene bleiben in gewalttätigen Beziehungen
Betroffenen fällt oft schwer, sich vom gewalttätigen Partner zu lösen. "Jede Beziehung fängt an, weil man sich gern hat", sagt Ackermann. "Im Laufe der Zeit verändern sich Beziehungen. Das wird nicht erkannt." Der Ex-Polizist ist überzeugt: Überschreitet ein Täter die rote Linie und schlägt zu, bleibt es nicht bei einem Mal. Eine Chance bestehe höchstens, wenn er sein Aggressionsproblem erkenne und sich aktiv Hilfe suche, in eine Tätergruppe gehe, Reue zeige und an sich arbeite.
Frauen halten Gewalt aus unterschiedlichen Gründen aus. Die Scham, im Wohnort ins Gerede zu kommen, ist vorhanden. Nach wie vor spielten finanzielle Abhängigkeiten eine Rolle, sagt Ackermann. Frauen blieben auch wegen der Kinder in einer gewaltvollen Beziehung. Neulich habe eine Frau am Telefon gesagt, dass sie nach Jahren jetzt den Mut gefunden habe anzurufen, erzählt Ackermann. "Was mich berührt, ist, wie lange das jemand aushält, bevor er Hilfe sucht."
Hilfe bei Gewalt
In Heilbronn ist der Weiße Ring unter der Mobilnummer 0151 55164776 zu erreichen und im Hohenlohekreis unter 0151 54503917.



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