Stimme+
Armut
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Stadtführung mit ehemaligen Wohnungslosen in Heilbronn – Wie es ist, unter der Brücke zu schlafen

   | 
Lesezeit  2 Min
Erfolgreich kopiert!

Eine ungewöhnliche Stadtführung der Aufbaugilde von ehemals Wohnungslosen in Heilbronn macht die, die daran teilnehmen, nachdenklich. In kleinen Szenen zeigt eine Theatergruppe, wie das Leben auf der Straße aussieht.

Theaterszene vor dem Freibad: Ein Obdachloser erzählt einer Passantin, die sich zu ihm setzt, von seinem Schicksal, als ihn ein Jugendlicher anpöbelt und die Polizei schließlich eingreift und ihm die Adresse der Wohnungslosenhilfe gibt.
Theaterszene vor dem Freibad: Ein Obdachloser erzählt einer Passantin, die sich zu ihm setzt, von seinem Schicksal, als ihn ein Jugendlicher anpöbelt und die Polizei schließlich eingreift und ihm die Adresse der Wohnungslosenhilfe gibt.  Foto: Seidel, Ralf

Ein Stück Pappe und einen Becher. Das bekommen die rund 20 Interessierten, die zur alternativen Stadtführung mit der Theatergruppe der Aufbaugilde gekommen sind. Anlass ist der Tag der Armut, den die Liga der Wohlfahrtsverbände Baden-Württemberg ausgerufen hatte.

Kein Dach überm Kopf, Kälte, der schmerzende Rücken beim Betteln und die Stunden des Tages, die einfach nicht vergehen. Ehemalige Obdachlose zeigen an diesem Herbsttag in kleinen Szenen, wie das Leben auf der Straße aussieht. Wie das ist, wenn sich das Schlafzimmer unter der Rosenbergbrücke befindet und der "Weckservice der Polizeibehörde inklusive" ist, wie es in einem der Texte heißt. Wenn man sich als "Freiwild", fühlt, das "jeder vertreiben und schikanieren" darf. Wie man den "Flattermann loswird und vor dem Kaufland Geld schnorrt".

Regissseur bezeichnet das Projekt als Herzenssache

Seit der Geburtsstunde der Gruppe haben Regisseur Christian Marten-Molnar und Schauspielerin Cosima Greeven die künstlerische Leitung inne. 2015 hatte der damalige Aufbaugilde-Geschäftsführer Hannes Finkbeiner die Idee zu der ungewöhnlichen Führung ausgetüftelt und die Theaterleute darauf angespitzt.

"Es ist ein tolles Projekt, ein Herzensprojekt", findet Christian Marten-Molnar. "Mir ist nichts Ähnliches im Land bekannt", sagt Holger Fuhrmann vom Diakonischen Werk Württemberg.

 


Was das Handwerkszeug für einen Bettler ist

Die Spaziergänger hören interessiert zu: Ein Stück Pappe mit einer rührenden Geschichte drauf und ein Pappbecher. Das ist das Handwerkszeug für einen Bettler, lernen sie. Alle ehemals Wohnungslosen der Theatergruppe sind nun in betreuten Wohnformen oder eigenen Wohnungen untergekommen, sagt Heiko Grimmeis, Leiter der betreuten Wohnformen der Aufbaugilde. Aber das, was sie am eigenen Leib erlebt haben, macht ihr Spiel so eindrücklich.

Der Schauspieler mahnt, rechtzeitig zum Erfrierungsschutz zu kommen

Noch sind die Herbsttage mild, auch wenn es nachts anzieht. Was tun, wenn es noch kälter wird? "Es ist gut, dass sie den Weg zu uns, zum Erfrierungsschutz geschafft haben", begrüßt einer der Schauspieler die Gäste vor dem Eingang der Mitarbeiterräume des Freibads Neckarhalde. Im Winter werden sie zum nächtlichen Zufluchtsort mit 16 Betten. "Seien Sie rechtzeitig da, manchmal ist so viel los, dass wir nicht alle aufnehmen können", mahnt der Mann am Einlass.

Drinnen liegt ein Stapel Bettwäsche auf dem Tisch, auf der Bank hat schon einer der Schauspieler Platz genommen und setzt mit ruhiger Stimme an. "Genau hier. Hier war ich doch schon letztes Jahr. Ich weiß noch, wie verletzt ich war. Ich dachte, ich wär" weiter, aber jetzt bin ich schon wieder da."

Die Zuschauer werden sehr nachdenklich

Ganz still sind die Zuschauer. Nachdenklich verlassen sie die Räume. Nein, seinen Namen möchte der Schauspieler und ehemalige Wohnungslose nicht nennen. "Alles schwierig. Scheidung läuft", sagt er und hebt entschuldigend die Hände.

Am ehemaligen Tafelladen erfahren die Teilnehmer, wie viel Ernährungsarmut es gibt, wie die Zahl derer, die auf Einlass für eine billige Milch und ein paar Äpfel warten, hochgeschossen ist, im Unterstützungszentrum in der Wilhelmstraße, wo Wohnungslose etwas zu Essen bekommen und in der Franz-Renner-Straße, wie das Wohnkonzept aussieht. "Seit drei Jahren helfe ich im Gildetreff beim Frühstücksdienst", erzählt Gudrun Wollny, die mitspaziert und früher Bankerin war. "Und ich habe immer ein gutes Gefühl, wenn ich nach Hause gehe."

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
Nach oben  Nach oben