Das Verbot, das sie nicht stört
In Bad Friedrichshall sind sogenannte Spaziergänge derzeit untersagt. Die rechtliche Situation ändert sich dadurch für Menschen, die trotzdem daran teilnehmen - wie Fachanwalt Wilhelm Achelpöhler erklärt.

Zum Protest gegen ein aus ihrer Sicht unverhältnismäßig großes Polizeiaufgebot beim sogenannten Spaziergang gegen die Corona-Politik am Montag treffen sich in Kochendorf jetzt jeden Abend Menschen am Rathaus. Ihr Verständnis dafür, warum sie Zusammenkünfte anmelden sollen, hält sich in Grenzen - das wird in einem Gespräch mit Teilnehmern am Donnerstagabend deutlich. Bisher sei immer alles friedlich verlaufen, sagen sie.
Ein Mann, der vor dem Rathaus auf andere Teilnehmer wartet, verurteilt die Zeichnung eines Galgenmännchens, die anonym an Bürgermeister Timo Frey geschickt wurde. "So etwas geht gar nicht", sagt er. Die Polizei ermittelt.
Untersagte Versammlungen müssen aufgelöst werden
In Bad Friedrichshall herrscht eine besondere Situation durch eine Allgemeinverfügung, die von der Stadt erlassen wurde. Nicht angemeldete "Spaziergänge" sind nun grundsätzlich untersagt. Was das für Teilnehmer bedeutet, erklärt Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Versammlungsrecht in Münster und Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehr des Deutschen Anwaltsvereins. Eine solche verbotene Versammlung ist nach dem baden-württembergischen Versammlungsgesetz aufzulösen. "Es besteht kein Ermessen", sagt Achelpöhler. Auflösung bedeute aber erst einmal nichts anderes, als die Bekanntgabe der Polizei, dass die Versammlung aufgelöst sei.
Wie und ob die Polizei die Auflösung durchsetze, stehe dagegen in ihrem Ermessen. Das hänge auch davon ab, welche Kräfte sie vor Ort habe. Wer sich nicht entfernt, begeht eine Ordnungswidrigkeit - was auch in Kochendorf beanstandet wurde. In der Theorie gilt bereits die Teilnahme an einer untersagten Versammlung als solche. Geahndet wird das bislang in der Regel nicht.
Fehlverhalten Einzelner gefährdet nicht die Versammlungsfreiheit
Deutlich anders wäre die Rechtslage, wenn die Allgemeinverfügung in Bad Friedrichshall wie in Bretten und Bad Mergentheim gerichtlich gekippt worden wäre. "Allein der Umstand, dass eine Versammlung nicht angemeldet ist, führt nicht dazu, dass die Versammlung aufgelöst werden darf", sagt Achelpöhler. Das Verhalten Einzelner, etwa eine Beamtenbeleidigung, rechtfertige die Auflösung einer Versammlung auch nicht.
Wer eine nicht angemeldete Versammlung veranstaltet oder leitet, macht sich in Baden-Württemberg generell strafbar. Da reicht es laut Achelpöhler aus, wenn man der "faktische Leiter" ist, also durch Ansprachen dirigiere. Da sogenannte Spaziergänger aber oft keine Versammlungsleiter bestimmen, fällt der Polizei ein Vorgehen schwer.
Kleinere Zusammenkünfte finden trotz Verbots statt
Bedingt durch die Allgemeinverfügung hätten auch die kleineren Zusammenkünfte vor dem Kochendorfer Rathaus in den vergangenen Tagen aufgelöst werden müssen. Es hätten sich aber nur sehr wenige Personen getroffen und Abstände seien eingehalten worden, sagt Bürgermeister Frey.
In der Regel sind die Folgen von Verstößen gegen das Versammlungsrecht für den Einzelnen gering, so die Einschätzung von Fachanwalt Achelpöhler. Vielmals würden die Ermittlungen, sofern nicht eine Straftat im Raum steht, ergebnislos eingestellt. In einem Einspruchsverfahren gegen einen Bußgeldbescheid könne zudem überprüft werden, ob die Allgemeinverfügung rechtmäßig sei.
Als Experte für Versammlungsrecht bewertet Achelpöhler Allgemeinverfügungen grundsätzlich kritisch. Zu verlangen, dass jede öffentliche Versammlung angemeldet wird, sei aus seiner Sicht "Ausdruck eines übersteigerten staatlichen Kontrollbedürfnisses".