Soll der Joint erlaubt werden? Die Debatte ist entfacht
Kiffen ist kein Randphänomen. Die Suchtberatungsstellen in Heilbronn warnen davor, Cannabis-Konsum zu verharmlosen. Die jüngsten Klienten seien gerade mal zwölf Jahre alt.

Am zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Lauffen werden Fahrgäste angesprochen, ob sie was zum Rauchen haben möchten. In der Nähe von Schulhöfen treffen Jugendliche auf Händler, die ihnen Haschisch oder Marihuana verkaufen. Dealer gehen im Bereich der Heilbronner Innenstadt den Geschäften nach.
Cannabis scheint in der Region kein Randproblem zu sein. "Bei uns gehen die Fallzahlen hoch", sagt Helena Resch, Leiterin der Jugend- und Suchtberatung in Heilbronn. Die aktuelle Debatte über eine Legalisierung von Cannabis sieht sie äußerst kritisch.
Drogenpolitik soll neu ausgerichtet werden
SPD, Grüne und FDP klären in Berlin gerade, ob sie inhaltlich so gut zusammenpassen, dass sie eine Regierungskoalition auf die Beine stellen. In einem Punkt zumindest herrscht weitgehend Konsens. Die Drogenpolitik soll neu ausgerichtet werden.
Wie Alkohol sei Cannabis eine gesellschaftliche Realität, steht im SPD-Wahlprogramm. "Verbote und Kriminalisierung haben den Konsum nicht gesenkt, sie stehen einer effektiven Suchtprävention und dem Jugendschutz entgegen und binden enorme Ressourcen bei Justiz und Polizei."
Grüne und Liberale setzen sich dafür ein, Erwachsenen Cannabisbesitz und Konsum zu erlauben. Lizenzierte Geschäfte sollen die Weitergabe des Stoffs regeln und die Qualität der Substanzen kontrollierbar machen.
Konsumenten sollten nicht kriminalisiert werden
Kai Brennecke, Leiter der Suchtberatung des Diakonischen Werks Heilbronn, spricht sich für eine Entkriminalisierung von Konsumenten aus. "Handelsnetze sollten zerschlagen werden", sagt er. Er warnt vor den gesundheitlichen Schäden durch Cannabis. "Etwa ein Drittel der Konsumenten entwickelt Psychosen", macht er die Erfahrung. In die Diakonie-Beratungsstelle kommen junge und ältere Menschen. Einige von ihnen kiffen seit vielen Jahren.
Problematisch sei, dass sich der Gehalt des Wirkstoffs THC verdoppelt und verdreifacht habe. Brennecke und seine Mitarbeiter vermuten, dass dies mit ein Grund für gesundheitliche Schäden ist. Das Polizeipräsidium Heilbronn stellt fest, dass Rauschgiftdelikte mit Cannabis in den vergangenen Jahren stetig zugenommen haben. Im Jahr 2016 zählt die Polizei 236 Cannabis-Fälle in der Stadt Heilbronn. 2020 sind es 321. Im Landkreis klettert die Zahl in diesem Zeitraum von 293 auf 423 und im Hohenlohekreis von 155 auf 223 Fälle.
Fast jedes vierte Gerichtsverfahren hat mit Cannabis zu tun
Am Heilbronner Landgericht steht fast jedes vierte Verfahren vor der Straf-, Jugend- und Schwurgerichtskammer im Zusammenhang mit Cannabis. Im laufenden Jahr sind es nach Angaben von Pressesprecher Lutz Hils 19 von 63 Verfahren. Nicht eingerechnet seien darin die Fälle vor den Berufungskammern, wo zahlenmäßig die meisten Strafverfahren am Landgericht stattfänden. Häufig gehe es dabei um Marihuana-Handel in "nicht geringer Menge", zu dem oft das Dealen mit anderen Drogen wie Kokain, Amphetaminen oder Ecstasy-Tabletten hinzukomme.
Haschisch für Erwachsene aus der Apotheke - "es könnte der Eindruck entstehen, so schlimm kann Cannabis nicht sein", sagt Kai Brennecke. Helena Resch erzählt, dass Konsumenten, die zum Beispiel nach einer Polizeikontrolle zu einer Suchtberatung verdonnert werden, sagen: "Mach doch mal nicht so einen Aufriss, bald wird es legalisiert." Die jüngsten Klienten seien gerade mal zwölf Jahre alt.
Resch: "Abhängigkeit wird als Charakterschwäche definiert"
Resch stört sich daran, "dass gerade jetzt, wo viele junge Menschen kiffen", über eine Legalisierung diskutiert werde. Dass Cannabis süchtig machen kann, kommt ihr dabei zu kurz. "Wir können mit Abhängigkeit nicht umgehen." Die Gesellschaft definiere diese immer noch als Charakterschwäche und stemple Betroffene als Menschen ab, die sich nicht im Griff haben.
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Stimme.de
Kommentare
Wilfried Binder am 14.10.2021 19:43 Uhr
Eine Legalisierung wird, sollte diese kommen, sicherlich den Konsum durch Jugendliche ausschließen. Was heißt: Jugendliche kaufen dann weiterhin auf dem Schwarzmarkt - mit weiterhin Konsequenzen wie in folgendem Artikel ....
https://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/schizophrenie-durch-cannabis-konsum-experten-warnen;art295,4543125
... oder will man gar die Legalisierung dieser Droge auch für Jugendliche??
Cannabis als Medikament, z.B. in der Schmerztherapie, unter medizinischer Kontrolle und wenn der therapeutische Nutzen vs. Nebenwirkungen überwiegt .... wäre sicherlich eine Thematik die den Einsatz von Cannabis ausreichend rechtfertigt, und deshalb auch eine Kranken-Kassenleistung begründen würde.
Jacob Haufe am 14.10.2021 08:36 Uhr
"Resch stört sich daran, "dass gerade jetzt, wo viele junge Menschen kiffen", über eine Legalisierung diskutiert werde." - Gerade jetzt, wo viele junge Menschen kiffen ist es Zeit darüber zu sprechen. Denn Legalisierung bedeutet kontrollierte Abgabe an Erwachsenen in Fachgeschäften und damit Jugendschutz. Im Schwarzmarkt wird das mit dem Jugendschutz auf jeden Fall nichts.
"Problematisch sei, dass sich der Gehalt des Wirkstoffs THC verdoppelt und verdreifacht habe. Brennecke und seine Mitarbeiter vermuten, dass dies mit ein Grund für gesundheitliche Schäden ist." - Auch dieses Problem lässt sich mit einer Legalisierung lösen. Auf dem Schwarzmarkt weiß kein Mensch, was drin ist. Weder bezogen auf den THC-Gehalt noch auf Streckmittel.
Außerdem würde die Legalisierung knapp 20.000 Arbeitsplätze schaffen und dem Staat durch Einsparung von Polizeiarbeit und Steuereinnahmen ca. 2,6 Mrd. Euro zusätzlich einbringen. Sowohl aus gesundheitlicher als auch wirtschaftlicher Sicht ist eine Legalisierung deshalb überfällig. Daran ändert auch dieser höchst einseitige Artikel von Frau Kinkopf nichts.