Skandinavier setzen auf Weinreben aus Württemberg
Die Klimaerwärmung macht es möglich: Die Heilbronner Rebschule exportiert Setzlinge in die Wein-Entwicklungsländer Norwegen und Schweden. Wie es dazu kam.
Weinreben in Skandinavien, im einstigen Wikinger-Reich; dort gibt's doch nur Met oder Aquavit, oder? Wenn Wolfgang Keicher anklingen lässt, wohin ihn seine Geschäftsbeziehungen führen, erntet er mitunter ein müdes Lächeln, das schnell respektvollem Staunen weicht. Der Leiter der genossenschaftlichen Rebschule Heilbronn verkauft seine Setzlinge seit kurzem nämlich nicht nur an heimische Wengerter, sondern auch an Winzer in Schweden und Norwegen. "Das passt doch zu unserem Trollinger", gibt der knitze Weinbautechniker zu verstehen, "die Symbolfigur dort oben ist ja der Troll", eine Art Kobold.
Spaß beiseite: Bei seinen Missionszügen hat der 58-jährige Erlenbacher keine Traditionssorten im Gepäck, sondern robuste pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen, kurz Piwis genannt. Als Hauptsorten nennt Keicher Solaris und Rondo, aber auch Weinsberger Weinbauschul-Zöglinge wie Sauvitage. "Die brauchen weniger Pflanzenschutz, reifen schneller und sind auch nicht so frostanfällig."
Golfstrom in Süd-Skandinavien
Nicht überall in Skandinavien herrscht bis weit ins Frühjahr hinein Winter. Vor allem in südlichen Regionen und auf Inseln sorgt von jeher der Golfstrom für gemäßigtes Klima. Hinzu kommt der Klimawandel, wodurch sich die Jahresdurchschnittstemperatur seit den 1990ern um ein Grad erhöht hat. Die Vegetationszeit ist durch einen späteren Austrieb im Mai etwas kürzer als in Württemberg, die Lese beginnt Ende September, Anfang Oktober. "Man kann sagen: Wie bei uns vor 30 Jahren", erklärt Keicher. Gleichzeitig seien die Böden humusreich und feucht, "wobei nach rund einem Meter der Fels kommt. Ansonsten ist alles topf-eben, und die Anlagen sehen aus wie bei uns."
Reben erst seit 20 Jahren
Die ersten Weingärten sind erst vor 20 Jahren angelegt worden, zunächst von Hobbywinzern, bald aber auch von landwirtschaftlichen Betrieben oder Quereinsteigern: von der Grundschullehrerin mit zehn Ar über den Weinbar-Besitzer, der den Haustrunk in Amphoren ausbaut, bis zum Informatikprofessor, der 5000 Pflänzchen bekam. "Im Prinzip haben die meisten wenig Ahnung", weshalb Keicher oft als Berater fungiert. "Im Februar fahre ich wieder hoch. Mein Fachenglisch ist gut", berichtet der 58-Jährige, der nach seiner Ausbildung in Weinsberg ein halbes Jahr in Australien den Horizont erweiterte, im Remstal die Kunst der Rebveredlung lernte und in der Nachfolge von Erich Bengel schon seit 1987 die Rebschule der Genossenschaftskellerei leitet.
Wein wird dort zunehmend zum Thema

Nach Skandinavien geführt haben den Erlenbacher persönliche Verbindungen, wobei er von der Herzlichkeit der Menschen beeindruckt ist. Schnell habe er bemerkt, "dass Wein zunehmend zum Thema wird". Es gebe bereits einen Weinbauverband und touristische Aktivitäten bis hin zur Weinstraße. Übers Internet hat sich Keicher eingelesen, über soziale Medien Kontakte geknüpft und inzwischen 15 Abnehmer gefunden. Insgesamt sei die Rebfläche in Schweden in 20 Jahren auf 150 Hektar gewachsen. In Norwegen sei man mit 30 Hektar am Anfang. Zum Vergleich: in Württemberg sind es 11 300, in Deutschland 105 000 Hektar. Doch Keicher ist sich sicher, dass bald noch mehr Wein im Land der Wikinger wächst. Mutmaßlich würden die staatlichen Verkaufsbeschränkungen für Alkohol gelockert. "Dann können wir auch mit unseren Weinen reingrätschen." Eine Flasche koste bei Einstiegspreisen von rund zehn Euro mindestens 30 Prozent mehr als in Deutschland.
Weinbauzone wandert nach Norden
Vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung prognostiziert Helena Ponstein vom Deutschen Institut für Nachhaltige Entwicklung (Dine) an der Hochschule Heilbronn eine dramatische Verschiebung der Weinbauzonen: weg vom immer heißer werdenden Mittelmeerraum in den gemäßigten Norden. Als Grenze für Weinbau galt lange der 51. Breitengrad, der in Deutschland auf der Linie von Köln bis Dresden liegt.
Doch längst wächst die Zone über Holland, England und Dänemark weiter nach Norden. Wie Hobbywinzer Philipp Maußhardt recherchiert hat, liegt der nördlichste Weinberg Europas mit immerhin 1000 Rebstöcken heute am 60. Breitengrad: in Norwegen. "Früher wurden dort in Kåsingrenda bei Gvarv am Ende des Norsjø-Fjords nur Äpfel angebaut." Maußhardt verweist auf eine Landkarte des "Journal of Wine Research", die den Weinbau im Jahr 2100 prognostiziert. Dann verläuft die nördliche Grenze der europäischen Anbaugebiete in Südschweden, selbst Teile Finnlands liegen innerhalb dieser prognostizierten Zukunftszone. Süditalien fehlt indes komplett, da es den Reben dort sommers zu heiß und zu trocken sein dürfte.


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