Sind Fahrerfluchten ein Kavaliersdelikt?
Die Zahl der Fahrerflucht nimmt in der Region zu. Der Bundesjustizminister stellt sich vor, dass Unfallfluchten mit reinem Blechschaden keine Straftat mehr sein sollen. Die Idee ruft unterschiedliche Reaktionen hervor.

Der eine oder andere wird es schon erlebt haben: Er kommt vom Supermarkt zum Parkplatz zurück und stellt eine Delle oder einen Kratzer an seinem Auto fest. Dass jemand einen Unfall verursacht, ein Auto beschädigt und Fahrerflucht begeht, macht im Zuständigkeitsbereich des Heilbronner Präsidiums 20 Prozent des Unfallgeschehens aus.
Polizei fertigt Bilder und Skizzen an
Wer einen abgefahrenen Seitenspiegel oder einen Parkschaden bemerkt, wendet sich an die Polizei. Beamte nehmen den Vorgang auf. Sie fertigen Bilder vom Schaden und eventuell Skizzen von der Unfallstelle an, erklärt Polizeisprecher Carsten Diemer. "Ob am Ende des Verfahrens eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat steht, würde zunächst nichts an unserem Aufwand ändern." Die Polizei bearbeite solche Fälle immer mit der gleichen Sorgfalt.
Bürger wissen manchmal nicht, wie sie sich korrekt verhalten
Unfallflucht ist eine Straftat. Noch. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) denkt über eine mögliche Gesetzesänderung nach. Ereignisse ohne Personenschaden könnten künftig zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Es stelle sich die Frage, ob es immer noch angemessen sei, dass ein Kriminalstrafverfahren bei reinen und unbeabsichtigten Sachschäden einzuleiten sei, heißt es in einem Schreiben des Bundesjustizministeriums an Verbände. Bei Laien bestünde häufig Unsicherheit über das korrekte Verhalten nach einem Verkehrsunfall.
Zettel hinterm Scheibenwischer reicht nicht
Laut Gesetz muss man eine angemessene Zeit auf den Fahrer eines beschädigten Autos warten. Wie lange genau? Das ist nicht definiert. Taucht der Geschädigte nicht auf, muss die Polizei verständigt werden. Einen Zettel mit der eigenen Adresse hinter den Scheibenwischer zu klemmen, reicht nicht.
Die Idee einer Gesetzesänderung stünde seit vielen Jahren in Raum, meint Jeannette Sander, Fachanwältin für Verkehrsrecht in Heilbronn. "Eine Entkriminalisierung von Fahrerfluchten mit reinem Sachschaden ist der richtige Schritt." Sobald Menschen verletzt werden, sollte es selbstverständlich eine Straftat bleiben.
Knapp ein Drittel der Taten werden aufgeklärt
Die Polizei klärt in der Region mehr als 30 Prozent der Taten auf. In die Kanzlei von Jeannette Sander kommen ihr zufolge oft Menschen, wenn sie ein Schreiben vom Amtsgericht erhalten, in dem ihnen wegen einer Unfallflucht die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird. Das passiere schon ab einem Schaden von etwa 1200 bis 1500 Euro.
"Die Mandanten äußern häufig, sie hätten es gar nicht bemerkt, dass sie ein anderes Fahrzeug beschädigt haben sollen", sagt die Rechtsanwältin. Ein Entzug der Fahrerlaubnis von mindestens sechs Monaten treffe beispielsweise Berufskraftfahrer hart und jeden, der auf sein Auto angewiesen sei, etwa um zur Arbeit zu kommen. Zwar können Betroffene rechtliche Schritte gegen den Erlass des Amtsgerichts unternehmen. "Die Verfahrensabläufe sind aber sehr langwierig." Der Betroffene dürfe außerdem in der Zeit der Klärung trotzdem nicht Auto fahren.
Wie sich mutmaßliche Täter verhalten
"Unfallfluchten spielen vor dem Amtsgericht Heilbronn eine durchaus relevante Rolle", sagt Pressesprecher Michael Reißer. Die Fallzahlen seien nicht unerheblich; eine Statistik werde allerdings nicht geführt. Reißers persönliche Erfahrung als Strafrichter: "Es kommt häufig vor, dass derartige Taten von Tätern bestritten werden." Wie oft es sich um eine Schutzbehauptung handelt, ist offen.
Robert Marche, Geschäftsführer und psychologischer Berater der MPU Beratungsgesellschaft in Heilbronn, hat Zweifel, ob eine Herabstufung von Fahrerfluchten zur Ordnungswidrigkeit der richtige Weg ist. "Die meisten Fahrerfluchten passieren mit Absicht." Oft habe jemand zu viel getrunken oder Drogen konsumiert und entziehe sich lieber der Polizei. In seltenen Fällen sei den Beteiligten, beispielsweise Fahranfängern, nicht klar, dass sie sich nicht vom Unfallort entfernen dürfen. "Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht."