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Schlau oder nicht schlau: Vieles zum Thema Intelligenz ist relativ

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Forscher warnen bei der Beurteilung von IQ-Werten vor Schnellschüssen. Warum sagt der reine Wert eines IQ-Tests nicht genug aus? Die große Masse der Menschen liegt im Mittelfeld um 100, nur zwei Prozent gelten als hochbegabt.

von Carsten Friese
 Foto: tomertu_stockadobecom

Es gibt sie im Internet inzwischen in großer Zahl: bunt aufgemachte IQ-Tests, die den Nutzern einen bestimmten Intelligenzquotienten bescheinigen sollen. Wer sie anklickt, wird durch Zahlen-, Wort- und Figurenaufgaben geführt. Am Ende steht eine Zahl - die mehrfach im Netz erst gegen einen Zahlung einer kleinen Gebühr zugesandt wird.

Der Wunsch, selbst irgendwie ziemlich intelligent zu sein, ist weit verbreitet. Intelligenz gilt als sexy, soll im Berufsleben besondere Türen öffnen. Sie hilft, bei komplexen Fragen (hoffentlich) richtige Entscheidungen zu treffen.

Doch was kann der vielbeschriebene IQ-Wert oder ein IQ-Test wirklich liefern? Und wie seriös sind solche Tests, die im Netz zum Beispiel als "123-Test" oder mit dem Satz "Schaffen Sie den IQ-Test?" angepriesen werden?


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Rund 2,5 Stunden über den Aufgaben brüten


Fraglich ist, ob die angebotenen Tests alle Bereiche von Intelligenz abdecken

Alexandra Reichenbach, Professorin für Psychologie in der Informatik an der Hochschule Heilbronn, hält von solchen Internet-Tests nicht viel. Als "Spielerei" stuft sie diese ein. Eine größere Aussagekraft würde sie von den Tests nicht ableiten. Wenn Menschen sich durch diese Tests ohne professionelle Begleitung "herunterziehen lassen, halte ich das sogar für gefährlich", sagt die Hochschullehrerin. Wichtig sei nicht nur, dass bei einem solchen Test unter standardisierten Bedingungen gemessen werden sollte. Zudem sollte er von Spezialisten ausgewertet und interpretiert werden.

Wenn es Störgeräusche gebe, man abgelenkt sei, könne es das Ergebnis schon verfälschen. Auch die Tagesform spielt nach Ansicht von Forschern eine Rolle. Solche Tests seien ein Diagnoseinstrument für Psychologen, Kliniken, Personaler, betont Alexandra Reichenbach. Es komme auch auf die Inhalte an, ob sie ausgewogen sind und "alle Bereiche von Intelligenz abbilden", sagt die Expertin. Ein IQ-Test mit nur zehn Fragen "kann nicht viele der Bereiche abdecken".

Gut die Hälfte der Intelligenz stammt von den Genen, ein Teil ist aber auch formbar und kann wachsen

Intelligenz - was ist das eigentlich genau? Und wo kommt sie her? Intelligenz sei "die Fähigkeit zum Lösen von komplexen Problemen, die Denkfähigkeit und die Fähigkeit, schnell zu lernen", sagt Professor Aljoscha Neubauer vom Arbeitsbereich differentielle Psychologie an der Universität Graz im Forum "Die-Debatte.org". "Wer intelligenter ist, kann komplexere Inhalte in kürzerer Zeit erfassen, verstehen und auf alle Probleme anwenden." Elsbeth Stern, Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich, stellt Intelligenz als formbar dar. Wenn Menschen den IQ-Wert als einen Stempel oder fixen Wert betrachten, "ist das schon ein Problem", sagte sie im "Deutschlandfunk".

Nach Einschätzung des US-Biologen Joseph Graves bestimmen die Gene etwa zur Hälfte unsere Intelligenz - andere Forscher gehen von höheren Werten aus. Aber auch die Umwelt, das Elternhaus, der Kindergarten, die Schule, haben einen Einfluss. "Intelligenz muss sich entwickeln", erklärt Elsbeth Stern. Man brauche eine Umwelt, die einen auch "geistig fordert", um sein Potenzial auszuschöpfen. IQ-Tests messen vor allem die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken. Sie testen aber nur einen Ausschnitt einer Persönlichkeit, messen weder Fleiß, Kreativität, Gewissenhaftigkeit oder ob jemand einen gesunden Menschenverstand besitzt. Dennoch gibt es klare Studienergebnisse, dass ein hoher IQ-Wert mit Lebens- oder Berufserfolg korreliert. Weil intelligentere Menschen besser mit Problemen umgehen können, die das Leben mit sich bringt. Beim Erkennen von Lernschwächen bei Kindern oder bei einer Diagnose von Hirnschäden können die Tests auch auf anderen Feldern gute Dienste leisten.

Zwischen Frauen und Männern gibt es keine großen Unterschiede

Ein Ergebnis der Forschung ist: Frauen und Männer sind bei IQ-Tests unterm Strich "gleich intelligent", stellt "Planet Wissen" in einem Fachbericht heraus. Andere Aussagen seien "ein reines Vorurteil". Bei Männern liege die Schwankungsbreite in den Ergebnissen insgesamt höher als bei Frauen.

Ein hoher IQ-Wert "ist nicht das allein Seligmachende", findet die Heilbronner Professorin Alexandra Reichenbach

Alexandra Reichenbach. Foto: Privat
Alexandra Reichenbach. Foto: Privat  Foto: privat

Die Heilbronner Professorin Alexandra Reichenbach rät zu einem sachlichen Umgang mit IQ-Tests. Das Ergebnis sei "nur eine Zahl". Man sollte den IQ nicht überbewerten. Es gebe noch viele andere Fähigkeiten, die einen Menschen "zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft machen", findet sie. Ein möglichst hoher IQ-Wert "ist nicht das allein Seligmachende".

Antje Kerdels, Schulleiterin im Robert-Mayer-Gymnasium Heilbronn, sieht Tests für eine mögliche Aufnahme in den Hochbegabtenzug der Schule vor allem auch als Chance. Der Eignungstest mit professioneller Betreuung (Inhalt siehe Text unten) ziele auch darauf ab, Kinder zu identifizieren, die begabt sind und gefördert werden könnten. Bei einem Mädchen, das in der Grundschule keine Gymnasium-Empfehlung hatte, sei beim Test eine außergewöhnliche Begabung festgestellt worden. Sie durfte in den Hochbegabtenzug. Kerdels: "Für das Mädchen war das ein Befreiungsschlag."

Große Spannbreite

Intelligenz ist nicht wirklich messbar, das hat schon der Erfinder der IQ-Tests, der französische Psychologe Alfred Binet, um 1900 gesagt. Sie erfassen etwa die Fähigkeit, komplexere Aufgaben zu lösen - und geben immer einen Wert im Verhältnis zur Gesamtheit der Personen einer Gruppe an. Ein durchschnittlicher Intelligenz-Quotient liegt bei 100. Rund zwei Drittel aller Probanden liegen zwischen 85 und 115 Punkten. Rund zwei Prozent liegen unter 69. Nur zwei Prozent erreichen Werte über 130 - und gelten damit als hochbegabt.

Den höchsten gemessenen IQ hatte bisher der australische Mathematik-Professor Terence Tao mit 230. Allerdings: Der Wert ist mit Vorsicht zu genießen - ab 160 werden die Messergebnisse ungenau.

 
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