Sonderschulen am Limit: Es fehlen Lehrer für Schüler mit Handicap
Der Lehrermangel an den Sozialpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren spitzt sich weiter zu. Auch in der Region ist der Unterricht oft nur durch befristete Unterstützung möglich.

Seit Jahren verschlechtert sich die Lehrkräfteversorgung für die Schüler mit Handicap. Inzwischen fehlen in diesem Bereich nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg über 20 Prozent der Pädagogen. Michael Hirn findet dafür klare Worte: "So geht es nicht weiter. Die Politik muss endlich erkennen, wie ernst die Lage ist", fordert der stellvertretende GEW-Landesvorsitzende mit Blick auf den Lehrermangel in der Sonderpädagogik.
Während sich die Unterrichtsversorgung an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), den Schulkindergärten und an allen Schulen mit Inklusion verschlechtere, steige die Belastung der dort beschäftigten Lehrkräfte immer weiter.
Jedes Jahr müssten mindestens 450 Lehrer eingestellt werden
Das Kultusministerium erwartet, dass bis 2035 landesweit jährlich rund 450 bis 480 Lehrer eingestellt werden müssen, um den Bedarf zu decken. Das geht aus der Antwort von Ministerin Theresa Schopper auf eine kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Nico Weinmann (FDP/DVP) hervor, die der Heilbronner Stimme vorliegt.
Dieser Bedarf soll sukzessive gedeckt werden. "Die Situation in einzelnen Schulamtsbezirken ist bis dahin stark abhängig von den neu entstehenden Ersatzbedarfen und den spezifischen Einstellungsmöglichkeiten", so Schopper. Ausschlaggebend seien die Ortswünsche der Bewerber sowie die Zahl der befristeten Stellen, die den Personalbedarf decken können. Beides unterliege kontinuierlichen Schwankungen, weshalb regionale Prognosen zum Bedarf nicht möglich seien.
Gewerkschaft: Situation an drei Schulen besonders dramatisch
"Es gibt kein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum, das annähernd zu hundert Prozent mit Lehrkräften versorgt ist", sagt Harald Schröder, Sprecher der GEW für den Kreis Heilbronn. Für ihn sind sie "die mit Abstand am schlechtesten versorgte Schulart im Stadt- und Landkreis Heilbronn". Am dramatischsten sei die Lage an den drei SBBZ Geistige Entwicklung (GENT) und Körperlich-Motorische Entwicklung (KMENT) in Lauffen, Neckarsulm und Heilbronn. "Hier gehen wir von einer Versorgung von rund 60 Prozent aus", so Schröder.
An diesen Einrichtungen seien vergleichsweise viele sogenannte "Personen ohne Lehramtsausbildung" (PoL) befristet angestellt. Diese legten zwar ein hohes Engagement an den Tag und die Schulen seien froh um die Unterstützung. Ihre Einarbeitung bedeute aber auch einen Mehraufwand für die ausgebildeten Sonderpädagogen.
Auch die SBBZ mit dem Schwerpunkt Lernentwicklung - die früheren "Förderschulen" - schafften es oftmals nur mit Hilfe der Unterstützungskräfte, ihrer Unterrichtsverpflichtung einigermaßen nachzukommen. Andererseits ordneten diese Einrichtungen in hohem Maße Sonderschullehrer in allgemeine Schulen zur Inklusion ab. Die Folge: In den SBBZ Lernen übernehmen auch Quereinsteiger den Unterricht, während Sonderschullehrkräfte in der Inklusion sind und so wiederum der Förderung im eigenen Haus fehlen.
Wenig Hoffnung durch neuen Studiengang Sonderpädagogik
In absehbarer Zeit werde sich die Lage nach Einschätzung der GEW auch nicht verbessern. Durch die Einrichtung des neuen Studienganges Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg steige die Zahl der Studienplätze nur marginal. "Es können dort nur jeweils 15 Erstsemester aufgenommen werden. Die Ausbildungskapazitäten für Fachlehrkräfte Geistige/Körperliche Behinderung an den pädagogischen Fachseminaren wurde nicht erhöht", so Schröder. Stattdessen gebe es jetzt die Möglichkeit, dass Seiteneinsteiger den Erzieherberuf ergreifen, allerdings seien die Plätze sehr limitiert. "Wir hoffen alle, dass es nicht noch schlimmer wird", so Schröder.
Um ihrer Forderung nach mehr Lehrkräften in der Sonderpädagogik Nachdruck zu verleihen, hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg eine Liste mit über 3000 Unterstützerunterschriften an Kultusstaatssekretärin Sandra Boser übergeben. Die Landesregierung hatte im Mai 2022 beschlossen, dass an der Pädagogischen Hochschule Freiburg 175 neue Studienplätze für das Lehramt Sonderpädagogik geschaffen werden sollen. Dies reiche aber nicht aus, um den Mangel zu beseitigen, so die GEW.