Roland Schweizer schwimmt regelmäßig im klirrend kalten Finsterroter See
Der Löwensteiner Eisschwimmer spürt zuerst Nadelstiche, ehe sich eine wohlige Wärme im Körper ausbreitet. Roland Schweizer fühlt sich danach wie neugeboren. Für ihn ist der Extremsport auch ein Weg, die Trauer zu überwinden.
Er packt ein Beil und einen Rechen aus dem Kofferraum aus. Wozu? Das wird nach ein paar Schritten klar, wenn der Blick hinunter auf eine glatte Wasseroberfläche fällt. Der Finsterroter See ist zugefroren. Deshalb muss Roland Schweizer das Eis aufbrechen, bevor er in das klirrend kalte Wasser steigen kann. Der Löwensteiner macht seit drei Jahren Eisschwimmen - und es tut ihm körperlich und psychisch gut, versichert der 66-Jährige.
Zwei Grad Wasser- und Lufttemperatur
Draußen ist es genauso kalt wie im Wasser: Zwei Grad hat Schweizer gemessen. Es weht ein unangenehmer Wind, der Himmel ist wolkenverhangen - das richtige Wetter, um es sich am Kaminofen bei einer Tasse Tee gemütlich zu machen. Schweizer mag es an diesem Nachmittag erstmal lieber eisig kalt.
Atemtechnik zur Vorbereitung
In kurzer Radlerhose, Badeschuhen und Shirt hackt er am Bootsanleger ein Loch und eine kurze Bahn ins Eis. Dann macht er sich "warm", kurbelt mit Schrägstützen am Geländer den Kreislauf an und sorgt für eine ordentliche Durchblutung der Muskeln. Es folgt das Kurzprogramm der Atemtechnik: Er nimmt 30 tiefe Atemzüge durch die Nase, lässt die Luft bis in den Bauch fließen, bevor er ausatmet. "Das ist ein Gefühl, als ob man eine Luftmatratze aufbläst", beschreibt er den leichten Schwindel.
Nächste Vorbereitung: Schweizer hält sich die Nase zu und füllt die Lunge mit Luft, hält sie eine Minute an. Eine weitere Übung: Alle Luft ist aus der Lunge entwichen, Schweizer atmet eine Minute nicht ein. Danach wiederholtes, schnelles Ausatmen, noch ein paar Schrägstützen und Faustklopfen auf die Brust.
Mentale Visualisierung hilft
Schweizer zieht das Oberteil aus und Handschuhe an - die Mütze hat er vergessen. Etwas unangenehm, denn die meiste Wärme verliere der Körper über den Kopf. "Am Anfang ist es eine brutale Überwindung", gibt der Personalratsvorsitzende der Heilbronner Hochschule und Leiter der Zentralen Studienberatung zu. Mentale Visualisierung helfe. "Ich stelle mir vor, dass in meinem Herz Feuer lodert." Er reibt Arme und Rumpf mit Schnee ab und gleitet zwischen die Eisschollen, die er beim Schwimmen ein- und wegdrückt. "Ich muss den Eisbrecher spielen", meint er noch schmunzelnd. Die Kanten sind messerscharf, deshalb die Handschuhe.
"Knackig", kommentiert er die Wassertemperatur. "Boooaaah", entfährt es ihm mehrfach. Vier bis fünf Minuten lang habe er das Gefühl, wie mit Nadeln gestochen zu werden. Dann spürt er die Kälte nicht mehr. "Bei mir fängt gerade die Wärmeproduktion an", ruft er aus dem See an Land. Schweizers Haut wird rosig. Er fühlt sich jedesmal wie neu geboren.
"Ach Gott, ach Gott", traut eine Spaziergängerin mit Hund ihren Augen nicht. Eine andere kennt den Eisschwimmer schon, der nach der Sperrung des Breitenauer Sees auf den Finsterroter See und einen kleinen Waldteich in der Nähe ausgewichen ist, um sich zwei- bis dreimal pro Woche seinem speziellen Gesundheitstraining zu unterziehen.
In Island auf Extremsportler aufmerksam geworden
Wie kam er dazu? Vor etwa sechs Jahren beobachtet er in Island einen Menschen in einem Gletschersee. Wie kann er das aushalten?, fragte sich Schweizer und sprach den Mann an. Es handelte sich um Wim Hof, den niederländischen Kälte-Extremsportler. Der Löwensteiner war skeptisch, stieß bei seinem nächsten Islandaufenthalt aber auf die Titelseite einer Zeitung: "The Iceman is back" (Der Eismann ist zurück).
Harten Schmerz verwinden
Schweizer recherchierte über den Mann, las seine Biografie. Die enthält ein dramatisches Erlebnis, den Selbstmord seiner Frau. Um über die Trauer hinwegzukommen, entwickelte er Techniken, extreme Kälte ertragen zu können. Auch Schweizer hatte schwere Schicksalsschläge zu erleiden: Sein Bruder starb 2018 an einem Gehirntumor, danach verlor er seine Eltern, seinen Vater durch Corona. "Das hat mich aus der Bahn geworfen", sagt er. "Für mich ist es einleuchtend, wenn man aus der Komfortzone herausgerissen wird und sich in die Kälte begibt, dass man dann eine innere Kraft entwickeln kann, die Trauer zu überwinden." Er merke, dass ihm das Eisschwimmen gut tue, nicht nur körperlich, auch psychisch mit dem Bewusstsein, harten Schmerz verwinden zu können.
Ärztlicher Check als Absicherung
"Ich bin kein Esotheriker", betont Roland Schweizer. Bevor er die Wim-Hof-Methode anwendete, wollte er sich wissenschaftlich und ärztlich abgesichert wissen. Ein Lungenfunktionstest ergab vor dem Start 80 Prozent Lungenvolumen, das er mit dem Eisschwimmen auf 135 Prozent steigern konnte, so der jährliche Test. Beim Kardiologen erfolgte ein Belastungs-EKG und ein Herzecho. Sein Leistungsvermögen sei schon mit 95 Prozent hoch gewesen, nun sei die Herzleistung bei 150 Prozent. Eigentlich ein Wert, "den man in meinen Alter nicht mehr erreichen kann", sagt der 66-Jährige, der von seinem Gesundheitstraining überzeugt ist. Wim Hofs Philosophie: Mit der Kraft der Kälte könne man bei bewusster Atmung und mentaler Stärke gesünder, leistungsfähiger und glücklicher werden.




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