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Respektlos, aggressiv, ungeimpft: Was eine Intensivschwester erlebt

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Der Ton wird rauer: Eine SLK-Krankenschwester spricht über ihre Erlebnisse mit Covid-Patienten. In der vierten Welle erfährt sie häufiger Respektlosigkeiten. Auch dass Pflegekräfte angespuckt werden, kommt vor.

Pflegekräfte, hier ein Themenbild, kommen an ihre Grenzen. Foto: Mikhaylovskiy/stock.adobe.com
Pflegekräfte, hier ein Themenbild, kommen an ihre Grenzen. Foto: Mikhaylovskiy/stock.adobe.com  Foto: Mikhaylovskiy/stock.adobe.com

Mit den vielen ungeimpften Corona-Patienten auf der Intensivstation hat sich der Alltag von Schwester Elli Becker verändert. "Die Achtung, der Respekt dem Personal gegenüber geht verloren", sagt die Intensiv- und Anästhesie-Schwester im Heilbronner SLK-Klinikum am Gesundbrunnen. In einem Gespräch mit dieser Zeitung gibt sie einen persönlichen Einblick in ihre Arbeit. Die Situation bringt ihr Selbstverständnis als Pflegekraft ins Wanken Sie entdeckt eine neue Härte in sich. Aber will sie so sein? Ein Erfahrungsbericht.

Krankenschwester erfährt Wut und Geringschätzung

Elli Becker heißt mit richtigem Namen anders. Damit sie frei sprechen kann, wird ihre Identität geschützt. Elli Becker ist ihr ganzes Berufsleben Intensivschwester. Die Frau aus dem Landkreis im mittleren Alter hat schon einiges gesehen und erlebt. Neu ist, dass Patienten ihr Kritik, Wut und absolute Geringschätzung entgegenschleudern. "Die Haltung kippt sofort", erzählt Becker. So habe sie beispielsweise einem Patienten einen Zugang gelegt, als dieser Wasser zum Trinken verlangte. "Ich sagte, er solle bitte einen Moment warten." Der Mann sei aggressiv geworden. "Ich habe den Eindruck, es wird nur darauf gewartet, bis der geringste Anlass da ist, um zu explodieren."

Patient bespuckt Krankenschwester

Becker erlebt im Nachtdienst, wie ein Patient eine Kollegin bespuckt. Dass die Schwester wie vorgeschrieben ein Schutzvisier trägt, macht die Sache nicht besser. "Ich war wie erstarrt. Machtlos, wütend", erinnert sich Becker. Spricht sie Patienten an, bekommt sie schon mal "Halt den Mund" zu hören. Andere schalten ihre Videofunktion auf dem Smartphone ein, wenn Pflegekräfte das Zimmer betreten, und filmen das Personal bei der Arbeit.

 


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In der ersten Welle sind mehr Ältere betroffen

Mit jeder neuen Corona-Welle verändert sich die Lage auf der Intensivstation. Das steht in einem internen Bericht des Betriebsrats, der dieser Zeitung vorliegt. In der ersten Welle sind überwiegend ältere Patienten zu betreuen, heißt es darin. Der normale Krankenhausbetrieb wird zurückgefahren. In der zweiten und dritten Welle kommen viele jüngere Menschen mit schweren Verläufen ins Krankenhaus. Jeder Patient - ein potenzieller Todeskandidat. Zu diesem Zeitpunkt verliert die Station Mitarbeiter. Die Arbeitsintensität nimmt zu. Und obwohl Ärzte und Pflegemitarbeiter bis zur Erschöpfung ackern, ist es nicht genug. Patienten sterben trotzdem. Wache Patienten haben panische Angst. "Schwester, überlebe ich das?" In der schweren Zeit gibt es auch Erfolgserlebnisse. Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf überleben dank der immensen Kraftanstrengung des medizinischen Personals und einem enormen technischen Aufwand. Die psychische Belastung steigt. "All die Bilder", steht in dem internen Bericht der Pflegekräfte, "bekommt man nicht mehr aus dem Kopf."

Angehörige rufen die Polizei

Nun rollt die vierte Welle. "Es ist so viel zu tun", sagt Becker. Ist jemand mit Corona infiziert, bekomme er ein Bett. "Andere Patienten werden vertröstet. Das ist sehr zwiespältig." Einige telefonierten stundenlang mit Angehörigen. Die mischten sich in die Behandlung ein, drohten gar rechtliche Schritte an. Immer wieder komme es vor, dass die Polizei gerufen werde, weil ein Patient oder dessen Familie die Behandlung infrage stelle. Manch ein Corona-Betroffener höre beispielsweise lieber auf einen befreundeten Gynäkologen außerhalb des Krankenhauses als auf die Ärzte vor Ort, die den Patienten kennen. Dann gibt es noch diejenigen, die trotz Infektion an die große Weltverschwörung glauben. "Die schauen sich im Krankenbett Youtube-Videos dazu an", sagt Becker. Alles, was die Schwestern tun, ziehen sie in Zweifel, zetteln endlose Diskussionen darüber an.

 


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Krankenhausverlegung verweigert

Misstrauen, Unterstellungen und Verweigerung begleiten Elli Becker durch den Arbeitstag. "Ein Mann, dem es im Vergleich zu den anderen Covid-Patienten am besten ging, sollte verlegt werden", erzählt Becker. Der weigert sich. "Er sagte einfach Nein." Appelle an dessen Verantwortung nützen nichts. Dass das Bett für einen sterbenden Patienten benötigt werde, interessiert ihn nicht. "Sie sind Ungeimpft, werden behandelt und wollen sich dann noch das Krankenhaus aussuchen", sagt Becker dazu.

Das Erlebte hinterlässt Spuren. Elli Becker fällt es zunehmend schwer, respektlosen Patienten, Impfgegnern und Corona-Leugnern weiterhin freundlich gegenüberzutreten. Ihr Selbstverständnis als Krankenschwester verändere sich. "Ich habe eine bisher unbekannte Härte in mir entwickelt." Aus Eigenschutz. Das beschäftigt sie. "Ich dachte, es geht nur mir so." Beim Spritzenaufziehen spricht sie ihre Gefühle und Gedanken einer Kollegin gegenüber an. Es stellt sich heraus, dass es der anderen Schwester genauso geht.

Team-Zusammenhalt gibt Kraft

Elli Becker gibt wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen von der ersten bis zur letzten Minute einer Schicht Vollgas. Kaum Zeit, Atem zu holen. "Auch zu Hause funktioniere ich nur noch. Es dauert lange, bis ich in den Freizeit-Modus komme." Das Schlimme: Es sei kein Ende in Sicht. "Die fünfte Welle kommt."

Schon mal ans Aufhören gedacht? "Nein", sagt Becker ohne zu zögern. Das Team, die ganze Station sei getragen von der Solidarität untereinander. "Wenn jemand in Not ist, ist immer jemand anderes da", macht Becker die Erfahrung. Was passiert, wenn dieser Zusammenhalt wegbricht, weiß sie nicht. Es meldeten sich inzwischen mehr Pflegekräfte krank als in der ersten Welle.

Brief aus Frankreich

"Was kann ich noch mehr sagen, als dass Ihr alle großartig seid." So schreibt ein genesener Corona-Patient in einem Brief ans SLK-Klinikum. Der Mann war in der ersten Welle aus dem Elsass nach Heilbronn verlegt worden und lag im Koma. "Ich bin am Leben. Ich werde Ihnen nie genug danken können." Er zolle Pflegekräften, Krankenschwestern und Ärzten den größten Respekt für das, was diese sehen, erleben und ertragen müssten. Der Brief ist dem internen Bericht des SLK-Betriebsrats angefügt.

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