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Ohne wirkliche Not in die Klinik

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Viele Patienten kommen in die Notaufnahme am Gesundbrunnen, obwohl sie da nicht hingehören. Für die Klinik ist das ein Problem. Wie hält man Patienten davon ab, wegen einer Bagatelle in die Klinik zu kommen?

Von Christian Klose
Die Notfallaufnahme stellt grundsätzlich keine Krankmeldungen aus.
Die Notfallaufnahme stellt grundsätzlich keine Krankmeldungen aus.  Foto: Klose, Christian

Ein Mann, der seinen linken Arm schonend und angewinkelt hält, spricht auf Türkisch mit einer Pflegekraft in der Anmeldung der Zentralen Notaufnahme des SLK-Klinikums am Gesundbrunnen. Er ist Lkw-Fahrer und nach eigenen Angaben auf einem Autobahnparkplatz an der A6 auf den Rücken und auf das Armgelenk gefallen. Die Schürfwunde blutet leicht, der Unterarm ist geschwollen. Er spricht so gut wie kein Deutsch, mit Händen und Füßen versucht er sein Missgeschick zu erklären.

Es ist Dienstagnachmittag um 15.30 Uhr. Draußen ist es locker 35 Grad heiß, drinnen im Wartebereich der Ambulanz ist nicht viel los. Wer kann, liegt im Freibad oder hüpft in einen See. Bei so einem Wetter geht man nur zum Arzt oder in die Notfallambulanz, wenn man wirklich muss. Das ist jedoch beileibe nicht immer so.

Mittwochnachmittags ist immer besonders viel los

"Sie hätten mal vergangene Woche am Mittwochnachmittag hier sein müssen, da war die Hölle los", sagt die Chirurgie-Oberärztin Dr. Ariane Pakaki-Buchner. Da war der Wartesaal voll, der Andrang riesig. Mit ein Grund dafür: Es war kurz vor den Sommerferien, außerdem Mittwochnachmittag. Da ist eigentlich immer viel los, denn da haben viele niedergelassene Ärzte ihre Praxen geschlossen. Mit der Folge, dass Patienten in die Notaufnahme der Klinik kommen − obwohl sie da nicht hingehören.

Um die Klinik-Ambulanzen zu entlasten, denken die obersten Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) deshalb auch darüber nach, Patienten, die ohne eigentliche Not tagsüber die Wartezimmer der Klinik-Ambulanzen unnötig verstopfen, mit einer 50-Euro-Gebühr zu belangen.

"Wir dürfen niemanden wegschicken", betont Oberärztin Dr. Ariane Pakaki-Buchner. Sie hat wie ihre Kollegen ein gewisses Maß an Verständnis für die Leute, die einfach hierherkommen. "Was ist ein Notfall? Das empfindet natürlich jeder Mensch anders", weiß sie. "Es gibt aber schon wirklich auch diejenigen, die einfach ins Krankenhaus gehen, obwohl sie zum Hausarzt oder Facharzt gehen könnten."

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Viele wissen nicht, wofür die Notfallambulanz da ist

"In den meisten Fällen ist das fehlende Wissen das Problem", nimmt Kalterina Delija, stellvertretende pflegerische Bereichsleitung der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Gesundbrunnen, die Leute ein wenig in Schutz. Die Patienten hätten oft einfach eine falsche Vorstellung davon, wofür eine Notfallambulanz einer Klinik wirklich da ist. Viele kämen vorbei, um sich in der ZNA "einfach mal untersuchen zu lassen".

Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Ein Sohn hat seine schon ältere Mutter zu einer OP in den Gesundbrunnen gebracht und ging danach noch in der Ambulanz vorbei, weil er schon länger Schmerzen am Zeh hatte. Nach dem Motto: Wenn ich schon mal hier bin? "Manche, die zu uns kommen, sind enttäuscht, weil wir grundsätzlich keine Krankmeldungen ausstellen", erklärt sie. Das macht der Hausarzt. Also muss der Patient doch dort hin.

Auch eine Gebühr würde den Aufwand nicht decken

Von einer Gebühr für Patienten hält SLK-Geschäftsführer Thomas Jendges dennoch wenig. "Die 50 Euro können einen geringen Effekt haben, die Einnahmen daraus sind aber nie so hoch, dass sie den Verwaltungsaufwand decken würden. Ich glaube deshalb nicht an die Gebühr, weil sie eins zu eins für den Verwaltungsaufwand draufgeht." Jendges weiter: "Es bringt aus meiner Sicht nichts, alle Patienten mit einer Zahlung zu bestrafen. Für diese wenigen Missbrauchsfälle bräuchten wir eine Sanktionierung." Viel wichtiger sei: "Die Struktur ist das entscheidende Thema: Denn die ambulante Versorgung ist per se nicht unsere Aufgabe als Krankenhaus. Wir zahlen bei der Notaufnahme jedes Jahr rund fünf Millionen Euro drauf. Das ist eine Belastung, die für niemanden erfreulich ist."

Wenn es in der Notfallambulanz am Gesundbrunnen heiß hergeht, dann sind schon mal 50 Patienten gleichzeitig da, die behandelt werden wollen. Im Schnitt sind es am Tag 120 bis 150. "Der Großteil davon sind Patienten, die wirklich krank sind", sagt Dr. Ariane Pakaki-Buchner. Etwa jeder dritte bis vierte Fall wird stationär aufgenommen.

Akute Notfälle haben Vorrang

Kommen dann noch akute Notfälle über den Rettungsdienst an, haben die Schwerstverletzten logischerweise Vorrang. Dann verzögert sich das Warten für die Patienten, die aus medizinischer Sicht mehr Zeit haben. "Im Schockraum ist dann von uns ein großes Team im Einsatz", schildert die Oberärztin. "Wir gehen in solchen Fällen aber immer raus zu den wartenden Patienten und Angehörigen und informieren sie über die Lage und darüber, warum sich die Wartezeit verlängert", betont Tina Rüdele, stellvertretende Bereichsleitung der ZNA. "Die meisten Leute haben dann schon Verständnis." Manche gehen unter diesen Vorzeichen freiwillig wieder.

SLK-Chef Jendges plädiert für eine grundlegende Strukturänderung. In anderen Ländern ist man da schon weiter. Auch Skandinavien hat reagiert, allen voran Dänemark. Jendges: "Das Modell in Dänemark, wo es vom Klinikbetrieb organisatorisch getrennte Maximalzentren als Ambulanzen gibt, macht Sinn. Wir wären sogar dazu bereit, für solche Zentren einen gewissen finanziellen Anteil zu tragen, wenn wir damit das Thema Ambulanz für Bagatellsymptome losbekommen würden."

 

 

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