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"Das heutige System ist für Patienten viel zu kompliziert"

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Immer mehr Patienten kommen auch dann in die Notaufnahme, wenn sie zum niedergelassenen Arzt gehen könnten. Diese Entwicklung bereitet Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg Sorge.

Von Christian Klose
Kai Sonntag sieht in der medizinischen Fernberatung übers Internet eine Möglichkeit, um dem Problem entgegenzuwirken. Foto: privat
Kai Sonntag sieht in der medizinischen Fernberatung übers Internet eine Möglichkeit, um dem Problem entgegenzuwirken. Foto: privat  Foto: privat

Um die Flut an Notfallpatienten besser zu kanalisieren, denkt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) über eine Gebühr in Höhe von 50 Euro für Patienten nach. Wir haben darüber mit Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, gesprochen.

Herr Sonntag, sollte die KVB nicht von der gescheiterten Praxisgebühr gewarnt sein?

Kai Sonntag: Die Gebühr ist nur eine Idee in einer Reihe von Möglichkeiten. Fakt ist: Wir haben auch in Baden-Württemberg die Situation, dass immer mehr Patienten die Notaufnahme tagsüber aufsuchen. Also dann, wenn die Patienten auch zum niedergelassenen Arzt gehen könnten.

Sind das Leute, die sich ihrem Handeln nicht bewusst sind, oder denen das egal ist?

Sonntag: So weit würde ich nicht gehen, auch wenn es sicherlich vorkommt. Wir haben auch noch andere Patienten: Es gibt immer mehr junge Leute, die gar keinen festen Hausarzt mehr haben. Ich kenne Studenten, die in der fremden Stadt, in der sie studieren, keinen Arzt haben. Wenn sie dann mal krank sind, ist für sie der Gang zur Notaufnahme der mit dem geringsten Aufwand. Das ist so, auch wenn es falsch ist. Wir müssen auch diesen Leuten den Zugang ins System ermöglichen.

Und wie könnte das gehen?

Sonntag: Eine Möglichkeit ist das Modell "docdirekt" übers Internet, das wir derzeit testen. Damit bringt die KVBW als erste Kassenärztliche Vereinigung ein Telemedizinprojekt auf den Weg. Per Telefon, Videotelefonie oder Chat bekommen Patienten in den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen medizinische Fernberatung von niedergelassenen Ärzten.

Sie haben doch aber auch am Gesundbrunnen eine KV-Notfallpraxis. Funktioniert die nicht?

Sonntag: Das Grundproblem ist, dass der Patient das heutige System der Notfallversorgung doch gar nicht versteht. Es ist viel zu kompliziert. Unsere KV-Praxis ist abends von 18 bis 22 Uhr und am Wochenende und feiertags geöffnet. Tagsüber einen Arzt dort zu haben, wäre schön, haben wir aber nicht. Stichwort Ärztemangel.

Also sollen diese Patienten erst abends oder am Wochenende kommen?

Sonntag: Wenn der Notfall zu diesen Zeiten eintritt, ja, dann sollen die Patienten direkt in die KV-Notfallpraxis gehen. Unsere Notfallnummer für Menschen ohne Hausarzt ist übrigens die 116117, bei der man in der Rettungsleitstelle landet. Diese hat die Aufgabe, bereits am Telefon herauszufinden, ob der Besuch in der KV-Praxis ausreicht.

Probleme machen Leute, die einfach in die Klinik gehen.

Sonntag: Das ist leider so. Unser Problem sind diejenigen, die die Ambulanzen in den Kliniken unnötig belasten. Diese haben dadurch weniger Ressourcen für die stationären Patienten und für die Menschen, die völlig zu Recht in die Notaufnahme der Klinik kommen.

Und obendrein verursacht das hohe Kosten.

Sonntag: Wir wissen, dass das für die Krankenhäuser ein Minusgeschäft ist, weil sie eine ganz andere Kostenstruktur haben. Sie sind nicht für Bagatellfälle gemacht und nicht dafür zuständig.

Was würden Sie dann außer der 50-Euro-Gebühr vorschlagen?

Sonntag: Wir fänden es gut, wenn wir auf Dauer ein integriertes System in Krankenhäusern mit einem Angebot 24 Stunden an sieben Tagen hätten. Aus unserer Sicht gäbe es dabei drei Betreibermodelle: Entweder die Klinik macht das, die KV dehnt ihr Angebot tagsüber aus oder ein niedergelassener Arzt bezieht seine Praxis in der Klinik.

Und wie kann das finanziert werden?

Sonntag: Da bedarf es keiner neuen Finanzierung. Das wäre im Prinzip eine Arztpraxis in der Klinik, die dann auch die "Laufkundschaft" des Klinikums übernehmen würde.

 
 
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