Neue Bahnbetreiber Go-Ahead und Abellio stecken viel Kritik ein
Viele Verspätungen, übervolle Züge und fehlende Informationen nerven Fahrgäste in den ersten Tagen des neuen Systems. Am Ende der ersten Woche mit den neuen Regionalzügen offenbart unsere Recherche eine überraschende Erkenntnis.

Es hakte, es war chaotisch, dann lief es wieder rund: Die erste Woche mit neuen Anbietern auf Bahnlinien in der Region hatte es in sich. Die meisten Klagen gab es wegen übervoller Züge. Laut Verkehrsministerium werden die vom Land bestellten Kapazitäten nicht immer geliefert.
Ministerium bestätigt: Es waren teilweise zu wenige Wagen im Einsatz
Von "ganz okay" bis "katastrophal": Das ist die Bandbreite der Reaktionen, seit am vergangenen Sonntag mit Go-Ahead und Abellio zwei neue Bahnanbieter die Strecken zwischen Stuttgart, Heilbronn, Würzburg und Mannheim übernommen haben. Hauptkritikpunkt neben einigen Verspätungen und Zugausfällen, die insbesondere am Montag die Folge von Oberleitungs- und Weichenstörungen waren: die Kapazität der Züge.
Von "hoffnungsloser Überfüllung" der Bahnen aus Osterburken über Heilbronn Richtung Landeshauptstadt berichtet ein Pendler. Auch am Umsteigebahnhof Bad Friedrichshall waren Fahrgäste am Freitagmorgen genervt. Derselbe Tenor: zu wenig Platz
Nicht überall seien die bestellten Kapazitäten bereitgestellt, teilt das Verkehrsministerium auf Anfrage mit. Zwischen Heilbronn und Mannheim fahre Abellio mit reduziertem Angebot, weil der Hersteller Bombardier die bestellten Fahrzeuge nicht rechtzeitig und mängelfrei lieferte. Mindestens eine Doppelstockgarnitur, die von DB Regio im Auftrag von Abellio zwischen Stuttgart und Heilbronn eingesetzt wird, weist laut Ministerium im Moment nur drei statt fünf Wagen auf.
Auch Go-Ahead fahre eine Regionalexpressverbindung, die Heilbronn um 7.15 Uhr Richtung Stuttgart verlässt, noch mit kürzeren Zügen als vereinbart, heißt es aus dem Ministerium. Es betont, das System sei jetzt grundsätzlich flexibler. Es erlaube eine "eine rasche bedarfsgerechte Anpassung der Kapazitäten". Vor dem Wechsel habe die DB Regio die Doppelstockzüge mit 450 Sitzplätzen den ganzen Tag auf die Reise geschickt, auch wenn der Bedarf gar nicht bestanden habe.
Abellio stellt Nachjustieren in Aussicht
Beschwerden wegen zu wenig Platz betreffen häufig die Regionalbahn 18 von Osterburken über Heilbronn nach Stuttgart und retour. Hier fährt Abellio nach Angaben einer Unternehmenssprecherin das, was bestellt ist: Mit zwei aneinandergekoppelten Fahrzeugen zwischen Stuttgart und Heilbronn, dann nur noch mit einem einzigen auf dem nördlichen Abschnitt. Ob das ausreicht? Vielleicht müsse man "nachjustieren", kündigt Abellio Gespräche mit dem Land an.
Bahnfahrer Martin Ostertag hat nach den ersten Tagen kein Verständnis für "chronische, nahezu tägliche Probleme" und eine "mangelhafte oder nicht vorhandene Information". Der Heilbronner dachte, dass es mit neuen Bahnbetreibern besser werde. Es seien massive Investitionen in den Schienenverkehr nötig, fordert er, "um endlich eine Verkehrswende herbeizuführen".
Eine Bürgerreferentin schrieb Ostertag zurück, sprach von Problemen, die in der Regel "erst im Realbetrieb auftreten". Die Betreiber arbeiteten "mit Hochdruck an einer Verbesserung der Situation". Man bitte um etwas Geduld, bis alle vertraglich vereinbarten Leistungen voll erfüllt werden.

Rollstuhlfahrer findet ebenerdige Züge super: Er braucht keine fremde Hilfe mehr
Am Freitag sind Fahrgäste im Heilbronner Hauptbahnhof positiv überrascht. Zwischen 7 und 8.30 Uhr fahren alle Regionalzüge pünktlich ab, einige sogar exakt auf die Minute. Pünktlich heißt in der Bahnsprache maximal fünf Minuten und 59 Sekunden zu spät. Auch mittags zwischen zwölf und ein Uhr: keine Verspätungen.
Am Morgen hat ein Schwaigerner (51) dem neuen System "die Note 5" gegeben. Es sei schlechter als vorher. Sein Zug habe 15 Minuten auf der Strecke gehalten. Und auch im Stuttgarter Bahnhof habe es bei Verspätung keine Informationen gegeben. "Die Absprache funktioniert nicht."
Rollstuhlfahrer David Scharla hat am Donnerstag 36 Minuten Verspätung erlebt auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in Krautheim. Sonst kam er gut mit. Er ist froh, dass er nun ohne fremde Hilfe direkt in die ebenerdigen Züge einfahren kann. "Das ist super."
Als ein junger Fahrgast am Freitag gegen 8.15 Uhr die Treppe zu Gleis 6 hochrennt, kommt er eine Minute zu spät zum Zug nach Stuttgart. Der fuhr exakt laut Plan ab. "Mein Gott", sagt er. Aber: "Es ist ja schön, wenn sie pünktlich sind."
Bahn entschuldigt sich
Am Montagmorgen hat es im Heilbronner Hauptbahnhof Ärger gegeben, weil ein Zug am falschen Gleis ankam und irritierte Fahrgäste auf den angezeigten warteten - der aber dort nicht kam.
Den Fehler erklärt ein DeutscheBahn-Sprecher damit, dass in Betriebsunterlagen des Fahrdienstleiters auf dem Stellwerk "irrtümlich" Gleis 4 hinterlegt war, im elektronischen Fahrplan der Zug korrekt mit Gleis 5 enthalten war. Deshalb habe der Mitarbeiter keinen Informationsbedarf für Fahrgäste gesehen. "Wir bitten die Fahrgäste um Entschuldigung", so der Sprecher.
Kommentar von Alexander Hettich
Es ist alles andere als ein Traumstart, den die neuen Anbieter Go-Ahead und Abellio auf den Bahnlinien der Region hingelegt haben. Züge fielen aus, viele waren verspätet, Pendler berichten von überfüllten Bahnen. Das Echo in den sozialen Medien ist verheerend, mancher wünscht sich die viel gescholtene DB Regio zurück.
Das Gesamtbild fällt differenzierter aus. Oft stimmten Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Die wenigen neuen Bahnen, die bereits fahren, finden Zustimmung, vor allem bei Menschen mit Gehbehinderung, die wesentlich leichter einsteigen können. Wo es Pannen gab, sind sie nicht immer den Bahnunternehmen anzukreiden. Gleich am Montag gab es eine ungewöhnliche Häufung von Problemen, kaputte Weichen und Oberleitungen, die jeden Anbieter hätten kapitulieren lassen.
Nach einer Woche ist es zu früh, den Stab zu brechen. Klar ist aber auch: Den Kunden ist herzlich egal, warum etwas im Einzelfall nicht funktioniert. Die Anbieter müssen liefern. Das Problem mit teils überfüllten Zügen muss schnellstens gelöst werden. Hat das Land zu wenig bestellt? Sind es Anfangsschwierigkeiten der Anbieter, deren Wagenpark wegen Versäumnissen ihrer Lieferanten auf Kante genäht ist?
Hier fallen die Antworten auf hartnäckige Nachfragen unbefriedigend aus. Natürlich ist es unökologisch, mit Überkapazitäten Luft spazieren zu fahren. Die vom Land gewünschte "bedarfsgerechte Anpassung" funktioniert aber offenbar nicht, wenn zu Stoßzeiten Plätze fehlen. Wenn frustrierte Bahnpendler wieder aufs Auto umsteigen, wäre das ein fatales Signal.