Mythos oder Wahrheit? Was wir über Wölfe wissen
In Weinsberg ist Anfang Oktober ein Wolf aufgetaucht. Eine Wildkamera hat ihn erfasst. Im Internet ist daraufhin eine kontroverse Diskussion entbrannt. Wie gefährlich ist so ein Wolf? Ein Faktencheck.

Ein Wolf wird in Weinsberg von einer Wildkamera erfasst und löst im Internet kontroverse Diskussionen aus. "Er frisst Kinder", behaupten die einen, Wölfe seien "völlig ungefährlich", sagen andere. Wichtige Informationen zu Wölfen im Überblick.
Warum löst der Wolf bei vielen Menschen negative Emotionen aus?
Angst ist ein Gefühl, das Menschen vor Gefahren warnt. Wer zu wenig Angst hat, lebt gefährlich, zu viel Angst engt den Handlungsspielraum ein, sagt Dr. Hans-Jürgen Luderer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aus Heilbronn. Manchmal sei es schwer zu entscheiden, ob Ängste realistisch oder unrealistisch sind. Das gelte auch für die Angst vor dem Wolf, die im christlichen Mittelalter begann, und sich in vielen Geschichten um den „bösen“ Wolf äußerte. Im 19. Jahrhundert wurde der Wolf dann so heftig bekämpft, dass er in Deutschland nahezu ausgerottet war. Jetzt ist er zurück. Wenn er nun Tiere reißt, kommen wieder die alten Ängste auf, die den Wolf nicht nur als Bedrohung für Nutztiere, sondern auch für den Menschen sehen.
Wie gefährlich ist der Wolf?
In Widdern reißt ein Wolf im Jahr 2017 drei Lämmer. Im Schwarzwald fallen 2018 mehr als 40 Schafe dem Raubtier zum Opfer. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf registriert vergangenes Jahr 942 Übergriffe auf Nutztiere. Etwa 4000 Tiere, überwiegend Schafe und Ziegen, werden verletzt oder getötet. In Niedersachsen werden außerdem Rinder und Pferde gerissen. In Brandenburg tötet ein Wolf Alpakas.
Sind Angriffe auf Menschen bekannt?
Seit seiner Rückkehr vor etwa 20 Jahren ist bislang kein Mensch in Deutschland von einem Wolf getötet worden. Vereinzelt sorgen Meldungen über Begegnungen mit Wölfen für Aufsehen. Im Frühjahr etwa umkreist ein Wolf minutenlang eine Spaziergängerin und deren Hund auf einem Acker in der Lüneburger Heide. 2018 behauptet ein Mann in Niedersachsen, er sei von einem Wolf gebissen worden. Nach einer DNA-Analyse entpuppt sich die Behauptung als nachweislich falsch.
Was ist von historischen Berichten über Attacken auf Menschen zu halten?
Berichte über Angriffe aus früheren Jahrhunderten lassen sich zum größten Teil auf tollwütige Wölfe zurückführen, teilt die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf mit. Derartige Fälle werden auch in alten Aufzeichnungen als extreme Ausnahmen betrachtet. Sie seien an sehr spezielle Umweltbedingungen geknüpft: einen stark zerteilten Lebensraum mit extrem niedrigen Beutetierbeständen und Wölfe, die sich von Nutztieren und Abfall ernährten. Unter diesen Bedingungen waren Kinder angreifbar, etwa wenn sie Vieh im Wald hüteten.
Wie vermehren sich Wölfe?
Junge Wölfe sind dem Naturschutzbund zufolge meist mit 22 Monaten geschlechtsreif. Die Paarungszeit liegt zwischen Februar und März. Nach neun Wochen werden im April oder Mai meist zwischen vier und sechs Welpen in einer Höhle geboren. Anschließend leben die Wölfe als Rudel zusammen. Die Jungen vom Vorjahr helfen bei der Aufzucht der jüngeren Geschwister. Nach zwei bis drei Jahren verlassen sie das Rudel und suchen sich einen Partner. Dabei legen sie laut Nabu bis zu 1000 Kilometer zurück.
Warum dämmen andere Länder die Population stärker ein als Deutschland?
Wölfe unterliegen nicht in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dem gleichen Schutzstatus, teilt Dr. Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg mit. In einigen Ländern wie Polen, den baltischen Staaten und der Slowakei ist die Jagd auf Wölfe möglich, da es dort früher größere Bestände gab. Anders in Schweden. Aktuell verfolge die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die dort praktizierte Lizenzjagd auf Wölfe. Wissenschaftliche Untersuchungen seien außerdem zu dem Ergebnis gekommen, dass der Abschuss oder die ständige Bejagung nur kurzfristig etwas nützen. Eine langfristige Verbesserung für Tierhalter sei nur durch die Installation von Herdenschutzmaßnahmen gegeben.
Welchen Nutzen hat ein Wolf?
Wölfe erbringen in erster Linie einen Vorteil für die heimischen Ökosysteme, heißt es bei der Pressestelle des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wölfe begrenzten die Bestände von Paarhufern wie Rot- und Schwarzwild. Das führe zu weniger Fraßdruck auf junge Pflanzen, wodurch sich Wälder besser erholen können und letztlich mehr Bäume nachwachsen, die wiederum Kohlenstoff binden und neuen Lebensraum bieten. "Die Frage nach dem Nutzen ist jedoch auch eine ethische", sagt Micha Herdtfelder. Viele Naturschutzverbände seien der Meinung, dass der Mensch den Wolf nicht brauche. Dennoch sei es Teil unserer zivilisierten Gesellschaft und im Grundgesetz verankert, dass unsere Wildtiere geschützt werden.
Was kostet uns der Wolfsschutz?
Dem Umweltministerium zufolge gibt Baden-Württemberg dieses Jahr 945 000 Euro für den Schutz aus. 2018 waren es 217 000 Euro. Das meiste Geld erhalten Tierbesitzer im Voll- und Nebenerwerb.
So viele Wölfe gibt es im Land
In Baden-Württemberg sind zwei sesshafte, männliche Tiere im Schwarzwald nachgewiesen, teilt das Landesumweltministerium mit. Die Wölfe sind aus Niedersachsen zugewandert. Ein dritter Wolf lebt im Odenwald und kommt aus der Alpen- beziehungsweise der italienischen Population. Seit 2015 sind außerdem sechs weitere Wölfe auf der Wanderung durchs Land genetisch erfasst worden. Deutschland verzeichnet im Monitoringjahr 2019/2020 insgesamt 128 Rudel, bestehend aus zwei erwachsenen Tieren und dem Nachwuchs. Dazu gibt es 39 Paare und neun sesshafte Einzeltiere. Der Großteil lebt in Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen.