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Moskau statt Heilbronn: Flucht vor Teilmobilmachung vorerst abgebrochen

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Eduard Perevalov wollte über die Türkei zu seiner Schwägerin nach Heilbronn kommen. Doch die Bearbeitung eines Härtefallantrags dauert zu lange.

Eduard Perevalov und seine Frau Ekaterina Tretjakova in Moskau
Eduard Perevalov und seine Frau Ekaterina Tretjakova in Moskau  Foto: privat

Elena Pykhonin fühlt sich hilflos. Im Dezember hätten ihre Schwester Ekaterina Tretjakova und deren Mann Eduard Perevalov nach Heilbronn kommen sollen - doch jetzt sind sie doch wieder zurück in Moskau. Perevalov war im Herbst vor der Teilmobilmachung Putins mit viel Aufwand und Glück in die Türkei geflohen. Die Sache ist kompliziert.

Beim Bundesverwaltungsamt läuft ein Antrag von Ekaterina Tretjakova und ihrem Mann auf Aufnahme in Deutschland als Spätaussiedler. Das dauert nun länger als erwartet. Dabei hatten sie auf ein beschleunigtes Härtefallverfahren gehofft.

Enttäuscht über Pauschalisierungen

"Ich bin enttäuscht", sagt Elena Pykhonin (41) - enttäuscht über vieles. Als der Krieg begann, startete Pykhonin in Heilbronn mit großem Engagement eine Ukraine-Hilfe - als Frau, die in Russland aufgewachsen war und sich mit russischer Kultur sehr verbunden fühlt.

Was sie beklagt, ist ganz konkret: Vielen Menschen in Deutschland fehle eine differenzierte Wahrnehmung. Wenn sie Aussagen höre wie, die Männer in Russland sollten dort bleiben, um Putin zu stürzen, verstehe sie die Welt nicht mehr. "Wer so etwas sagt, weiß nicht, wie das Leben in Russland funktioniert", erklärt sie.

Der 42-jährige Perevalov schreibt via Facebook an die Redaktion der Heilbronner Stimme, er fühle Wut und Angst. "Ich musste nach Russland zurück, weil Dokumente nicht bearbeitet werden können, während ich außerhalb des Landes bin", sagt er. Seine Frau und er seien aber optimistisch, dass das deutsche Bundesverwaltungsamt eine Einladung aussprechen kann, sobald ihre Unterlagen final bearbeitet wurden.

Paar hofft auf ein Wunder

Nach Deutschland mit einem Touristenvisum einzureisen, sei aus ihrer Perspektive sehr schwer, weil die baltischen Staaten und fast alle Länder sogar einen Transit untersagt haben für Menschen aus Russland, selbst mit Touristenvisum für Deutschland.

Elena Pykhonin videotelefoniert mit ihrem Schwager.
Elena Pykhonin videotelefoniert mit ihrem Schwager.  Foto: privat

Und ein zusätzliches Risiko sei, dass sie - falls der Antrag beim Amt innerhalb von drei Monaten wieder nicht bearbeitet sei - sie erneut Deutschland verlassen müssten, um drei Monate später erneut als Touristen einreisen zu können. "Wir dachten, das ist verrückt und es ist einfacher, in Russland zu bleiben und auf ein Wunder zu hoffen." Seine große Sorge sei aber, so Perevalov, dass Putin mit einem weiteren furchtbaren Nonsens daherkomme und eine weitere Mobilisierung verkünde oder noch etwas Schlimmeres.

Befürchtete Einberufung kann besondere Härte begründen

Eine Sprecherin des Bundesverwaltungsamts teilte unserer Zeitung auf Anfrage mit, dass die begründete Befürchtung einer Einberufung durch die Teilmobilmachung eine besondere Härte im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes begründen könne. ""Es versuchen viele Antragsteller wegen der Teilmobilmachung eine Beschleunigung ihrer bereits laufenden Verfahren zu erreichen." Handle es sich dabei nicht nur um allgemeine Befürchtungen und könnten die Antragsteller eine unmittelbar bevorstehende Einberufung glaubhaft machen, würden die Anträge vorgezogen.

Elena Pykhonin kritisiert, dass es lebensfern sei seitens des Amtes, zu erwarten, dass man die bevorstehende oder gar schriftliche Einberufung nachweisen kann. "Wenn man dieses Dokument in den Händen hält, ist es bereits vorbei", sagt sie - zu diesem Zeitpunkt sei eine Flucht unmöglich.

Sie wollen in Frieden leben

Dabei wäre es für Deutschland so hilfreich und sinnvoll, ist Pykhonin überzeugt, wenn sie Geflüchteten aus Russland und ganz generell Geflüchteten angesichts des allgemein herrschenden Personalmangels bessere Chancen bieten und eine Bearbeitung ihrer Anträge vereinfachen würden. Es gebe so viele gute Menschen in Russland und sie alle wollten keinen Krieg haben, sondern einfach nur ein friedliches Leben führen. Das werde leider von vielen Menschen in Deutschland, die pauschal argumentierten, übersehen. Warum sei die Solidarität mit diesen Menschen nicht genau so groß wie mit Flüchtlingen aus der Ukraine? "Das macht mich sehr traurig", sagt Pykhonin. "Ich wünsche mir jeden Tag, dass Putin stirbt."

 
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