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Sparzwänge und Preisexplosion
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Stirbt der Mittagstisch aus? Immer mehr Gaststätten verzichten darauf

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Gastronomen leiden zunehmend unter hohen Kosten, Bürokratie, hoher Mehrwertsteuer und der Konkurrenz durch Fast Food. Auf der Strecke bleibt dabei der klassische Mittagstisch.

Den klassischen Mittagstisch, hier serviert im "Charivari" von Janina Dragidella, gibt es immer seltener.
Den klassischen Mittagstisch, hier serviert im "Charivari" von Janina Dragidella, gibt es immer seltener.  Foto: Mario Berger

Tausende, die täglich zur Arbeit nach Heilbronn kommen, fragen sich spätestens gegen 12 Uhr: Wo machen wir heute Mittag? Anderen stellt sich die Frage kaum. Sie stärken sich an selbst geschmierten Broten, Salat oder gekochten Nudeln aus der Tupperschüssel, zur Not im Büro am PC. Andere kehren – falls noch vorhanden – in eine Kantine ein oder gönnen sich einen Döner. Wer es sich (noch) leisten kann, steuert ein Lokal an.

Der Mittagstisch kennt also viele Gesichter. Und: Er wandelt sich laufend, nicht erst durch die aktuellen Sparzwänge vieler Verbraucher und dem gleichzeitigen Kostendruck der Gastronomen. Zuvor schon ist in den Corona-Jahren einiges in Bewegung geraten: Lokale waren zeitweise zu, nur eingeschränkt zu besuchen – und setzten notgedrungen auf To-go-Angebote. Essen aus der Hand, ob im Sitzen, Stehen oder Gehen läuft seitdem überall wie geschmiert.

Mittagspause in Heilbronn: Döner, Pommes und Burger zum Mitnehmen

"Also ich habe erst in der Pandemie entdeckt, wie schön es hier am Fluss ist", erklärt etwa Andreas Drautz, der seine Mittagszeit gerne auf einer Bank an der Neckarmeile oder sonst wo im Grünen verbringt. "Wenn du nur 45 Minuten Pause hast, passt das auch zeitlich besser. Auch am Imbissstand, etwa beim Silzer, muss man nicht lange auf die Bedienung warten."

Auch die Berufsschülerinnen Steffi und Annika setzen mittags "auf etwas aus der Hand, am liebsten Pommes und Burger". Da sind sie nicht die einzigen, wie die lange Schlange im McDonald's in der Sülmer City zeigt. Micha Ergenzinger und seine Kumpels schwören auf Döner, wobei es ihnen "stinkt, dass der Preis in unserer Lieblingsbude auf einen Schlag auf 6,50 Euro gestiegen ist".

Küchenmeister Edgar Rauer nennt Gründe für "Preisexplosionen" in der Gastronomie

Solche "Preisexplosionen" sind kein Einzelfall. So berichtet ein Stammgast eines schwäbischen Lokals in der City, dass der Mittagstisch dort seit 2017 von einst 6,50 Euro auf 9,80 Euro gestiegen ist. "um 46 Prozent!". "Zehn Euro sind eine magische Marke, da traute man sich lange nicht drüber, inzwischen muss man es aber", weiß Küchenmeister Edgar Rauer, der bereits in den 1990er Jahren im Deutschhof-Café im Doppelpass mit seiner benachbarten Weinstube Essen vom Buffet für 5,50 D-Mark angeboten hatte.

Heute beschränkt er sich damit in "Rauers Gute Stube" in Untereisesheim auf den Montag und verlangt 12,50 Euro. "Die Bude ist dann immer richtig voll. Aber das rentiert sich für mich nur, weil ich Ware von meinen Wochenend-Veranstaltungen verwenden kann." Sonst wären die Kosten zu hoch, sagt Rauer und nennt neben hohen Einkaufs- und Energiepreisen als Treiber die Rückkehr zur 19-Prozent-Mehrwertsteuer, Inflation und Personal.


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Dehoga-Chef Aurich: Aus Rücksicht aufs Personal bleibt die Küche kalt 

Der Heilbronner Dehoga-Chef Thomas Aurich weiß: "Aus Rücksicht auf die Mitarbeiter, die auch mal Freizeit brauchen", reduzierten zunehmend vor allem Lokale mit deutscher Küche ihre Öffnungszeiten – und verzichteten auf den traditionellen Mittagstisch, bei dem die Nachfrage noch dazu schwer vorherzusehen sei. Internationale Lokale, gerade aus Asien, hätten, vorsichtig gesagt, eine andere Kalkulation, Personalsituation, Familienstruktur und "weniger Probleme mittags und abends zu schaffen". Entsprechend groß sei die Vielfalt.

Ähnlich verhalte es sich mit den Besenwirtschaften. "Das Schnitzel mit Brot zu 10,50 Euro, wie macht ihr das?", habe Aurich einige Besenwirte gefragt und zur Antwort bekommen: "Über die Masse." Natürlich gebe es auch noch gute Restaurants, wo zahlungskräftige Gäste den Mittagstisch stützen, "etwa die Geschäftsleute im Ratskeller". "Aber die kannst du in der Stadt bald an einer Hand abzählen."

Dehoga liefert erschreckende Zahlen zum Gastro-Rückgang

"Insgesamt ist der Mittagstisch in der klassischen, also einheimischen Gastronomie rückläufig", bedauert Landes-Dehoga-Sprecher Daniel Ohl und nennt aufschlussreiche Zahlen. Im Jahr 2012 habe das Statistische Landesamt noch 12.056 Gastro-Betriebe mit Bedienung aufgeführt, 2022 waren es 21,5 Prozent weniger, nämlich nur noch 9464. Gleichzeitig sei die Zahl der Imbissstuben um satte 22,3 Prozent auf 4175 gestiegen.

Das Verhältnis könnte sich weiter verschieben, nicht zuletzt, weil Betriebe bei der Ausgabe von Außer-Haus-Speisen nur sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen müssen, Lokale mit Bedienung aber seit 2024 wieder 19 Prozent. Der Gaststättenverband Dehoga hatte monatelang versucht, die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants zu verhindern – ohne Erfolg. 

Für Speisen in Restaurants oder Cafés war der Mehrwertsteuersatz in der Corona-Pandemie zur Entlastung der Branche vorübergehend von 19 auf 7 Prozent gesenkt worden. Diese Ausnahmeregelung wurde wegen der Energiekrise mehrmals verlängert, zuletzt bis Ende 2023. Seit dem Jahreswechsel gilt wieder der höhere Satz von 19 Prozent. Bei Getränken war dieser Steuersatz über die Jahre gleich geblieben.

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Jürgen Mosthaf am 29.04.2024 10:28 Uhr

Die Rechnung ist ganz einfach. 19 % Umsatzsteuer, 40 % Personalkosten, 10 % Miete, Versicherungen, GEZ Gebühren, GEMA, sonstige Steuern und Gebühren, Kartengebühren, Steuerberatungskosten, Fahrzeugkosten, Telefon und und und. So, was darf denn nun noch die Ware im Einkauf kosten, die man seinem Gast anbieten kann? Die traditionellen Familienbetriebe sterben weg, die immerhin bei den Personalkosten noch einiges einsparen konnten. Essen gehen war einmal und ist inzwischen wieder Luxus und wird immer mehr zum Luxus werden je höher die sonstigen Lebenshaltungskosten steigen. Jetzt kommt dazu, dass die Automobilindustrie stark schwächelt und die Absatzmärkte einbrechen. Die Sozialabgaben werden steigen müssen und die öffentliche Hand hat ein riesiges Ausgabenproblem. Für Luxus bleibt dem Durchschnittsverdiener und den Menschen die darunter liegen nicht mehr viel Spielraum. In meiner Kindheit gingen wir ab und zu in einem Landgasthof in den Ferien oder einmal im Jahr zur Kirchweih essen.

Jürgen Mosthaf

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