Stimme+
Region
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Fünf Frauen aus der Ukraine erzählen, wie es ihnen geht

   | 
Lesezeit  4 Min
Erfolgreich kopiert!

Vor 33 Tagen ist das Leben der Menschen in der Ukraine völlig aus den Fugen geraten. Vor allem Frauen und Kinder flüchten vor Bomben, Tod und Terror. Einige von ihnen erfahren hier in der Region Hilfe. Viele Gedanken und Gefühle beschäftigen fünf von der Stimme befragten geflüchteten Frauen.

Fünf Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, berichten über ihre Situation. Fotos: Kümmerle, Kinkopf, dpa
Fünf Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, berichten über ihre Situation. Fotos: Kümmerle, Kinkopf, dpa

Hinweis: Für Nutzer aus der Ukraine stellen wir diesen Inhalt kostenlos zur Verfügung.

Sie haben Angst um Verwandte und Freunde im Kriegsgebiet. Pläne, die sie vor kurzer Zeit schmiedeten, sind obsolet. "Wir wissen nicht, was morgen ist", sagt beispielsweise Maryna Panchenko aus Charkiw.

Angst um Angehörige und Panik während der Flucht

Der Verlust der eigenen vier Wände, des eigenen Zuhauses - "wohin sollen wir zurückkehren?", fragt sich etwa Taisiia Petrova. Die Erlebnisse auf der Flucht sind zu verarbeiten. Beim Einstieg in den Zug seien die Kinder gestoßen und eingeklemmt worden, erzählt die 32-jährige Anna aus Dnipro. "Es herrschte Panik." Da ist das zehnjährige Mädchen, das nach Angaben ihrer Mutter Natalie viel weint.

Unklar, wie viele Flüchtlinge angekommen sind

Die Kämpfe in der Ukraine gehen weiter. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind bis Ende der vergangenen Woche rund 246.000 Einreisen von Kriegsflüchtlingen dokumentiert. Wie viele es tatsächlich sind, ist unbekannt. Sie können ohne Visum in die Europäische Union einreisen. Die Stadt, der Landkreis Heilbronn und der Hohenlohekreis bereiten sich auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge vor.

 


Mehr zum Thema

ARCHIV - Frauen demonstrieren am 08.03.2008 in Bern gegen Frauenhandel. Genaue Zahlen über das Ausmaß des Menschenhandels hat niemand. Das jüngste Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) von 2007 berichtet von 689 Opfern des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in 454 abgeschlossenen Fällen. In Schleswig-Holstein waren es laut Kriminalstatistik des Landes 19 Fälle im Jahr 2008. Foto: Peter Schneider dpa/lno (zu dpa-Korr: "Angst und Druck - Fachstelle hilft Opfern von Frauenhandel" vom 17.10.2009) +++ dpa-Bildfunk +++
Stimme+
Kriminalität
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Menschenhandel mit Ukrainerinnen in Region bislang nicht bekannt



 

Maryna Panchenko, 42 Jahre alt, aus Charkiw

 

 Foto: Kinkopf, Heike

Sie wollte reisen. Mit ihrem Mann und den Kindern. "Vielleicht Spanien oder Italien", erzählt Maryna Panchenko. Sonne und Meer bleiben ein Traum. Auf der Flucht vor dem Krieg erreicht die 42-Jährige mit dem elfjährigen Sohn und der vier Jahre alten Tochter Heilbronn.

Ob Russin oder Ukrainer spielte vor dem Krieg keine Rolle

Ihr Mann und der Schwiegervater sind in Charkiw zurückgeblieben. So oft es möglich ist, telefoniert sie mit ihrem Mann. "Ich vermisse ihn." Vor einigen Wochen noch ist Maryna Panchenko Vollzeit im medizinischen Bereich berufstätig. "Wir hatten eine große Wohnung, ein Auto, ein Gartengrundstück." Ihre Muttersprache ist Russisch. "Die Mama war Russin, der Papa Ukrainer." In ihrem Alltag in der Millionen-Metropole Charkiw habe es keine Rolle gespielt, woher jemand stamme.

Die Heimat ist zerstört

Maryna Panchenko zeigt Fotos auf dem Handy: die zerstörte Heimat. Triste Bilder in Grau und Braun, kein Grün. Auf einem Foto leuchten ein paar bunte Farben auf einer kaputten Mauer. "Der Kindergarten meiner Tochter." Eine Familie in Heilbronn hat die Mutter mit Sohn und Tochter aufgenommen. Sie denkt positiv, sagt sie, "das tue ich für meine Kinder". 

 


Anna, 32 Jahre alt, aus Dnipro

 

 Foto: privat

Anna hat die Ukraine mit ihrem sechsjährigen Sohn am 14. März verlassen. Ihren Nachnamen möchte die 32-Jährige nicht sagen. Sie kommt aus Dnipro, einer Stadt mit einer Million Einwohnern im Südosten der Ukraine. Sie und ihr Sohn haben die Stadt mit dem Zug verlassen. Zunächst fuhren sie über die Stadt Lwiw nach Polen. "Die Fahrt war schrecklich. Als wir einstiegen, herrschte ein schreckliches Durcheinander. Niemand hat mehr Rücksicht auf den anderen genommen." Kinder seien gestoßen und eingeklemmt worden. "In diesem Moment herrschte große Panik unter den Menschen."

"Im Zug haben Erwachsene und Kinder auf dem Boden in den Gängen geschlafen", teilt die Nagel-Designerin schriftlich mit. 14 Menschen haben sich nach ihren Schilderungen in ein Abteil gequetscht, das eigentlich für vier Passagiere ausgelegt war.

In Polen angekommen, habe sie mit ihrem Sohn in einem Raum mit vielen fremden Menschen geschlafen. Ihre Eltern und ihr Mann seien in der Ukraine geblieben, erklärt sie. Sie ist mit ihrem Sohn in einem ehemaligen Kinderwohnheim in Eppingen untergebracht.

 

 

Natalie, 32 Jahre alt, aus Dnipro

 

 Foto: Kümmerle, Jürgen

Natalie ist Englisch-Lehrerin und kommt wie Anna aus Dnipro. Auch sie ist mit dem Zug aus der Millionenstadt geflüchtet. Mit dabei ihre zehnjährige Tochter. Am Bahnhof seien zwischen 1000 und 2000 Menschen in zwei parallelen Schlangen acht Stunden angestanden. Es sei kalt gewesen. Ein Freund ihrer Tante habe sie gefragt, ob sie seine fünf Kinder mit nach Deutschland nehmen könne. "Die Eltern konnten nicht mitkommen." Ihren Mann habe sie zurücklassen müssen.

13 Stunden habe der Zug von der Ukraine nach Ungarn benötigt. "Ohne Essen und Trinken." Nachts sei es stockdunkel im Zug gewesen. Niemand habe sein Mobiltelefon einschalten dürfen. "Es hieß, damit uns die russischen Raketen nicht ausmachen können. Wir wussten nicht, wo wir gerade vorbeifahren." In Záhony in Ungarn habe sie den Zug nach Wien gewechselt. Von dort sei sie mit den sechs Kindern im Schlepptau weiter nach Würzburg und Heilbronn gefahren. Die fünf Kinder des Freundes sind bei deren Onkel untergekommen. Natalie mit ihrer Tochter bei ihrer Tante in Leingarten. "Meine Tochter weint oft, weil sie ihren Vater vermisst." jükü

 

 

Ivona, 22 Jahre alt, aus Kiew

 

 Foto: privat

Als eine Granate in ein Wohnhaus etwa zehn Gehminuten entfernt von Ivonas Wohnung in Kiew einschlägt, hat sie sich mit ihrer Großmutter und ihrer französischen Bulldogge im Bad verschanzt. Aus der Nähe seien Schüsse zu hören gewesen. Die 22-jährige Ivona entschließt sich, mit ihrem Hund zu fliehen. Die Großmutter habe wegen eines gebrochenen Arms nicht mitkommen können.

Die Nerven verloren

Von Kiew fährt sie mit dem Zug nach Lwiw. Dort habe sie gemeinsam mit etwa 5000 Frauen, Kindern und Älteren auf einen Zug an die polnische Grenze gewartet. "Es hat geschneit, es war sehr, sehr kalt", sagt Ivona, die in Kiew in einem Restaurant bediente. "Es war einfach beängstigend, ein paar Mal verlor ich die Nerven vor Hysterie. Menschen, gestresst und müde, beschimpften sich gegenseitig, Kinder weinten."

Mutter und Schwester sind nun auch in Deutschland

In Warschau seien sie von vielen freiwilligen Helfern empfangen und mit Lebensmitteln versorgt worden. Ihre Mutter und ihre kleine Schwester sind nun auch in Deutschland. "Jetzt sind wir endlich vereint. Es war der schönste Moment." Ihr Vater und ihre Großmutter sind in der Ukraine. 

 

 

Taisiia Petrova, 34 Jahre alt, aus Tschernihi

 

 Foto: Kinkopf, Heike

Am ersten Tag, als die russischen Soldaten in die Ukraine einfallen, flüchtet Taisiia Petrova mit zwei Kindern und Mann, der die Staatsbürgerschaft Kasachstans besitzt. Verwandte, Freunde, der Bruder sind in Tschernihiw. Sie schreiben ihr regelmäßig übers Mobiltelefon. "Lebe noch" stehe dann nur da.

Emotional stark belastet

Die 34-Jährige wirkt äußerlich ruhig. Je mehr sie erzählt, umso brüchiger wird die Stimme. Tränen laufen über ihr Gesicht. Das Gespräch möchte sie trotzdem fortsetzen. In der Ukraine lebten sie und ihre Familie in dem Haus, das sie von der Oma geerbt habe. Jetzt sei es innen total zerstört, nur die äußeren Mauern stünden noch. Ihr Mann habe sich vor einem Jahr mit einer Auto-Werkstatt selbstständig gemacht, sie arbeitete Vollzeit im Büro eines Taxi-Unternehmens.

Nachts träumt sie von zu Hause

Zuerst habe sie gedacht, nur ein paar Tage, dann könne sie wieder nach Tschernihiw zurück. Jetzt schätzt sie die Lage anders ein. Jeden Morgen wache sie auf und sie habe nachts von Zuhause geträumt. Ihr Leben kommt ihr vor wie ein Alptraum. Die Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe in Heilbronn lenke sie ab. Sitzen und abwarten sei kaum zu ertragen. 

 


Mehr zum Thema

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind auch in der Region Heilbronn und Hohenlohe angekommen. Die meisten sind bislang privat untergekommen.
Region
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Anlaufstellen in der Region für Flüchtlinge und Helfer


Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben