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Alarmierende Entwicklung: In der Region werden mehr Kinder misshandelt

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Die Fallzahlen von geschlagenen und seelisch misshandelten Kindern in der Region steigen. Es gibt vielfältige Gründe, warum Eltern die Kontrolle verlieren.

 Foto: Annette Riedl

Die Aussagen von Fachleuten sind alarmierend: Immer mehr Kinder in der Stadt, im Landkreis Heilbronn und im Hohenlohekreis erfahren zu Hause Gewalt. Die Zahlen der akuten Kindeswohlgefährdungen wie Vernachlässigung, körperliche und psychische Misshandlung und sexuelle Gewalt verdoppeln sich nach Angaben des Landratsamts im Kreis Heilbronn von 96 im Jahr 2017 auf 180 im vergangenen Jahr.


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Die meisten gefährdeten Kinder wiesen der Statistik zufolge Anzeichen von Vernachlässigung auf. Bei rund einem Drittel aller Fälle gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen (Symbol).
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Misshandelte Kinder gehen uns alle an


Eine Verdreifachung der Zahlen verzeichnet das Jugendamt des Hohenlohekreises. "Seit 2017 sind die Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen kontinuierlich gestiegen", teilt Sascha Sprenger, Sprecher des Landratsamts, mit. 2017 überprüfen die Allgemeinen Sozialen Dienste 90 Meldungen, vergangenes Jahr erreichen die Hinweise mit 271 einen Höchststand. Im Heilbronner Landkreis bleiben die Meldungen in dem Zeitraum mit gut 600 nahezu gleich.

SLK-Krankenhaus registriert 200 bis 300 Fälle im Jahr

"Wir können derzeit nicht von einem signifikanten Anstieg von Kindern sprechen, die wegen einer körperlichen und oder seelischen Misshandlung in der Kinderklinik behandelt werden", sagt Mathias Burkhardt, Pressesprecher der SLK-Kliniken. "Seit jeher jedoch bewegen sich die Zahlen leider auf einem hohen Niveau." Im Durchschnitt gebe es einen bestätigten Fall pro Woche. Zwischen 200 und 300 Mal im Jahr werde das Kinderschutzteam des Krankenhauses eingeschalten. Das Team besteht aus Kinderärzten und -psychiatern, Psychologe und Sozialberatung. Es begleitet die Fälle und unterstützt alle Abteilungen, in denen Minderjährige mit unklaren Verletzungen oder Misshandlungsspuren behandelt werden.

Schule ist eines der Konfliktthemen

Kinder in psychischen Notfallsituationen und mit psychischen Erkrankungen behandelt das ZfP-Klinikum am Weissenhof in Weinsberg. "Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen", sagt Dr. med. Claas van Aaken (46), Chefarzt der dortigen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Corona-Zeit habe die Belastungen innerhalb von Familien verstärkt, die Pandemie habe wie ein Brennglas gewirkt. "Wir haben auch hier verstärkt Krisen erlebt."

Körperliche Misshandlungen stünden dabei nicht im Vordergrund. Häufiger seien Formen seelischer Verletzungen. Die materielle Situation spielt van Aaken zufolge bei familiären Spannungen eine Rolle. "Das ist ein signifikanter Faktor." Generell könnten unsichere Bindungsverhältnisse Kinder und Jugendliche stark belasten. Die Schule sei ebenfalls oft ein Faktor, an dem sich Konflikte in Familien entzündeten.

Eltern haben überhöhte Erwartungen an ihre Kinder

Psychische Notlagen äußern sich nach Aussagen von van Aaken bei Kindern zum Beispiel in einem gestörten Sozialverhalten. Dazu zählen Schulschwänzen, nicht regelkonformes, unangepasstes Verhalten. Ein weiteres Krankheitsbild, das die psychische Notlage widerspiegeln könne, sei etwa eine Magersucht. Dies beobachtet der Mediziner häufiger in Akademikerfamilien. Dort komme es mitunter vor, dass Eltern zum Beispiel überhöhte Erwartungen in ihre Kinder setzen. Weiter können Spannungen zwischen Eltern zur seelischen Belastungsprobe für Kinder und Jugendliche werden.

 

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Heilbronn stellt bis 2021 einen leichten Rückgang bei den Inobhutnahmen fest, in denen Kinder aus den Familien geholt werden. Der Wert erreicht in dem Jahr nach Angaben von Nicole Bauder-Ade vom Amt für Familie, Jugend und Senioren das niedrigste Niveau seit 2015. Für dieses Jahr allerdings erwarte sie eine Zunahme der Fallzahlen.

Misshandlungen sind nicht nur blaue Flecken

Was Statistiken zu misshandelten Kindern angeht, befürchtet Diplom-Sozialpädagogin Martina Grön (63), dass sie nur die Spitze des Eisbergs abbilden. Die Geschäftsführerin des Kinderschutzbunds Heilbronn mahnt, dass viele beim Thema Gewalt an blaue Flecken denken. "Es fängt aber viel früher an." Anschreien oder ins Zimmer einsperren.

Es gebe eine Schwelle, ab der die Jugendämter überhaupt erst aktiv werden könnten. Über die Hotline des Kinderschutzbunds meldeten sich sehr verzweifelte Eltern, die Hilfe suchten, bevor die Situation vollends eskaliert. Corona, der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen, Inflation: "Unser Angstpegel ist viel höher als vor der Pandemie", meint Grön. Unter solchen Umständen brauche es nicht mehr viel, bis jemand einem anderen gegenüber aggressiv wird.

 
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