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Vom Lidl-Manager in Neckarsulm zum Weihnachtsbaum-Verkäufer in Brandenburg

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Christian Mai war auf dem Heilbronner Bildungscampus und als Manager bei Lidl in Neckarsulm und den USA tätig. Jetzt macht er den Familienbetrieb in Brandenburg groß – einer seiner Weihnachtsbäume geht sogar an den Bundespräsidenten.

Christian Mai, der lange Zeit in Heilbronn gelebt hat, ist jetzt Chef des Werderaner Tannenhofs vor den Toren Berlins.
Christian Mai, der lange Zeit in Heilbronn gelebt hat, ist jetzt Chef des Werderaner Tannenhofs vor den Toren Berlins.  Foto: Blass, Valerie

Christian Mai greift während der Fahrt ins Seitenfach seines VW-Busses und fördert eine angebrochene Flasche Fanta zutage. "Gehört die irgendjemandem?", fragt er, mehr an sich selbst gerichtet, denn ein potenzieller Besitzer ist nicht in Sicht. "Egal, ich hab' schon seit heute Morgen Durst", sagt er dann und trinkt in großen Schlucken.

Das wird wohl die letzte Verpflegung für viele Stunden bleiben. Es ist der zweite Samstag im Advent und Christian Mai steht unter Strom. Die Weihnachtsbaumsaison auf dem Werderaner Tannenhof vor den Toren Berlins ist in vollem Gange.


Schon am Vormittag ist der 500 Plätze umfassende Parkplatz des Hofes im kleinen Ort Werder in Brandenburg gut gefüllt, Autos mit Kennzeichen aus Berlin und dem Umland kommen im Sekundentakt nach. "Die wollen alle zu uns", kommentiert der 37-Jährige hinter dem Steuer auf der Fahrt vom Bahnhof zum Tannenhof.

5000 Menschen besuchen den Werderaner Tannenhof an diesem Advents-Wochenende

Bis zum Abend, überschlägt er, wird sich der Parkplatz wohl dreimal gefüllt und geleert haben. Das sind 1500 Autos, also rund 5000 Menschen, die auf das 70 Hektar große Gelände kommen, um sich hier ihren Weihnachtsbaum auszusuchen, selbst zu sägen und ihn einnetzen zu lassen, wie das im Fachjargon heißt.

Doch nicht nur darum geht es, der Ausflug von der Metropole in die Provinz ist gleichzeitig ein Event. Es gibt Glühwein und Grillwürste, einen Streichelzoo mit Alpakas und Hochlandrindern, eine Schlittschuhbahn, ein Karussell und zudem einen Hofladen, in dem von der Weihnachtsbaumdeko über selbstgemachte Gestecke bis zu Produkten der Marke Lieblingstanne wie Tannenpesto oder grünem Eierlikör alles verkauft wird, was man sich rund um das Thema Tanne vorstellen kann.

Erst Manager bei Lidl in Neckarsulm und den USA, jetzt Weihnachtsbaum-Verkäufer

"Wir bieten nicht nur Weihnachtsbäume an, sondern eine ganz breite Produktpalette rund um das Thema Weihnachten", sagt Christian Mai im geübten Manager-Sprech. Das kann er, denn vor seinem Leben als Weihnachtsbaum-Verkäufer in der Provinz war der promovierte Volkswirt Dr. Christian Mai zuerst Doktorand am Bildungscampus Heilbronn, danach Manager bei Lidl – erst in Neckarsulm, dann zwei Jahre lang in den USA. In dieser Zeit, sagt er, habe er viel Wertvolles gelernt, was er jetzt auf dem Hof seiner Familie anwenden könne.

"Masse verkauft Masse" zum Beispiel. Das heißt: Statt ein paar Weihnachtskugeln zum Verkauf anzubieten, wird eine ganze Palette davon hingestellt. Prozesse, Checklisten, Kennzahlen, auch das sind Begriffe, die im Gespräch häufig fallen und die auf seine Zeit bei Lidl zurückgehen, wie er sagt. Mai hat den Familienbetrieb, zu dem auch rund 150 Verkaufsstellen zwischen Berlin, Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Gera in Thüringen gehören, komplett digitalisiert, seit er vor fast fünf Jahren eingestiegen ist.

Der Betrieb war zu DDR-Zeiten eine Gärtnerei in Familienbesitz

"Er hat viele Ideen mit eingebracht", drückt sein Vater Gerald das nüchtern aus. Auch der 65-Jährige kommt eigentlich nicht aus der Landwirtschaft, sondern hat zu DDR-Zeiten Maschinenbau studiert – bis er 1990 begonnen hat, die Gärtnerei der Eltern, die im Sozialismus ein privater Betrieb war, Schritt für Schritt auf Weihnachtsbäume umzustellen. Vor fünf Jahren fiel dann die Entscheidung: Der Sohn tauschte Anzug gegen Arbeitshose und Stiefel und kehrte zurück in die Heimat, um sich auf die Übernahme des Werderaner Tannenhofes vorzubereiten. Seitdem ist viel passiert, denn der jüngere Mai ist jemand, der schnell denkt, schnell spricht und noch schneller handelt.

Er hat einen zweiten Hof gekauft, den Thüringer Tannenhof. Gemeinsam mit seiner Frau, die einen Hof in Niedersachsen betreibt, hat er die Marke Lieblingstanne gegründet. Über die Website lieblingstanne.de kann man Bäume mit Namen wie "Karla", "Peter" oder "Hilde" ordern. Konzept und Klarheit des Auftritts erinnern ein wenig an Ikea.

Als nächstes soll in Werder ein ganzjähriger Erlebnishof entstehen

Die nächsten Pläne sehen vor, bis 2026 einen Weihnachtsbaum-Erlebnishof mit großer Indoor-Gastronomie in Werder zu errichten. "Wir wollen die Tanne rund ums Jahr erlebbar machen", sagt Manager Mai. Dazu soll es ganzjährig Mitmachangebote geben: Eierbemalen zu Ostern, Kürbisschnitzen im Herbst. Außerdem müsse er "noch tiefer in die Prozesse gehen". Arbeitsabläufe optimieren, vereinheitlichen, durch Kennzahlen steuern, zählt er auf: "Das steht nächstes Jahr an."

Doch jetzt ist erstmal Weihnachtsgeschäft. Christian Mai telefoniert im Sekundentakt. "Wir brauchen noch 1500 Würste, kannst du bitte sofort losfahren", sagt er zu einem Mitarbeiter. Ein anderer ruft an, weil er dringend Unterstützung im Verkauf braucht: "Okay, ich schick dir den Tom vorbei." Zwischendurch fragt Christian Mai sich selbst: "Was wollte ich jetzt noch mal von der Natalie? Das war wichtig."

Die Weihnachtsbaumsaison ist die stressigste Zeit des Jahres

340 Telefonate habe er am Mittwoch erledigt, sagt er. An diesem Samstag, man ahnt es, könnten es noch mehr werden. Zwischen 1. November, wenn der Aufbau beginnt, und Anfang Januar, wenn alles abgebaut ist, hat Christian Mai 16-Stunden-Arbeitstage, wie er erzählt. Natürlich sei er danach "total platt". Zeit darüber nachzudenken hat er gerade keine. "So voll war der Parkplatz noch nie. Hier ist schon echt was los", sagt er. Dann klingelt das Telefon.

Zwischendurch scrollt Mai auf dem Handy. In Echtzeit sieht er, wo wie viele Bäume verkauft werden, er kann den Umsatz direkt mit den Zahlen der Vorjahre vergleichen. Auch vor Lidl- und Kaufland-Märkten im Nordosten hat der Tannenhof Verkaufsstellen. "Gute Verkäufer, schöne Bäume, Wechselgeld und Prozesse", sagt er auf die Frage, was wichtig sei. Dann klingelt es wieder. Nach 45 Minuten Interview, von denen Christian Mai die meiste Zeit parallel telefoniert hat, geht es für die Redakteurin zurück zum Bahnhof in Werder. Entgegen kommen dem VW-Bus Autokolonnen mit Berliner Kennzeichen. "Die wollen alle zu uns", sagt Mai, dann geht er ans Telefon.

Ein Weihnachtsbaum für den Bundespräsidenten

Mehr als 100.000 Weihnachtsbäume verkauft Christian Mai pro Saison im Nordosten der Republik über seine Höfe, wie er sagt. Einen davon sehen die Fernsehzuschauer bei der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Auch an dessen Amtssitz liefert der Werderaner Tannenhof. Mai bringt diesen Baum für gewöhnlich selbst dorthin, erzählt er. 

 

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