Lehrer wollen weg von Gemeinschaftsschulen
Ein Großteil der Pädagogen an Gemeinschaftsschulen berichtet laut einer Umfrage von einer hohen Arbeitsbelastung. Manche liebäugeln sogar damit, die Gemeinschaftsschule zu verlassen. Doch es gibt auch konkrete Vorschläge, um die Situation der Lehrer zu verbessern.

Der Verband Bildung und Erziehung befürchtet, dass viele Lehrer die Gemeinschaftsschulen verlassen werden - sollten sie die Chance dazu bekommen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Verband präsentiert hat. Die Lehrer hinterfragen den Angaben zufolge aber nicht das System Gemeinschaftsschule. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilt manche Einschätzung.
"Die Kollegen finden die Schulart gut, aber sie kommen mit der Arbeitsbelastung nicht zurecht", sagt Gerhard Brand. Der VBE-Landesvorsitzende sieht deshalb das Land in der Pflicht: Es müsse schnell etwas dafür tun, dass die Belastung zurückgehe und diese Schulart wieder ein attraktiver Arbeitsplatz werde - am besten schon zum kommenden Schuljahr. Er begründet dies mit der differenzierten Haltung der Pädagogen.
Lehrer wollen weg von Gemeinschaftsschulen, obwohl sie das System gut finden
An der Umfrage hätten 734 Lehrer teilgenommen, und 62 Prozent davon halten die pädagogische Grundidee der Gemeinschaftsschulen für gut, 30 Prozent stehen ihr eher kritisch gegenüber, der Rest hält sie den Ergebnissen zufolge für nicht geeignet. Die Mehrheit der Kollegen befürwortet laut VBE also das Konzept, allerdings würden insgesamt fast 57 Prozent der Befragten aufgrund der Arbeitsbelastung darüber nachdenken, die Schulart zu wechseln.
Der Verband weiß, dass es schwierig wird, mehr Personal und kleinere Klassen für Gemeinschaftsschulen zu bekommen. Er hat jedoch auch konkrete Vorschläge, um die Situation für Lehrer zu verbessern: Beispielsweise könnten die umfangreichen Lernentwicklungsberichte, die anstelle der klassischen Noten-Zeugnissen erstellt werden, in die Halbjahresgespräche mit Eltern integriert werden. Zu den weiteren Forderungen des VBE gehört, dass es mindestens zwei Deputatsstunden für zehn Schüler gibt, die gecoached werden. Außerdem brauche es mehr unterstützendes Personal in Form sogenannter multiprofessioneller Team - also Mitarbeiter, die nicht nur Lehrer sind.
Das sagt das Kultusministerium
Für das Kultusministerium ist die Gemeinschaftsschule ist "eine etablierte und erfolgreiche Schulart", die maßgeblich zur Vielfalt in der Bildungslandschaft beitrage. "Etwas mehr als 13.000 Lehrkräfte leisten für die rund 88.000 Schülerinnen und Schüler ihre engagierte Arbeit und unterstützen gemäß der VBE-Umfrage das pädagogische Konzept", sagt eine Sprecherin auf Anfrage. „Wir nehmen die berechtigten Anliegen der Gemeinschaftsschulen nicht erst seit den Ergebnissen der Umfrage mit Blick auf die Situation der Lehrkräfte und die Leistungsfähigkeit der Schule sehr ernst.“
Die genannten Punkte würden in die weiteren Überlegungen einbezogen: Das Ministerium stehe im ständigen Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern des VBE, die Themen seien bekannt. Die Sprecherin ergänzt: "Die konkreten Ergebnissen der Umfrage und die gemachten Vorschläge werden wir genau analysieren, uns intensiv damit auseinander setzen und auf die Belastungsanzeigen reagieren, wo dies möglich ist.“ Es gebe zahlreiche Überlegungen, wie das Konzept der Gemeinschaftsschule im Kontext der allgemeinen datengestützten Qualitätsentwicklung an den Schulen optimal umgesetzt werden könne. Auch die in der Studie erwähnten zusätzlichen Anforderungen wie Coaching oder Lernentwicklungsberichte fänden dabei schon Berücksichtigung.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kennt den Arbeitsdruck
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat schon mit Einführung der Gemeinschaftsschulen vor über einem Jahrzehnt darauf hingewiesen, dass für das individuelle Coaching Lehrerstunden bereitgestellt werden müssen. Dass dies nicht geschah, ist für Harald Schröder ein verheerendes Zeichen. Der GEW-Sprecher im Kreis Heilbronn geht ebenfalls davon aus, dass Kollegen die Gemeinschaftsschulen aufgrund der Belastung verlassen wollen. Seiner Einschätzung nach seien es aber nur einzelne. Dennoch: "Es muss eine Lösung geben." In der Landespolitik stoße die Forderung dort auf Gehör, wo man den Gemeinschaftsschulen positiv gegenüberstehe. Diese Abgeordneten säßen oft nicht im Finanzausschuss, sagt Harald Schröder.
In Baden-Württemberg nimmt die Diskussion wieder Fahrt auf, bei allgemeinbildenden Gymnasien zurück zum Abitur nach neun Jahren zu gehen. Der Verband Bildung und Erziehung hat eine klare Haltung: "G9 funktioniert schon", sagt der stellvertretende Landesvorsitzende, Dirk Lederle. Mit entsprechender Leistung können Jugendliche nach der Gemeinschaftsschule oder einem Abschluss an einer Realschule weitermachen, in vielen Fällen über berufliche Gymnasien, sagt Timo Feigl, Leiter des VBE-Landesreferats Gemeinschaftsschule. Der Philologenverband Baden-Württemberg erneuert unterdessen seine Kritik an Gemeinschaftsschulen: Die Konzeption der Schulart müsse auf den Prüfstand.


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