Kommt die Ausgangssperre für Heilbronn? Bummel durch das Nichts der Nacht
Unterwegs in der Heilbronner Innenstadt ab 22 Uhr: Es sind nur wenige Passanten auf der Straße. Taxi-Fahrer sind frustriert, und Döner-Restaurants beliebte Anlaufstellen. Sogar einen Fassaden-Kletterer trifft man.
Heilbronn steuert wegen der unverändert hohen Corona-Zahlen auf eine Ausgangssperre zu. Noch dürfen Menschen nach 21 Uhr unterwegs sein, trotzdem ist die Innenstadt ruhig. Fußgängerzone und die vierspurige Alle davor: Es scheint, als ob sich die Kontraste in dieser Nacht verbinden. Die breite Straße hüllt sich wie eine unsichtbare Mauer um den Kern und bewahrt ihn vor nächtlichem Trubel. Während über die Verkehrsachse zahlreiche Autos fahren, sich um halb zwölf sogar kurze Rennen liefern, ist das Zentrum mit seinen Einzelhändlern und Restaurants wie ausgestorben. Heilbronn kommt an diesem Abend auch ohne Ausgehverbot zur Ruhe.
Die vielen Kulturplakate sind verschwunden
Das kulturelle Leben in der Stadt mit ihren 126.000 Einwohnern schläft. Das zeigt gerade das Treppenhaus der zentralen Tiefgarage, in dem sonst Plakate auf vermeintliche Show-Größen hinweisen. Jetzt sind die meisten Plakatwände leer. Die wenigen verbliebenen Werbestreifen wirken wie ein Aufbäumen, auch wie ein Hoffnungsschimmer. Irgendwann kommen Konzerte und Comedy wieder.

Taxi-Fahrer bewertet die Stadt gerade als "sehr, sehr ruhig"
Weder Theaterbesucher noch Kneipengänger bevölkern das Zentrum, stattdessen bringen die Lieferdienste ein wenig Leben in die Stadt. Ein Pizzabote, auf dem Rücken ein klobiger Rucksack, radelt in die Fußgängerzone. Ein paar Fußgänger laufen zur Stadtbahn-Haltestelle. Gleich daneben parken Taxis. Erst zwei, später vier. Zu tun haben die Fahrer nichts. Muzaffer Sahin ist frustriert. Der Taxi-Fahrer sitzt in seinem Auto neben der Harmonie, die gerade nur ein verdunkelter Komplex ist. Spaß mache der Job nicht mehr. Er schüttelt den Kopf. "Absolut nicht", sagt der 57-Jährige. "Es ist sehr, sehr ruhig."
In fünfeinhalb Stunden nur 17 Euro eingenommen
Fünfeinhalb Stunden ist Muzaffer Sahin im Dienst, zwei Fahrten hatte er, reingekommen sind 17 Euro. Er kaufte sich Zigaretten, holte sich an einer Tankstelle einen Kaffee. Jetzt ist der Umsatz wieder weg. "Es ist nichts geblieben." Mit einer Ausgangssperre würde es für ihn nicht besser. Die Ausgaben bleiben, sagt er. "Wer zahlt sie?" Seit 25 Jahren ist er im Geschäft. Vieles hat er erlebt, aber all das sei nichts im Vergleich zur Situation im Corona-Jahr 2020. "So schlimm war es noch nie."
Ein paar Hundert Meter entfernt führt ein Mann am Neckar Selbstgespräche. Direkt gegenüber könnte das Nachtleben toben. Die Neckarmeile ist Anlaufstelle für Studenten und Heilbronner, die gesehen werden wollen. Eine Meile kommt zwar nicht zusammen, aber angepriesen wird dieser Innenstadt-Abschnitt als "größte Gastromeile am Fluss in Süddeutschland". Auf einer Länge von 700 Metern liegen 20 Restaurants und Kneipen, zwei Hotels. Im Corona-Winter sind die Tische und Stühle außen angekettet. Plastik-Tischdecken, einst weiß und einladend, werden jeden Tag brauner. Irgendwo im Dunkeln rascheln Vögel. Radler nutzen es, endlich einmal durch die Neckarmeile schießen zu können, ohne ständig mit Kellnern oder Gästen im Außenbereich aneinanderzugeraten. Dönerbuden zählen zu so später Stunde zu den wenigen Anlaufstellen.

Mitarbeiter einer Döner-Bude haben viel zu tun
Sehmus Dogan ist im Stress, achtet er doch auf die Party-Pizza, die im Ofen die richtige Farbe bekommt. "Es ist nichts los", meint Sehmus Dogan und blickt ins Freie. Sein Laden befindet sich am Rand der Fußgängerzone unweit vom K3, dem Büroturm mit seinen Kinos, Geschäften und Theater. "Es ist eine Katastrophe", sagt Sehmus Dogan, der manches nicht versteht. Die Schulen sind offen, die Busse seien doch voll, daneben gebe es viele Einschränkungen. Die Folgen seien katastrophal. "Die machen die Stadtmitte kaputt."
Fassaden-Kletterer spricht über Verbote

Während in der Allee zwei Polizisten mit einem Autofahrer reden, klettert um die Ecke Benjamin an der Fassade eines Einkaufszentrums hoch. Mal hält er sich in zweieinhalb, mal in drei Meter Höhe an kleinen Ritzen fest. Seinen Nachnamen will der 33-Jährige nicht verraten. Weil die Kletterarena mit den zahlreichen Wänden geschlossen ist, geht er derzeit im Freien nach oben, auch an Brücken ist er unterwegs. Die Einschränkungen sind für ihn in Ordnung, die Ausgangssperre wäre es auch. Für ihn ist das konsequent, wenn man sonst die Infiziertenzahlen nicht herunter bekommt. Es sei wie in der Schule. "Manches muss man verbieten." Ihm tun aber die Alleinstehenden leid. "Für die wäre es schwer." Benjamin würde es nicht langweilig werden, sollte er nachts nicht mehr raus dürfen. "Ich bin Lehrer, es gibt immer etwas vorzubereiten", sagt der Mann, der nachts an Fassaden klettert. Als einer der wenigen, die überhaupt noch draußen sind.