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Kinder und Jugendliche sind nicht mehr so fit wie vor einem Jahr

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Wegen Corona war über Monate weder Schulsport noch Turnverein möglich. Die Auswirkungen werden nun ersichtlich. Auch in der Region Heilbronn.

Fast eine halbe Stunde weniger Sport am Tag, aber eine Stunde mehr vor Bildschirmen. Die Folgen der Corona-Pandemie zeigen sich jetzt bei Fitnesstests für Kinder im Ländle. Das merken ebenfalls die Verantwortlichen in der Region.

Kinder bewegen sich langsamer und haben weniger Ausdauer

Kinder in Baden-Württemberg haben infolge der coronabedingten Ausfälle beim Schulsport und Turnvereinen an Fitness eingebüßt. Das veröffentlichte „Fitnessbarometer“ 2021 der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg zeigt einen Negativtrend hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten. So waren Kinder schon nach neun Monaten Pandemie, also Ende vergangenen Jahres, tendenziell langsamer und weniger ausdauernd. Bei Kraft, Beweglichkeit und Koordination sei das „(noch) nicht der Fall“, hieß es. Zahlreiche Online-Bewegungsprogramme für zu Hause könnten bei diesen Faktoren den Wegfall anderer Sportmöglichkeiten aufgefangen beziehungsweise die Fertigkeiten sogar teilweise verbessert haben.

Diese Erfahrung machen Schulen in der Region

Diese Einschätzung teilen Schulen in der Region. „Die Fitten haben sich während des Lockdowns fit gehalten“, berichtet Marco Haaf. „Wer ungern Sport macht, dem fehlte der Schulsport schon, um in Bewegung zu bleiben“, weiß der Schulleiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Neckarsulm, der zugleich als Sprecher die Direktoren in der Region Heilbronn vertritt. Wichtig sei in den kommenden Wochen, nicht auf die Noten zu schauen. „Es muss darum gehen, den Spaß an Bewegung zu vermitteln“, sagt Marco Haaf. An seinem Gymnasium beginnt in Kürze auch wieder der Schwimm-Unterricht. Was im Sportunterricht erlaubt ist, hängt von der Inzidenz ab.

Beispielsweise ist es im Landkreis Heilbronn bald möglich, in den Hallen wieder Sport mit Kontakt zu machen. In der Stadt Heilbronn dürfen Schulen zwar in die Hallen, allerdings nur ohne Kontakt, sagt Marco Haaf. Wo und wie regelmäßig Schulsport möglich ist, hänge auch von den Kommunen ab, weiß Marco Haaf. Sie müssten schließlich die Hallen regelmäßig reinigen. Für die Schulen in Neckarsulm gebe es klare Regeln seitens der Stadt, wie viele Kinder und Jugendlichen in die Umkleideräume dürfen.


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Hunderte Kinder kehren den Klubs den Rücken

„Im Jahr 2020 sind in den Heilbronner Sportvereinen rund 630 Kinder und Jugendliche ausgetreten“, sagt Herbert Tabler, Vorsitzender der TG Böckingen und Vorsitzender des Stadtverbands für Sport Heilbronn. „Leider muss ich in meinem Verein feststellen, dass sich die Mitgliederverluste auch im laufenden Jahr fortsetzen.“ Als im vergangenen Jahr für eine kurze Zeit der normale Sportbetrieb laufen konnte, hätten Übungsleiter und Trainer bei den Kindern aller Altersgruppen „erhebliche Defizite festgestellt“. Hinzu kommt: Feststellen müsse man auch, dass im Wettkampfbereich durch die eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten fast zwei wichtige Trainingsjahre verloren gegangen seien. „Besonders für unsere Kinder und Jugendliche ist es enorm wichtig, dass so schnell wie möglich alle Sportstätten wieder geöffnet werden können.“

In Hohenlohe ist von "dramatischen Rückgängen" die Rede

Auch Barbara Eckle, Präsidentin des Sportkreis Hohenlohe, sieht in ihren Vereinen, dass die Kinder definitiv weniger Sport gemacht haben. Bis zu zehn Prozent der Kinder- und Jungendlichen seien im vergangenen Jahr aus den Sportvereinen ausgetreten, erzählt Eckle und spricht von „dramatischen Rückgängen in dieser Altersgruppe“. Was man auch nicht vergessen sollte sei die soziale Komponente beim Sport sowie die Erziehung. „In Sportgruppen lernen die Kinder ganz nebenbei,  Regeln einzuhalten, zuzuhören oder pünktlich zu sein“, erklärt die Sportkreispräsidentin. Mit den Vorgaben für Vereine und Sportarten bei niedriger Inzidenz ist Eckle nicht glücklich. „Es gilt auch hier eine Testpflicht“, erzählt sie. „Dabei machen die Kinder das schon in der Schule, warum kann man den Test nicht auch für den Sport am Mittag nutzen?“ Auch den organisatorische Aufwand einer Testpflicht sieht sie als Hürde auf dem Weg zur sportlichen Normalität bei Kindern.

Die Ergebnisse knüpfen an andere Studien zu Corona-Folgen an, sind den Angaben zufolge aber die ersten für Baden-Württemberg. Die Stiftung untersucht seit 2012 mit Sportwissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) die Fitness von Drei- bis Zehnjährigen im Südwesten. Erst in den kommenden Jahren seien Aussagen über die nachhaltigen Auswirkungen der Pandemie auf die Fitness der Kinder möglich, sagte Prof. Klaus Bös vom KIT. Aber schon jetzt müssten wieder angeleitete Bewegungsangebote im Turn- und Sportverein sowie in der Schule im Sportunterricht möglich werden. „Sonst werden die Ergebnisse im nächsten Jahr verheerend sein.“

Verbände stellen Angebote vor

Im ungewöhnlich warmen Corona-Frühjahr 2020 hätten Kinder zwar ihren natürlichen Bewegungsdrang ungehindert ausleben können bei Fahrradtouren mit der Familie und Waldspaziergängen, sagte seine Kollegin Claudia Niessner. Doch die Schließung der Turn- und Sportvereine im Lockdown habe im Schnitt 28,5 Minuten weniger organisierten Sport pro Tag bedeutet. „Gleichzeitig nahm die Bildschirmmedien-Zeit um zirka eine Stunde pro Tag zu.“ Um auch zu Hause aktiv zu bleiben, haben die Stiftung, der Badische Turner-Bund und der Schwäbische Turnerbund mehrere Angebote erarbeitet.

Doch die Pandemie hat auch einen Mitgliederrückgang ausgelöst. Der Schwäbische Turnerbund berichtete jüngst von einem Minus von rund 4,5 Prozent oder rund 32.000 Mitgliedern. Besonders stark sei der Verlust in der Altersgruppe von null bis sechs Jahren mit 15 Prozent gewesen.

Nach der seit Montag gültigen Corona-Verordnung ist Schulsport bei einer Inzidenz unter 35 sowohl im Freien als auch in der Sporthalle möglich. Bei einer Inzidenz zwischen 35 und 50 darf in Sporthallen nur kontaktarmer Sport unterrichtet werden. Liegt die Inzidenz zwischen 50 und 100 ist nach Angaben des Kultusministeriums mit wenigen Ausnahmen Sportunterricht nur noch im Freien erlaubt.

Organisierter Vereinssport darf auch außerhalb von Sportanlagen und Sportstätten im Freien mit Gruppen von bis zu 20 Personen stattfinden. Bei sinkender Inzidenz unter 100 in einem Stadt- oder Landkreis ist nach zwei Wochen auch kontaktarmer Freizeit- und Amateursport in Innenräumen möglich - allerdings mit einer Begrenzung auf eine Person je 20 Quadratmetern. Außerdem gilt die Testpflicht oder die Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesungsnachweises. Unter anderem der Landessportverband hatte kritisiert, dass auch Kinder zwischen 6 und 14 Jahren für Sport im Freien einen tagesaktuellen Corona-Test benötigten. Dies sei „nicht praxistauglich und damit für den Sport nicht akzeptabel“. Nach der aktuellen Verordnung reicht nun für Schüler ein von ihrer Schule bescheinigter negativer Test aus, der maximal 60 Stunden zurückliegt.


Meinung: In Bewegung
Von Simon Gajer

Immer mehr zeigt sich, wie sich der Lockdown auf Kinder und Jugendliche ausgewirkt hat. Schulen schlagen Alarm, weil es Familien gibt, die ihre Kinder seit über einem Jahr nicht mehr zum Präsenzunterricht lassen - die Angst vor Corona ist bei sehr religiösen Familien nur ein vorgeschobenes Argument. Auch Lerndefizite treten zutage, und die Landesregierung hat jetzt ein Lernprogramm auf den Weg gebracht: Studenten sollen in den Schulen Lernlücken schließen. Vom Projekt "Bridge the Gap" dürfte in der Region wenig ankommen, denn die Lehramtsstudenten sollen im Umkreis ihrer Hochschulen tätig sein. Keine Überraschung ist es, dass der Nachwuchs auch an Fitness eingebüßt hat. Wenn Sportvereine zu Online-Angeboten verdammt und Schulen geschlossen sind, brauchen Kinder und Jugendliche eine sehr große Selbstdisziplin, um sich draußen zu bewegen.

Im Verein ist Sport am Schönsten: Das Motto des Deutschen Olympischen Sportbundes ist aktueller denn je, gerade Gemeinschaft macht Spaß und motiviert. Nicht jedes Kind ist in einem Sportklub aktiv. Hier ist Sportunterricht wichtig, damit sie wenigstens in der Schule schwitzen. Andere Angebote, auch die von Musikvereinen, müssen nachziehen, um dem Nachwuchs endlich wieder eine echte Abwechslung zu bieten. Das ist die Gesellschaft den Kindern schuldig.

 

 

 

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Kommentare

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am 09.06.2021 16:30 Uhr

...aber hauptsache Spielplätze abbauen. Was wird denn Kindern und Jugendlichen kostenfrei angeboten?
Vielleicht kann das mal von der Hst recherchiert werden.

Grünflächen weg, alles grau in grau, teure Stellplätze, enge Straßen, Heilbronn und Umgebung ist nicht sehr familienfreundlich, sehr schade.

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