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"Kinder machen sich mehr Sorgen"

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Die Heilbronner Kinderpsychologin Ulrike Fink-Spieler spricht über belastete Kinder in der Corona-Zeit und zeigt auf, welche Hilfen es für sie gibt.

Von unserem Kinderreporter Konstantin Fleig
Zu Hause sein, warten, hoffen: Der Regenbogen am Fenster wurde gleich zu Pandemiebeginn zum Symbol für die Kinder.
Foto: nataliaderiabina/stock.adobe.com
Zu Hause sein, warten, hoffen: Der Regenbogen am Fenster wurde gleich zu Pandemiebeginn zum Symbol für die Kinder. Foto: nataliaderiabina/stock.adobe.com  Foto: nataliaderiabina/stock.adobe.com

Selten kommen in dieser Krise jene zu Wort, die doch besonders stark von ihr betroffen sind: wir Kinder. Schulschließungen, fehlende soziale Kontakte wie Freunde, Sportvereine oder Musikstunden begleiten uns. Wie Kinder und Jugendliche mit den Entbehrungen klarkommen, darüber hat sich unser Kinderreporter Konstantin (13), der die siebte Klasse des Heilbronner Theodor-Heuss-Gymnasiums besucht, mit der Kinderpsychologin Ulrike Fink-Spieler unterhalten.

 

Lässt sich aus Ihrer Sicht eine psychische Belastung von Kindern feststellen?

Ulrike Fink-Spieler: Ja, ganz klar. Ein Drittel aller Kinder weist Belastungen während dieser schwierigen Zeit auf. Das wurde in einer Studie namens COPSY untersucht. Wobei man sagen muss, dass auch schon vor Corona 17 Prozent der Kinder belastet waren. Die Zahl ist also noch einmal deutlich weiter gestiegen.

 


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Wie äußert sich die Belastung denn?

Fink-Spieler: Kinder machen sich mehr Sorgen, haben Schlafstörungen und sind traurig beziehungsweise hoffnungslos. Viele haben Symptome der Depression, das geht bis hin zu Suizidversuchen.

 

Wie kommen Kinder mit der ständigen Ausnahmesituation und den Hygieneregeln in der Öffentlichkeit klar?

Fink-Spieler: Es ist sehr schwierig für Kinder, dass sie nicht einfach machen können, wozu sie Lust haben. Ob Kinder die Hygieneregeln akzeptieren, hängt davon ab, ob sie diese verstehen. Auch was die Eltern vorleben, könnte wichtig sein. Es ist ein bisschen wie mit dem Fahrradhelm: Die einen sehen ein, dass er wichtig ist und tragen ihn, die anderen nicht. Wenn Kinder noch klein sind, muss man ihnen die Regeln erklären.

 

Wie verkraften Kinder die Schulschließung?

Fink-Spieler: Das hängt von vielen Faktoren ab. Wahrscheinlich weiß man das erst später ganz genau, wenn die Pandemie vorbei ist. Fakt ist aber, dass die Kinder weniger lernen. Früher haben sie ungefähr 7,4 Stunden pro Tag gelernt. Das ist jetzt auf 3,6 Stunden zurückgegangen. Diese Jahrgänge lernen also weniger, und es entstehen Lücken, die irgendwie geschlossen werden müssen. Allerdings habe ich auch von älteren Schülern gehört, dass ihnen das Zu-Hause-Lernen gefällt, da sie weniger leicht abgelenkt werden. Übrigens hat sich das Essverhalten der Kinder verschlechtert.

 


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Machen Politiker einen Fehler, wenn sie die Schulen für längere Zeit schließen?

Fink-Spieler: Das ist ganz schwierig, es hat auch viel mit Verantwortung zu tun. Gerade auch, weil man weiß, dass Kinder sich ebenfalls mit Covid infizieren und andere anstecken können.

 

Wie verkraften Kinder es, dass sie ihre Hobbys, Mannschaftssportarten, Orchester, AGs in der Schule, kreative Kurse und all die anderen Freizeitangebote nicht ausüben können?

Fink-Spieler: Das gehört zum Gesamtpaket dazu, zu dieser Zeit des Entbehrens. Aber der Mensch ist, und das ist das Positive an dem Ganzen, in der Lage, Krisenzeiten zu überstehen und aus diesen gut herauszukommen. Und man lernt andere Dinge kennen, die man trotz Corona machen kann. Es ist also schwierig, aber man kann es überstehen.

 

Werden dauerhafte Schäden bleiben?

Fink-Spieler: Wie gesagt sind ein Drittel der Kinder psychisch auffällig, und diese Kinder brauchen Hilfe. Nun gibt es die Gefahr, dass manche Familien, vor allem die sozial schwachen, die Hilfen nicht wahrnehmen, und dann können dauerhafte Schäden entstehen. Eltern haben da eine Fürsorgepflicht.

 


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Wie kann man den Kindern helfen?

 Foto: privat

Fink-Spieler: Es gibt diverse Hilfsangebote, die wahrscheinlich auch noch ausgebaut werden. Man kann sich – je nachdem, wie alt man ist, allein oder gemeinsam mit den Eltern – an Sozialarbeiter, Psychologen, Ärzte und an viele andere wenden. Es gibt auch eine Telefon-Hotline namens "Nummer gegen Kummer", bei der Eltern, aber auch Kinder und Jugendliche selbst anrufen können. Dort sitzen ausgebildete Leute, die einem im Zweifelsfall sagen, wohin man sich noch wenden sollte. Außerdem muss man sich selber eingestehen, dass man Probleme hat. Ganz wichtig ist auch noch: Bewegung. Sogar das kann schon helfen.

 

Was lernen wir aus der Krise?

Fink-Spieler: Manchmal frage ich Kinder, was die Krise für sie positiv verändert hat. Da wird dann sowas gesagt wie, dass man sich innerhalb der Familie viel mehr unterhält und mehr Spiele zusammen spielt. Und dass es schön ist, mal nicht so verplant zu sein. Dass man mal nicht von Hobby zu Hobby rennt. Man schätzt alles mehr wert und sieht auch, welche Freunde zu einem halten und welche nicht. Viele fanden Schule früher blöd und freuen sich jetzt darauf. Wir lernen, zu verzichten, und genau das können wir dann auch für die Klimakrise mitnehmen, denn diese Fähigkeiten, zu verzichten, sind wichtig. Und natürlich können wir, wenn wir diese Krise überwunden haben, stolz sein.

 

Konkrete Hilfe

Kinder und Jugendliche, denen es nicht gut geht, können sich zum Beispiel an die Nummer gegen Kummer wenden, Telefon 116 111, Website: www.nummergegenkummer.de

Zur Person

Ulrike Fink-Spieler (65) wohnt in Heilbronn und ist seit Kurzem im Ruhestand. Die Diplom-Psychologin hat zunächst an der Tübinger und die vergangenen 25 Jahre an der Heilbronner Kinderklinik gearbeitet. Arbeitsschwerpunkte waren die Psychosomatik und die psychologische Betreuung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher und deren Familien.

 
 

Kommentar: Hilfe, bitte!

Von unserem Kinderreporter Konstantin Fleig

Natürlich schließt niemand gern die Schulen, und alle Politiker bekunden ihr Mitleid gegenüber den Schülern und sagen, dass sie verschiedene Förderprojekte geplant haben und so weiter. Das sind alles tolle Bemühungen, doch wird das ausreichen, um die enormen Schäden wieder gutzumachen? Ich denke nicht.

Meiner Generation fehlen ganze eineinhalb Schuljahre. Dieses Schuljahr waren wir sogar noch weniger in der Schule als letztes Jahr. Unterricht im Freien wäre eine gute Möglichkeit gewesen, ähnlich wie in Spanien – mit Abstand und vielleicht auch mit Maske. Hauptsache in Präsenz. Es muss eine Lösung her, wie man auch bei hohen Inzidenzen in der Schule sein kann, denn die Schulen ewig lange zu schließen, ist unverantwortlich. Kinder brauchen dieses soziale Zusammenkommen mit den Mitschülern und den Lehren.

Ich denke, dass es im nächsten Schuljahr ausreichend Hilfe für alle Schüler geben muss. Man sollte durch Diagnosetests herausfinden, wo jeder Lücken hat, und diese sollten dann durch individuelle Förderung geschlossen werden. Es wäre schön, wenn diese Nachhilfe auch die seelischen Schäden beheben würde.

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