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Kernkraftwerk Neckarwestheim wird kein Comeback erleben

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Als letzter Reaktor Baden-Württembergs wird GKN 2 im Kernkraftwerk Neckarwestheim planmäßig Ende 2022 abgeschaltet. Auf EU-Ebene könnte die Atomkraft jedoch einen neuen Aufwind erleben: Die EU-Kommission will Atom und Erdgas als nachhaltige Investition kennzeichnen. Ein Grünen-Politiker kämpft nun dagegen.

1976 ging der erste Reaktor in Neckarwestheim ans Netz. Nach dem Atomunfall in Fukushima 2011 wurde er abgeschaltet und zurückgebaut. Zu sehen ist hier das Maschinenhaus mit der früheren Turbinenhülle in orange.
Foto: Archiv/Veigel
1976 ging der erste Reaktor in Neckarwestheim ans Netz. Nach dem Atomunfall in Fukushima 2011 wurde er abgeschaltet und zurückgebaut. Zu sehen ist hier das Maschinenhaus mit der früheren Turbinenhülle in orange. Foto: Archiv/Veigel  Foto: Veigel

Um die Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen, müssen die Emissionen der Menschheit drastisch sinken. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen einige Länder künftig verstärkt auf Atomkraft setzen. Denn Kernkraftwerke stoßen im Vergleich zu Kohlekraftwerken im Betrieb weniger CO2-Emissionen aus.

Leuchtendes Beispiel ist Frankreich, das gut 70 Prozent seines Stroms durch Kernenergie erzeugt und den Ausstieg immer wieder verschoben hat. Der störanfällige Meiler Cattenom kurz hinter der saarländischen Grenze soll etwa erst 2046 vom Netz gehen. Tschechien und Großbritannien wollen die Atomkraft ebenfalls ausbauen, um die Klimaziele zu erreichen.

Investitionen in Kernkraftwerke kämen dem Bau von Windrädern und Solaranlagen gleich

Die EU-Kommission hat die Debatte nun neu entfacht. Denn Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen will Kernenergie und Erdgas in die neue EU-Taxonomie aufnehmen. Es brauche "Kernenergie als stabile Quelle - und natürlich übergangsweise Erdgas", erklärte sie nach dem EU-Gipfel am 22. Oktober. Die Taxonomie ist eine Art Leitfaden für nachhaltige Investitionen. Würden Atom und Gas aufgenommen, würden Investitionen in diese Techniken als nachhaltig gelten.

Davor warnt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. "Investitionen in Atomkraft und Gas bekämen fast das gleiche Nachhaltigkeitslabel wie der Bau von Windrädern und Solaranlagen." Deshalb hat er eine Petition gestartet, um die beiden Stromquellen aus der EU-Verordnung zu verbannen. "Ist eine Energiequelle nicht Teil der EU-Taxonomie, dann wird sie nicht verboten, aber ihre Finanzierung ungleich schwieriger." Schuld ist laut Giegold Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Die Bundesregierung ist beim letzten EU-Gipfel umgekippt und hat ihren Widerstand gegen das Greenwashing der Atomkraft aufgegeben."

Bericht lässt Reaktorkatastrophen und Endlagerproblem außer Acht

Anfangs hatte sich das Europaparlament noch erfolgreich gegen die Aufnahme von Atom und Gas in die Taxonomie gewehrt. Das Joint Research Center (JRC) in Karlsruhe wurde beauftragt, in einem Bericht darzulegen, ob die Atomkraft als Energiequelle harmlos ist. Das Problem: Das JRC war ursprünglich für die Nuklearforschung gegründet worden. In seinem Bericht gab das Zentrum grünes Licht.

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung äußerte daraufhin deutliche Kritik: Bei seiner Bewertung hat das JRC nämlich weder Reaktorunfälle noch die Endlagerung von Atommüll miteinbezogen. Damit sei das Gutachten "unvollständig". Grundsätze der wissenschaftlichen Arbeit würden zudem "nicht korrekt berücksichtigt", so das Bundesamt.

 

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Giegold: Merkel hat Frankreich ein "großes Abschiedsgeschenk" gemacht

Für Frankreich war das Gutachten dennoch ausschlaggebend, die Atomenergie in die Taxonomie aufzunehmen, erklärt Sven Giegold auf Anfrage. Vergangene Woche habe Frankreich im Rat darauf gedrängt, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag für die Taxonomie zügig vorlegt, inklusive Atom und Gas. "Frau Merkel hätte diesem Vorschlag vehement widersprechen müssen", sagt Giegold.

Doch das habe Merkel nicht getan und Frankreich damit ein "großes Abschiedsgeschenk" gemacht. Die Kennzeichnung von Erdgas als nachhaltige Energiequelle nutze dagegen der Bundesrepublik. "Deutschland und die GroKo haben sich immer für die Aufnahme von Erdgas eingesetzt." Das liege vor allem an der Pipeline Nordstream 2, durch die bald Erdgas in die Bundesrepublik fließt.

GKN 2 geht als einer der letzten Reaktoren vom Netz

"Man kann eigentlich nur den Kopf schütteln", sagt Franz Wagner, Sprecher des Bunds der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN). Deutschland und Frankreich hätten einen "dreckigen Deal" miteinander gemacht. "Es ist fatal, dass die jetzige Bundesregierung der künftigen derart vorgreift." Der politische Streit unterminiere zudem die Seriosität der Taxonomie.

Von Investitionen in die Atomenergie hat die Bundesrepublik ohnehin keinen Nutzen. Sechs Meiler sind noch am Netz, die rund 12 Prozent des deutschen Stroms erzeugen. Bis Ende Dezember werden drei Kraftwerke vom Netz gehen. Bis Ende 2022 werden auch die letzten Reaktoren Emsland (Niedersachsen), Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (GKN II) abgeschaltet.

Für Baden-Württemberg ist die Atomenergie derzeit noch wichtig: 2017 machte Kernenergie einen Anteil von 30,4 Prozent am Strommix im Land aus, 2019 waren es 36,8 Prozent. Das Landesumweltministerium gibt dennoch Entwarnung: Die Abschaltung von Neckarwestheim werde durch den Ausbau erneuerbarer Energien, mehr Energieeffizienz, Stromimporte und die Kohlekraftwerke im Land aufgefangen.

EnBW bekräftigt: Frage nach längeren Laufzeiten stellt sich nicht

Ein Comeback der Kernenergie wird es daher in der Region nicht geben. Die EnBW betreibt mit Block 2 in Neckarwestheim das letzte aktive Kernkraftwerk in Baden-Württemberg. "Aber auch diese Anlage wird nach Atomgesetz spätestens am 31. Dezember 2022 endgültig abgeschaltet", erklärt Sprecherin Melanie Bauer.

Die beiden anderen Kraftwerke in Philippsburg und Obrigheim befänden sich "im teilweise bereits weit fortgeschrittenen Rückbau". Auch die Stilllegung von Neckarwestheim sei seit 2016 beantragt und werde wohl noch vor der Abschaltung genehmigt, so die Sprecherin. "Die Frage nach der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke sowie weitere hypothetische Fragestellungen in diesem Kontext stellen sich deshalb für die EnBW nicht." Ähnlich hatten sich die übrigen Kraftwerksbetreiber RWE und Eon bereits geäußert.

Kraftwerksumstellung auf Erdgas reduziert CO2-Ausstoß am Standort Heilbronn um die Hälfte

Erdgas sieht die EnBW dagegen als Brückentechnologie. "Gaskraftwerke können flexibel gesteuert werden und stellen zu jedem Zeitpunkt Energie zur Verfügung", sagt Bauer. Das sei eine wichtige Ergänzung zur Stromerzeugung aus Wind und Sonne, die naturgemäß Schwankungen unterliegt.

Durch den Wechsel von Kohle zu Gas, wie er für das Kraftwerk Heilbronn geplant ist, würden die CO2-Emissionen um die Hälfte sinken. Die Kraftwerke würden so umgebaut, dass künftig Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen verbrannt werden kann. Erst dann seien sie laut EU-Taxonomie "vollumfänglich nachhaltig".

Experte kritisiert wissenschaftlichen Anstrich der EU-Taxonomie

Generell sei eine Rückkehr der Atomkraft wirtschaftlich nicht tragbar, erklärt Erik Gawel, Leiter des Departments Ökonomie am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. "Die angebliche Nachhaltigkeit der Kernkraft wird ausschließlich auf den CO2-Ausstoß gestützt."

Ohne staatliche Unterstützung und die Freistellung von Haftungen sei die Atomkraft "nicht mehr wirtschaftlich betreibbar". Problematisch findet Gawel, wenn mit der Taxonomie der Eindruck entstehe, die Wissenschaft deklariere die Atomkraft als nachhaltig. "Letztlich ist es eben doch eine politische Entscheidung."

Kommission könnte Vorschlag am 1. Dezember vorlegen

Viel Zeit, um Atom und Gas rauszustreichen, bleibt nicht mehr. Am 1. Dezember will die Kommission ihren Vorschlag vorlegen. Giegold setzt darauf, den Termin zu vertagen, damit die neue deutsche Bundesregierung ihr Veto einlegt.

Andernfalls brauche es eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten. "Und die gibt es nicht", sagt Giegold.

 
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