Ukrainer und Russen in der Region: Kein Graben, aber feine Risse
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine steht die Welt Kopf. Wie wirkt sich das auf das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern in der Region aus? Diese Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zählt das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg 273 Straftaten in dem Zusammenhang (Stand Mitte Juli). Der Großteil seien Sachbeschädigungen, Beleidigungen, aber auch Bedrohungen und das Billigen von Straftaten, sagt LKA-Sprecher Jürgen Glodek. Es handelt sich weiter um zwölf Gewalt- und 43 Propagandadelikte. In der Region sind der Polizei derartige Vorkommnisse bekannt - wenn auch nur wenige. Sie lassen kaum Rückschlüsse auf das Verhältnis von Russen und Ukrainern hier zu.
Reifen zerstochen
Die Zahl der Polizei bekannten Vorfälle beträgt etwa zehn, sagt Carsten Diemer, Sprecher des Heilbronner Polizeipräsidiums. In einem Fall seien in Heilbronn bei einem Auto mit ukrainischem Kennzeichen die Reifen aufgeschlitzt worden und die unbekannten Täter sprühten ein Z auf den Wagen. Der Buchstabe symbolisiert Unterstützung für Putin und dessen Armee. Zu den Vorkommnissen gehört aber auch ein Disput unter Bekannten, die zu tief ins Glas geschaut haben und in Streit geraten, so dass die Polizei gerufen wurde.
Die Aussagekraft solcher Erhebungen ist beschränkt. Der Pass von Beteiligten sagt nichts über die Hintergründe eines Vorfalls aus. Nicht jeder eskalierende Familienstreit, bei dem Angehörige beider Nationalitäten anwesend sind, ist politisch motiviert.
Antiukrainische Taten überwiegen
Das LKA in Stuttgart hat wie andere Landeskriminalämter in Deutschland eine "Informationssammelstelle Ukraine" eingerichtet. Sie soll zielgerichtet Informationen zu besonderen Vorkommnissen zusammentragen.
Sind bei Straftaten die Geschädigten bekannt, wird deren Staatsangehörigkeit erfasst, teilt Glodek mit. Demnach sind im Land drei Menschen deutsch-russischer Staatsangehörigkeit Opfer geworden; bei 35 Straftaten sind die Opfer ukrainische Staatsangehörige.
Anfeindungen bei Demos in Heilbronn
Wie es um das Miteinander der Menschen in der Region bestellt ist, lässt sich schwer sagen. Carsten Diemer geht davon aus, dass nicht jede Straftat in dem Zusammenhang bei der Polizei angezeigt wird.
"Bei der Polizei haben wir keine Anzeige gemacht. Was soll das bringen?", sagt beispielsweise Anastasia Kosak. Die ehemalige Mitarbeiterin in der Forschung von Unilever ist in Oedheim aufgewachsen, ihre Eltern sind während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt worden. Den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt sie scharf. Sie beteiligt sich an regelmäßigen Demonstrationen und Kundgebungen in Heilbronn. Dabei seien Beleidigungen und Anfeindungen von Putin-Anhängern an der Tagesordnung. Demo-Teilnehmer würden als Nazis beschimpft und beleidigt. "Wir sollen verschwinden, hieß es." Mancher strecke den Mittelfinger gegen sie.
An der Kasse im Supermarkt bleiben sie stumm
Juri Rüb führt mit seiner Frau den R-Markt in Heilbronn. "Ich bin Russlanddeutscher", sagt der 48-Jährige. Dass sich das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern verändert hat, stellt er nicht fest.
An der Sprache höre man, woher jemand komme, erzählt Rüb. Wenn in der Schlange an der Kasse ein Kunde aus der Ukraine sei, blieben alle anderen stumm. "Das ist aber nicht böse gemeint." Die Zurückhaltung habe mehr damit zu tun, dass keiner etwas falsch machen möchte, vermutet er. Die Leute seien verunsichert. Rüb ist überzeugt, dass die absolute Mehrheit der Russlanddeutschen so wie er gegen den Krieg sei. "Es muss andere, friedliche Möglichkeiten geben, den Konflikt zu lösen."
Ein 60 Jahre alter Geschäftsmann aus Heilbronn, der nicht namentlich genannt werden möchte, hat beruflich viele Kontakte zu Russlanddeutschen. Er sagt: "Viele von ihnen schimpfen heftig über Ukrainer." Komme der Krieg zur Sprache, reagierten viele, nicht alle, verbal sofort aggressiv.
Denken in Nationalitäten wird abgelehnt
Von Anfeindungen oder Mobbing von Kindern hat sie gehört, sagt Elena Pykhonin (40). Sie selbst habe aber nichts dergleichen erlebt. Die gebürtige Russin lebt in Heilbronn und hilft geflüchteten Ukrainern. Im Verein "Heilbronn zeigt Herz" spielten Nationalitäten keine Rolle. Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenarbeiten, sei im Jahr 2022 absolut normal. "Durch nationalistisches Denken entstehen doch erst Probleme und Kriege."
BKA sammelt Infos
Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sind laut Bundesinnenministerium Hunderte Straftaten mit Bezug zum Krieg registriert worden. In etwas mehr als 700 Fällen handelte es sich um antirussische Vorkommnisse; in knapp 600 Fällen waren die Taten gegen die Ukraine gerichtet. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat eigens dafür die Informationssammelstelle "Isa Kiew" eingerichtet.