Katholiken aus der Region: Wir sind nicht mehr Papst
Missbrauch und Vertuschung in der katholischen Kirche: Gläubige aus der Region sprechen von einem Super-Gau, sind zornig und bitter enttäuscht. Wenige zeigen Verständnis für den alten Papst, der offenbar gelogen hat.

Katholiken sind tief erschüttert, selbst Außenstehenden verschlägt es die Sprache: Nicht genug, dass Pfarrer Kinder missbrauchen. Die Amtskirche hat solche Verbrechen ignoriert, zu vertuschen versucht - bis hinauf zu Papst Benedikt XVI. Ein aktuelles Gutachten überführt ihn sogar der Lüge. Auch in der Region Heilbronn hadern viele Gläubige mit Joseph Ratzinger, manche stellen "das ganze System" in Frage, andere sehen es nicht ganz so hart.
Skatbruder von Ratzinger aus Bad Friedrichshall
Der gut vernetzte Michael Kutruff aus Bad Friedrichshall hat Ratzinger einst über ein deutsch-israelisches Austauschprogramm kennengelernt und mit dem späteren Papst sogar "Skat geklopft". Der heute 70-Jährige nennt den Theologieprofessor einen "begnadeten Spieler und Denker, menschlich, bescheiden, aber in Glaubensfragen knallhart. Der hat immer seine Kirche verteidigt und wollte nicht, dass ihr Bild beschädigt wird". Gleichzeitig habe er sich "immer vor seine Leute gestellt", habe so aber Täter gedeckt.
Monsignore hält zum Papst
Auch der ehemalige Kreisdekan Monsignore Wolfgang Westenfeld (80) will Ratzinger nicht verdammen. Als Erzbischof einer großen Diözese habe er "nicht alles wissen können". Hinter seinem Verhalten stecke "keine Bösartigkeit. Er hat nicht mit Absicht etwas verschwiegen". Und: "Das ist ein alter Mann." Westenfeld meint, "an der Vergangenheit, sollte man nicht ewig rummachen. Als Christ muss man verzeihen können." Bei aller Nachsicht betont Westenfeld, "überhaupt nichts rechtfertigen zu wollen, das ist dramatisch, abscheulich, aber so ist der Mensch eben".
Mesnerin ist "neben der Kappe"
"Mir ist ganz schlecht. Ich weiß nicht, was ich noch denken soll. Ich bin völlig neben der Kappe." Mesnerin Karin Rupp aus Duttenberg ist eine tief gläubige Frau, die sogar als eine der ersten Unterländerinnen 2005 nach der Papstwahl mit dem Kirchenchor Duttenberg und der Stadtkapelle Bad Friedrichshall eine Papst-Audienz musikalisch umrahmen durfte. Doch die "Wir-sind-Papst"-Euphorie" ist verflogen. "Hunderte von Tätern! Das sind doch alles Seelsorger, die sich um das Wohl ihrer Mitmenschen kümmern sollten. Solche kann man doch nicht einfach weiter auf Kinder loslassen und alles unterm Mantel halten wollen. Ich zweifle an der ganzen Institution."
Da hilft nur noch die Bibel

Auch Gymnasiallehrerin Cornelia Abt aus Bretzfeld ist "über die furchtbaren Zustände zutiefst erschüttert. Diese Vertuscherei, das Verschieben der Verantwortung, um die Institution mit allen Mitteln zu erhalten, kann ich nicht mehr ertragen." Man wolle in dieser Kirche "von der Wirklichkeit nichts wissen. Es ist traurig, unfassbar, nicht zu entschuldigen". Die Theologin erinnert, wie Ratzinger einmal gesagt habe, dass sich Vernunft und christlicher Glaube gegenseitig "heilen und reinigen könnten". Doch davon seien er und die Kirche, so Abt, weit entfernt. "Er formulierte immer so schwer zu verstehende Gedanken, nun zeigt sich, dass er sie selber nicht versteht." Da helfe nur noch das Festhalten an der tatsächlichen Botschaft im Neuen Testament.
Zölibat als ein Kernproblem
"Jenseits von gut und böse" sieht Kirchengemeinderätin Gisela Plagmann aus Offenau den bald 95-jährigen emeritierten Papst. "Ich war ihm gegenüber ja schon immer kritisch, auch gegenüber der Amtskirche. Aber das jetzt ist der Super-Gau." Plagmann spricht von einer "Scheinwelt, einem Sumpf" mit hierarchischen, von Männern dominierte Strukturen, Angst machenden Moralvorstellungen und einemZölibat, das viele Priester vereinsamen lasse, in den Alkohol treibe - manche sogar in den Missbrauch.
Klartext redet auch der Leiter des Literaturhauses Heilbronn. Anton Knittel hat in Tübingen Theologie studiert. "Ich muss um Worte ringen für Zorn, Trauer, Resignation angesichts des Versagens von Amtsträgern, weil Opfer alleine gelassen wurden, dass sie wiederholt Tätern ausgeliefert wurden und ihr Leid nicht angemessen anerkannt wird." Gleichzeitig würde Rom Kritiker gängeln. Es bleibe die kleine Hoffnung, dass es "kein Weiter so geben kann und klerikal-verkrustete Strukturen aufgebrochen werden".
Los von Rom im Weinsberger Tal
"Das System Ratzinger", so Uwe Diemer als Vorsitzender des Kirchengemeinderats von Obersulm-Löwenstein-Wüstenrot "bricht jetzt zusammen." Seine Gemeinde habe sich "von Rom längst losgesagt", sich der Eingliederung in eine große Seelsorgeeinheit versagt und als erste Gemeinde in der Diözese eine Frau als Leiterin. "Es geht anders", betont er. "Wir sind Kirche vor Ort und an vielen Orten. Wir handeln, helfen und labern nicht nur schlau daher."
Pfarrer ringt um Fassung
Pfarrer Michael Donnerbauer aus Lauffen hat am Freitag im "Geistlichen Wort" geschrieben, wie wichtig ihm der Schutz des Lebens ist. Nun zeigt er sich "zornig und traurig, fassungslos und beschämt, was in meiner Kirche Kindern und Jugendlichen angetan worden ist. Das ekelt mich an. Nach Jahrzehnten lügt der emeritierte Papst und verharmlost, anstatt zu seiner Verantwortung zu stehen und sich dazu zu bekennen, versagt zu haben. Es ist gut, dass alles ans Licht kommt und es keine Ruhe geben darf, ehe alles aufgeklärt ist und die nötigen Konsequenzen gezogen worden sind."