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Immer mehr ältere Menschen verunglücken mit E-Bikes

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Senioren sind auf einem Pedelec besonders gefährdet, haben aber oft einen sorglosen Umgang damit. Forderungen nach Schulungen und einer Helmpflicht werden laut.

von Armin Rößler
Eine Frau fährt im Sicherheitstraining für Pedelec-Fahrer an einem Auto vorbei, das die Tür öffnet. Die Zahl der Unfälle steigt.
Foto: dpa
Eine Frau fährt im Sicherheitstraining für Pedelec-Fahrer an einem Auto vorbei, das die Tür öffnet. Die Zahl der Unfälle steigt. Foto: dpa  Foto: Marijan Murat

Das Problem ist längst noch nicht bei allen Nutzern angekommen. "Es passieren immer mehr schwere Unfälle", stellt Wolfgang Jörger fest.

Der Vorsitzende des Kreisseniorenrats im Hohenlohekreis und sein Vorstandskollege Martin Probst machen sich große Sorgen, weil immer mehr ältere Menschen mit dem Elektrofahrrad verunglücken. "Senioren bräuchten eine intensive Schulung", meint Probst.

Es gibt kaum polizeiliche Fahrtrainings

Doch das ist gar nicht so einfach: Aktuell würden im Präsidiumsbereich Heilbronn keine polizeilichen Fahrtrainings angeboten, teilt Roberto Monaci vom Referat Prävention mit. Sein Kollege Klaus Kempf von der Außenstelle Künzelsau hat letztes Jahr zusammen mit der Kreisverkehrswacht und einem Fahrradhändler immerhin zwei solcher Sicherheitstrainings angeboten, ehe er von Corona ausgebremst wurde. "Das ist sehr gut angekommen", sagt er und kündigt an: "Ich bin dran, dass wir das nächstes Jahr wieder machen."

In Heilbronn wird man laut Harald Pfeifer, stellvertretender Leiter des Referats Prävention, im kommenden Frühjahr gemeinsam mit der Volkshochschule den Kurs "Sicherheit rund ums Pedelec" abhalten. "Ich bin gespannt, wie das angenommen wird", sagt er. In ganz Württemberg ist der ADAC in Kooperation mit dem ADFC mit Pedelectrainings aktiv (siehe Artikel unten).

Über vier Millionen Haushalte besitzen ein E-Fahrrad

Die Zahlen lügen nicht: 4,3 Millionen Haushalte in Deutschland, das sind 11,4 Prozent, haben laut dem Statistischen Bundesamt Anfang 2020 mindestens ein Elektrofahrrad besessen. Anfang 2015 war das in nur 1,5 Millionen Haushalten der Fall - die Zahl hat sich damit in nur fünf Jahren nahezu verdreifacht.

Die Kehrseite der Medaille: Parallel steigt auch die Zahl der Unfälle, in die Radfahrer und E-Bike-Nutzer verwickelt sind. 2019 war jeder siebte Mensch, der im Straßenverkehr ums Leben kam, mit dem Fahrrad oder Pedelec unterwegs. Das ist gegenüber 2010 ein Anstieg um 16,8 Prozent, und das, obwohl die Zahl der Verkehrstoten insgesamt in diesem Zeitraum um 16,5 Prozent abgenommen hat. Dabei sind, wie auch die nebenstehende Grafik zeigt, besonders Senioren stark gefährdet, auch wenn Stadt und Landkreis Heilbronn und der Hohenlohekreis statistisch vergleichsweise gut wegkommen.

Sorglosigkeit der Fahrer

Aus Seniorensicht sagt Wolfgang Jörger: "Einer der Gründe liegt in der Sorglosigkeit." Den Spruch "mir passiert schon nichts" habe er oft genug gehört. Dabei sei nicht nur die höhere Geschwindigkeit des E-Bikes eine Gefahr: Dazu geselle sich das höhere Gewicht, das für ganz andere Schwerpunktverhältnisse sorge. Es werde oft auf der Straße statt auf dem Radweg gefahren, wo dann wiederum Autofahrer Schwierigkeiten hätten, das Tempo des E-Bikes korrekt einzuschätzen.

Und schließlich müsse sich auch der ältere Mensch selbst eingestehen: "Man besitzt einfach nicht mehr diese Gelenkigkeit", so Jörger, sei "nicht mehr so reaktionsschnell", ergänzt Probst. Das Statistische Bundesamt drückt es in der Analyse ganz nüchtern aus: "Ältere Menschen haben unter anderem aufgrund der mit zunehmenden Alter nachlassenden physischen Widerstandskraft eine geringere Chance, einen Verkehrsunfall zu überleben."

Helmpflicht wäre wünschenswert

Die Helmpflicht gibt es weder fürs Fahrrad noch fürs E-Bike. Klaus Kempf würde sie sofort einführen. Zur Verkehrserziehung bringt der Polizeioberkommissar immer ein rohes Ei, einen Styroporhelm und eine Zeitung mit. Er legt das Ei in den Helm und lässt ihn fallen. "Da passiert nichts", sagt Kempf. Dann legt er die Zeitung auf den Boden und lässt das nun ungeschützte Ei fallen. "Das ist der Schädelbasisbruch", erläutert er den Zuschauern. "Viele sagen: Mit einem Helm fühle ich mich in meiner persönlichen Freiheit beschränkt", berichtet er.

Neben Beckenbrüchen gebe es bei Unfällen oft schwere Kopfverletzungen, weiß Wolfgang Jörger auch aus seiner Erfahrung als Arzt. "Das Allerwichtigste ist der Helm", meint er deshalb. "Zwei Drittel aller in Baden-Württemberg tödlich verunglückten Fahrradfahrer haben keinen Helm getragen", sagt Roberto Monaci. "Beim E-Bike sollte ein Helm eigentlich immer dabei sein", findet Michael Carle vom Öhringer Zweiradfachgeschäft.


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Die Qual der Wahl

Wichtig für den Nutzer ist aber auch die Wahl des richtigen Gefährts. Die Frage "Stange oder nicht" wird dabei für viele zum Knackpunkt. "Ich habe schon immer ein Herrenfahrrad gefahren", sagten viele Kunden, erzählt Michael Carle. Die Tendenz gehe aber zum Trapezrahmen oder gleich zum Tiefeinsteiger, um das Auf- und Absteigen zu erleichtern. Sein Kollege Tobias Wacker erklärt, man versuche "so bedarfsorientiert wie möglich" zu beraten. Das sei grundsätzlich zeitintensiver als beim herkömmlichen Fahrrad und könne schon mal eine gute Stunde dauern. "Der Kunde kann jederzeit jedes Modell probieren", sagt Wacker, das gelte auch für die unterschiedlich starken Motoren.

Echte Schulungen könnten Radhändler nicht anbieten, meint Michael Carle. "Dafür bräuchten wir eine große Fläche." So bleibe es bei der technischen Einweisung. Er wisse aber von Kunden, "die sich proaktiv darum bemüht haben". Damit das noch öfter passiert, will sich der Hohenloher Kreisseniorenrat darum bemühen, alle mit dem Thema befassten Organisationen und Beteiligten "an einen Tisch zu kriegen", so Martin Probst. Es sei "schon unsere Aufgabe, da zumindest Anstöße zu geben", meint Wolfgang Jörger. "Das ist uns ein großes Anliegen."

 
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