Lifestyle-Medikament? Warum es Kritik an der Abnehmspritze gibt
Unter dem Namen Wegovy ist die "Abnehmspritze" in Deutschland erhältlich. Sie soll sehr dicken Menschen bei der Gewichtsabnahme helfen. Doch es gibt Kritik an der Vergabe – auch wegen dem Präparat Ozempic mit gleichem Wirkstoff. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

In den vergangenen Monaten ist ein riesiger Hype um die "Abnehmspritze" entstanden, die unter dem Namen Wegovy auch in Deutschland im Handel ist. Das Präparat wurde als "Gamechanger" im Kampf gegen Übergewicht gefeiert. "Viele fragen in unseren Praxen nach dem Medikament", sagt auch der Neckarsulmer Hausarzt und Diabetologe Tobias Neuwirth. Nun werfen Medien-Recherchen Fragen auf. Die medizinische Bewertung ändert das jedoch kaum. Darum geht es:
Was ist Wegovy überhaupt?
Wegovy ist ein Medikament des dänischen Pharma-Unternehmens Novo Nordisk. Es enthält den Wirkstoff Semaglutid, der das Abnehmen fördert − und zwar vor allem bei stark übergewichtigen Menschen. In Studien an Mäusen wurde nachgewiesen, dass der Gewichtsverlust umso größer ist, je mehr Fettmasse die Nagetiere hatten. Der Effekt lässt nach, je weniger Körperfett die Tiere haben. Wegovy ist von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Behandlung von Adipositas zugelassen. Das heißt: Ärzte können es verordnen für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30. Ab dann gilt man nach medizinischer Einteilung als adipös oder fettleibig.
Bezahlen die Krankenkassen die Behandlung?
Bislang nicht. Krankenkassen in Deutschland übernehmen die Kosten für die Abnehm-Spritze auch mit einem Rezept in der Regel nicht. Denn Medikamente zur Gewichtsreduktion schließt der Gesetzgeber von der Erstattung aus. Ärzte können es auf Privatrezept verordnen, der Patient muss es selbst zahlen. Laut Hersteller Novo Nordisk liegen die Kosten in Deutschland bei gut 300 Euro für vier Wochen. Da Adipositas aber seit 2020 offiziell vom Deutschen Bundestag als Krankheit anerkannt ist, könnte sich das ändern. Hier kommt das Diabetes-Medikament Ozempic ins Spiel.
Was ist Ozempic?
Für die Diabetes-Behandlung gibt es das Mittel Ozempic, das vor allem auf die Regulierung der Insulinproduktion zielt. Ozempic enthält den gleichen Wirkstoff wie Wegovy, ist aber niedriger dosiert und in Deutschland für Diabetiker zugelassen. Für diese Nutzung wird es von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Ozempic ist wesentlich günstiger als Wegovy, deshalb verlangen in Deutschland viele Übergewichtige danach. Die Folge sind Lieferknappheiten. "Das ist ein Riesenproblem und macht uns das Leben schwer", sagt Tobias Neuwirth.
Warum ist das so?
"Es kommt quasi täglich vor, dass dieses Medikament nicht lieferbar ist", sagt Tobias Neuwirth. Die Folge: Diabetes-Patienten müssen unter Umständen auf Insulin umgestellt werden. Der Arzt sagt: "Die Leute, die Zucker haben, sollten das Medikament bekommen." Er habe Bedenken, es als Lifestyle-Medikament zum Abnehmen zu verordnen. Deshalb gehe man in seiner Praxis anders vor: "Wir besprechen mit dem Patienten, was der Grund für sein Übergewicht ist und versuchen, andere Maßnahmen zu ergreifen, um es in den Griff zu bekommen."
Wie gut sind die Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutide?
"Man muss sie richtig einsetzen, dann wirken sie schon sehr gut gegen Diabetes und auch gegen Adipositas", sagt Neuwirth. Allerdings gibt er zu bedenken: Wenn man sie absetze und ansonsten nichts an seinem Lebensstil und den Ernährungsgewohnheiten ändere, komme es wieder zu einer Gewichtszunahme. Auf Dauer sei das also eine sehr teure Angelegenheit. Außerdem sei er wie bei allen neuen Medikamenten "zurückhaltend". Denn genaue Erkenntnisse zu Langzeitwirkungen kann es erst in einigen Jahren geben.
Was ist bisher zu Nebenwirkungen bekannt?
Bekannte Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Außerdem gibt es ein Risiko für Gallensteine. Seltener ist auch eine erhöhte Herzfrequenz oder eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse möglich. Weitere potenzielle schwere Nebenwirkungen werden derzeit von der EMA untersucht. Dennoch sind sich Experten weitgehend einig: Die Medikamente sind gut. Sie seien "deutlich besser als alle Medikamente, die wir bisher hatten zum Gewichtabnehmen", sagte zum Beispiel der Diabetologe Andreas Klinge, Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, der ARD.
Warum gibt es dann Kritik?
Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" haben ergeben, dass ein hochkarätiger deutscher Mediziner, der das Präparat mehrfach vor Medien lobte, offenbar Geld der Herstellerfirma Novo Nordisk erhalten hat. Es ist zunächst nichts Ungewöhnliches, dass Ärzte Gelder von dieser Seite erhalten, zum Beispiel für Vorträge. Allerdings wäre es üblich, so etwas anzugeben, wenn man explizit danach gefragt wird. Das ist offenbar ausgeblieben.
Was sagen die Krankenkassen?
Die AOK geht von rund 19 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aus, die adipös sind, deren BMI also über 30 liegt. Sollte die Abnehmspritze in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden, kämen gigantische Ausgaben auf die Versicherungen zu.

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