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Interview
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"Hey, ich bin so wie die"

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Bunte Haare, bunte Kleider. Die 22-jährige Ronja Böhringer aus Ilsfeld ist als Junge auf die Welt gekommen, fühlt sich aber dem dritten Geschlecht zugehörig. An dem Begriff stört sie sich jedoch. Lieber spricht sie von der dritten Option.

Von Jürgen Kümmerle
Ronja Böhringer trägt gerne bunte Kleidung und Haare. "Ich drücke damit aus, dass ich bunt und freundlich bin."
 Foto: Christiana Kunz
Ronja Böhringer trägt gerne bunte Kleidung und Haare. "Ich drücke damit aus, dass ich bunt und freundlich bin." Foto: Christiana Kunz  Foto: Kunz, Christiana

 

In Stellenanzeigen suchen Firmen nach Mitarbeitern m/w/d. Das D steht für divers. Wer sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlt, hat seit 1. Januar des Jahres die Möglichkeit, diese dritte Option in den Pass eintragen zu lassen. Die 22 Jahre alte Ronja Böhringer aus Ilsfeld ist divers.

 

Wie spreche ich Sie korrekt an?

Ronja Böhringer: Mit meinem Namen Ronja Böhringer. Wer über mich spricht, sollte die weiblichen Pronomen „sie“, „ihr“ verwenden.

 

Sie sind als Junge auf die Welt gekommen...

Böhringer: ...mir wurde das männliche Geschlecht bei der Geburt zugewiesen. Ich verwende beim biologischen Geschlecht gerne die passive Form. Es ist jedoch unangemessen zu sagen, ich hätte bei meiner Geburt ein anderes Geschlecht gehabt, als ich heute habe, nur, weil sich das Urteil der Ärzte aus meiner Sicht als falsch herausgestellt hat.

 

Wann haben Sie bemerkt, dass das Ihnen zugewiesene Geschlecht nicht das zutreffende ist?

Böhringer: Da war ich etwa 17 Jahre alt. Ich fing an, mich größtenteils übers Internet schlau zu machen. Ich habe mich gefragt: Was gibt es für Arten, mit dem Geschlecht umzugehen? Was gibt es für Menschen, die diese Veränderung durchmachen? Ist das eine Option für mich?

 

Woran haben Sie denn konkret gemerkt, dass das männliche Geschlecht nicht zu Ihnen passt?

Böhringer: Das ist schwer zu beschreiben. Es ist ein unglaublich langer und langsamer Vorgang. Kleine Dinge, die Rolle, die mir zugewiesen wurde, gefielen mir nicht so. Oder jemand verwendete die weiblichen Pronomen „sie“ oder „ihr“. Das gefiel mir. Solche Erlebnisse addieren sich mit der Zeit auf.

 

Was war das für ein Gefühl, als Sie gemerkt haben, dass Sie nicht die einzige sind, die sich so fühlt?

Böhringer: Es ist super, es ist unglaublich. Es ist auch dort wieder ein langsamer Vorgang. Man stellt fest, was für interessante Menschen es gibt. Dann kam langsam die Erkenntnis, hey, ich bin so wie die.

 

Sie sprechen von einem langsamen Prozess. Können Sie sagen, wie lange es bei Ihnen gedauert hat?

Böhringer: Das ging mehrere Jahre lang. Zunächst bestand bei mir ein passives Interesse an dem sogenannten dritten Geschlecht. Als ich herausgefunden habe, dass weder das weibliche noch das männliche Geschlecht ausschließlich zu mir passt, hat es nicht mehr lange gedauert. Nach ein paar Monaten habe ich mir gesagt, ich bin trans, und ich habe mich in meinem weiteren Umfeld geoutet.

 

Was bedeutet „ich bin trans“ in Ihrem Zusammenhang?

Böhringer: Dass mein Geschlecht nicht das Geschlecht ist, das mir bei der Geburt zugewiesen wurde. Ich bin kein Mann.

 

Sind Sie damit automatisch eine Frau?

Böhringer: Das ist komplizierter. Von den beiden Geschlechtern Mann und Frau, die es in unserer Gesellschaft im Moment gibt, passt mir das weibliche besser. Wenn man genauer hinguckt, ist es eben aber nicht nur das weibliche, sondern irgendwo in der Nähe. Es ist einfach ein großes Feld. Die Grenzen sind fließend. Ich entscheide, was sich am besten anfühlt.

 

Ist das tagesformabhängig?

Böhringer: Für manche Personen ja, für mich weniger. Es ist mehr so ein Herantasten an das Geschlecht. Was fühlt sich gut an? Wie will ich von anderen wahrgenommen werden?

 

Wie Sie wahrgenommen werden wollen, drückt sich klar in Ihrem Vornamen aus. Welche Rolle spielt Ihr Äußeres?

Böhringer: Ich drücke mit meinem Äußeren aus, dass ich bunt und freundlich bin. Es bestimmt jedoch nicht mein Geschlecht und ich möchte auch nicht, dass andere von meinem Aussehen auf mein Geschlecht schließen.

 

Ist dieser Prozess für Sie abgeschlossen?

Böhringer: Abgeschlossen ist, dass ich weiß, wer ich bin. Und ich bin mir sicher genug, dass ich damit auftreten und es allen anderen sagen kann. Gleichzeitig aber entwickle ich mich als Mensch weiter. Für jemanden, der sich konstant mit dem eigenen Geschlecht auseinandersetzt, ist es ein lebenslanger Prozess.

 

Wie hat denn das Umfeld reagiert?

Böhringer: Generell hatte ich sehr viel Glück. Verwandte und Freunde haben recht schnell das weibliche Pronomen und den geänderten Vornamen verwendet.

 

Wie haben Sie das angestellt?

Böhringer: Ich bin auf die Personen zugegangen und habe ihnen gesagt: Wäre super, wenn Du „sie“ verwenden würdest.

 

Das haben alle akzeptiert?

Böhringer: Nein, es gab zwei Menschen, die damit Probleme hatten. Das war meine Rektorin, die sich da quergestellt und versucht hat zu verhindern, dass ich mit meinem neuen Namen Ronja auftrete. Der andere war der Lehrer, der der Rektorin am nächsten stand. Sie haben sich beide feige auf vermeintliche Regeln berufen. Sie fragten sich, können wir das wirklich machen?

 

Fühlen Sie sich sexuell eher zu Frauen oder zu Männern hingezogen?

Böhringer: Ich identifiziere mich im Moment als bisexuell mit einer Tendenz zu Menschen mit femininen Geschlechtern. Also ungefähr homosexuell (lacht).

 

Ist der Umgang mit diesem Thema hier in der Provinz komplizierter?

Böhringer: Es ist schwieriger. Viele Leute bekommen wenig davon mit. Ich habe primär übers Internet erfahren, was es für Menschen sind, was alles möglich ist. Alleine schon in Stuttgart gibt es sehr viel mehr Gruppen von queeren Menschen.

 


Vita & Definition

Ronja Böhringer (22) ist in Ilsfeld aufgewachsen, lebt in Leonberg und hat Medieninformatik und interaktives Entertainment an der Hochschule Mittweida in Sachsen studiert. Sie ist selbstständig und arbeitet in Ludwigsburg als Spieleprogrammiererin. Wenn sie von sich spricht, verwendet sie den Begriff Trans-Mensch. Nach der Definition der Initiative „100 Prozent Mensch“ sind damit alle Formen von Transsexualität gemeint. Demnach sei die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht unvollständig und fließend.

„Divers“ kann man seit Januar in den Pass eintragen lassen. Die Formulierung „drittes Geschlecht“ ist unter Trans-Menschen umstritten, sie suggeriere die Existenz eines weiteren Geschlechts. „Ich störe mich an diesem Begriff. Für mich ist es die dritte Option“, sagt Böhringer. Seit einem halben Jahr verwendet sie nach Rücksprache mit einem Arzt Testosteron-Blocker. Damit wird die Produktion dieses männlichen Hormons gehemmt. Gleichzeitig nimmt sie Östrogene zu sich. „Es wird oft zweite Pubertät genannt.“

Auch interessant: Wie die Eltern von Ronja mit der Situation umgehen

 

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